Lilia nickte. »Ich bin mir sicher, dass Sonea helfen würde.«
»Nein, wir dürfen es ihr nicht sagen.« Cery hielt inne, überrascht über die Überzeugung in seiner eigenen Stimme. Warum will ich Soneas Hilfe nicht? »Es wird ihr nicht gefallen. Sie wird uns aus der Stadt schmuggeln wollen. Sie wird es Kallen erzählen.« Er traute Kallen nicht zur Gänze, und das lag nicht nur daran, dass der Mann von Feuel abhängig war.
»Das würde sie nicht tun«, wandte Lilia ein, obwohl ihrer Stimme die Überzeugung fehlte.
»Cery hat recht«, sagte Gol. »Sonea bricht nach Sachaka auf. Sie wird entweder wollen, dass jemand in einer hohen Stellung in der Gilde weiß, dass wir hier sind, oder sie wird uns von hier wegbringen.«
»Also … wenn du auch nicht willst, dass Kallen es weiß«, wandte Anyi sich an Cery, »dann wirst du nicht länger mit ihm arbeiten können.«
»Nein.« Cery wandte sich an Lilia. »Aber er braucht uns nicht, um ihm das zu sagen. Wir können behaupten, es sei sicherer, wenn wir durch Nachrichten in Verbindung bleiben, die Lilia schicken wird.«
»Wir werden ihm nichts Nützliches zu berichten haben, wenn wir hierbleiben und keinen Kontakt mit deinen Leuten haben«, stellte Anyi fest.
»Nein, aber er wird uns darüber informieren, was dort draußen vorgeht«, entgegnete Cery, »bevor er uns als Informationsquelle aufgibt. Und hoffentlich werden wir einen Weg finden, wieder nützlich zu sein – was wir nicht sein werden, wenn Sonea uns wegschickt.«
Die vier tauschten Blicke, dann nickten sie.
»Nun, zuerst müssen Lilia und ich Lösungen für die grundlegendsten Bedürfnisse finden, wie Essen und Wasser«, erklärte Anyi entschieden und straffte sich. »Und dann müssen wir die Dinge hier unten sicherer und bequemer machen.«
Cery lächelte über den entschlossenen Ausdruck auf ihrem Gesicht. Wenn er es ihr erlaubte, würde sie das Kommando über sie alle übernehmen. »Nein«, widersprach er. »Das ist nicht das, was wir als Erstes tun werden.«
Sie sah ihn an und runzelte verwirrt die Stirn. »Nein?«
Er deutete mit dem Kopf auf den Korb. »Zuerst essen wir.«
Falls es in Sachaka eine höfliche Form gab, einem nicht willkommenen Besucher die Tür zu weisen, wünschte Dannyl, er hätte sie gekannt. Zwar wollte er den Ashaki, der durch den Eingang zum Gildehaus kam, durchaus sehen – er sehnte sich sogar danach, den Mann zu sehen. Aber er vermutete, dass der Besucher in seiner offiziellen Eigenschaft hier war, und das war etwas, was Dannyl mit Unbehagen erfüllte.
Mit dem Feind befreundet zu sein macht die Dinge gewiss kompliziert.
Als Achati den Raum betrat, suchte Dannyl in den Zügen des Mannes nach einem Hinweis auf gute Neuigkeiten, obwohl er wusste, dass die Chancen gering waren. Er war überrascht, als er in Achatis Gesicht Bedauern und einen Ausdruck der Entschuldigung bemerkte. Er hatte eine sorgfältig aufrechterhaltene neutrale Miene erwartet.
»Willkommen im Gildehaus, Ashaki Achati«, sagte Dannyl und entsprach damit ganz kyralischen Gepflogenheiten.
»Ich wünschte, die Umstände wären erfreulicher«, erwiderte Achati. »Dies ist ein offizieller Besuch, aber ich möchte auch, dass es ein zwangloser Besuch zwischen Freunden ist, falls das noch möglich sein sollte.«
Dannyl lud Achati ein, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst in den Hauptsessel. »Das hängt davon ab, wie der offizielle Teil sich entwickelt«, entgegnete er trocken.
»Dann lasst uns den offiziellen Teil als Erstes hinter uns bringen.« Achati hielt inne, um Dannyl zu betrachten. »König Amakira will, dass Ihr Lorkin dazu überredet, alle Fragen bezüglich der Verräter zu beantworten.«
»Ich bezweifle, dass ich Erfolg haben würde.«
»Würde er sich weigern, wenn Ihr es ihm befehlen würdet?«
»Ja.«
»Und das ist akzeptabel?«
»Es ist nicht seine Entscheidung oder meine.«
»Aber er ist Euer Untergebener. Er sollte Eure Befehle befolgen.«
»Das hängt von den Befehlen ab.« Dannyl zuckte die Achseln. »Wir haben in der Gilde keine … keine Sitte fraglosen Gehorsams, weder in der Gilde noch außerhalb. Nun, außer dem König gegenüber, aber selbst dessen Ratgeber haben das Recht, ihre Meinung und Empfehlung zu äußern, ohne Vergeltung befürchten zu müssen – obwohl sie trotzdem Befehlen gehorchen müssen, auch wenn sie in der Sache anderer Meinung sind.«
»Du bist außerdem ein Botschafter – und nicht nur ein Botschafter der Gilde. Bis zu Botschafter Tayends Eintreffen hast du auch für alle Verbündeten Länder gesprochen. Obwohl du nicht länger für Elyne sprichst, repräsentierst du immer noch den Rest.«
»Ja, ich spreche für sie.« Dannyl breitete die Hände aus. »Aber ich kann keine Entscheidungen für sie treffen.«
»Du sagst also, dass nur einer der Monarchen der Verbündeten Länder Lorkin befehlen könnte, Fragen zu beantworten?«
»Nur der kyralische König. Monarchen anderer Länder und nicht herrschende Mitglieder königlicher Familien können einem kyralischen Magier keine Befehle erteilen.«
Achati zog die Augenbrauen hoch. »Wie haltet Ihr die Ordnung aufrecht?«
Dannyl lächelte. »Die meisten von uns sind klug genug, um zu wissen, dass ein Mangel an Ordnung zu einem Verlust von Freiheit und Wohlstand führen würde. Jene, die das nicht wissen … nun, wir halten sie in Schach. Nehmt die allgemeine Regel, dass Magier sich nicht mit Politik zu beschäftigen haben. Zwar wird diese Regel nicht streng durchgesetzt, doch es reicht, den Anschein ihrer Befolgung zu wahren, um auch den Ehrgeizigsten von uns zurückzuhalten.«
Während Achati innehielt, um darüber nachzusinnen, nutzte Dannyl die Gelegenheit, eine Frage zu stellen.
»Hat König Amakira in Erwägung gezogen, dass Lorkin vielleicht gar keine nützlichen Informationen hat? Warum sollten die Verräterinnen ihm schließlich erlaubt haben, nach Arvice zurückzukehren, wenn er etwas wüsste, das ihnen schaden könnte?«
Achati blickte auf. »Warum beantwortet er dann nicht unsere Fragen?«
»Vielleicht ist es eine Prüfung.«
»Eine Prüfung von was? Lorkins Loyalität gegenüber den Verräterinnen?«
Dannyl runzelte die Stirn bei der Andeutung, dass Lorkin seine Loyalitäten gewechselt haben könnte. »Oder gegenüber Kyralia. Oder vielleicht ist es überhaupt keine Prüfung von Lorkin.«
Achatis Augen wurden schmal. »Ist es eine Prüfung für König Amakira?«
Dannyl breitete die Hände aus. »Und die Gilde, König Merin und die Verbündeten Länder.«
»Bring uns in eine Position des Konflikts und sieh, was passiert?« Achati nickte. »Das haben wir in Erwägung gezogen.«
»Obwohl Lorkin vielleicht glaubte, dass er über Arvice nach Kyralia zurückkehren könnte, weil er nicht dachte, dass König Amakira die Vereinbarung brechen würde, dass alle Magier der Gilde in Sachaka frei und unversehrt bleiben würden.«
Achatis Züge verhärteten sich. »Solange sie nicht versuchen, Sachaka zu schaden.« Er sah Dannyl direkt an. »Glaubst du wirklich, dass Lorkins Weigerung, sein Wissen über die Verräter mit uns zu teilen, meinem Land nicht schaden wird?«
Dannyl hielt dem Blick seines Freundes stand, aber da er auf eine solch direkte Frage nicht vorbereitet war, verspürte er eine Mischung aus Schuldgefühlen und Argwohn, ob die Frage bei ihm eine sichtbare Reaktion hervorgerufen haben könnte. Achati hätte es gesehen. Er würde wissen, ob Dannyl log. Also war es am besten, mit einer anderen Wahrheit zu antworten.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er aufrichtig. »Lorkin hat das, was er weiß, lediglich mit Administrator Osen erörtert.«
Achati runzelte die Stirn. »Hat er dir erzählt, warum er zurückgekehrt ist?«
Dannyl nickte und entspannte sich ein wenig. »Um nach Hause zurückzukehren. Er will vor allem seine Mutter sehen. Natürlich wussten wir nicht, ob er jemals zurückkehren würde, daher ist seine Mutter nach Monaten der Sorge ebenfalls erpicht darauf, ihn wiederzusehen.«
»Das kann ich mir vorstellen«, entgegnete Achati und stand auf. Er klang mitfühlend, aber sein Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Erheiterung und Trotz. »Je eher Lorkin unsere Fragen beantwortet, desto eher werden die beiden sich wiedersehen.«
Dannyl erhob sich. »Was wird König Amakira tun, wenn er nicht redet?«
Achati hielt inne, um seine Antwort zu überdenken. »Ich weiß es nicht«, erwiderte er, und seine augenscheinliche Aufrichtigkeit und Hilflosigkeit waren ein Spiegel von Dannyls eigenen Gefühlen.
»Die Verbündeten Länder werden eine Lesung von Lorkins Gedanken als einen Akt der Aggression betrachten«, warnte Dannyl.
»Aber kaum als etwas, wofür man einen Krieg anzettelt«, entgegnete Achati. »Sachaka ist jahrhundertelang ohne Handel mit den Ländern im Westen gediehen, dank unserer Verbindungen mit Ländern jenseits des östlichen Meeres. Ohne eine Ausbildung all eurer Magier in höherer Magie ist Kyralia kaum eine Bedrohung für uns. Wir brauchen euch nicht. Wir fürchten euch nicht. Ihr wart niemals mehr als eine Gelegenheit, die wir erkunden wollten.«
Dannyl nickte. »Ich danke Euch für Eure Aufrichtigkeit, Ashaki Achati.«
Achati machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe nichts gesagt, was nicht bereits offensichtlich gewesen wäre.« Er seufzte. »Ich persönlich hoffe, dass wir dies auf eine Weise lösen können, die unsere Freundschaft nicht ruinieren wird. Jetzt muss ich gehen.«
»Das hoffe ich auch«, sagte Dannyl. Die Freundschaft zwischen uns oder unseren Ländern? Oder beides? »Auf Wiedersehen fürs Erste.«
Der Ashaki nickte, dann verschwand er in dem Flur, der zum Eingang des Gildehauses führte. Dannyl setzte sich wieder und dachte über das Gespräch nach. »Wir brauchen euch nicht. Wir fürchten euch nicht.« Warum hatte irgendjemand jemals gedacht, Sachaka würde sich den Verbündeten Ländern anschließen wollen?
»Wie ist es gelaufen?«
Dannyl blickte auf und sah, dass Tayend in der Tür stand. Er seufzte und winkte ihn heran. Sein ehemaliger Geliebter eilte durch den Raum, setzte sich und beugte sich mit beinahe kindlichem Eifer vor. Aber Tayends Blick war scharf, und seine Neugier entsprang ebenso seinem Bedürfnis, als Botschafter in politischen Angelegenheiten auf dem Laufenden zu sein, wie seiner Liebe zu Tratsch.
Er macht sich ebenfalls aufrichtig Sorgen um Lorkin, rief Dannyl sich ins Gedächtnis. Eine Erinnerung erhob sich unerwartet an Tayend, der mit Soneas Sohn als kleinem Kind spielte, damals, als er und Dannyl der Gilde noch häufiger freundschaftliche Besuche abgestattet hatten. Tayend hatte ein Geschick gehabt, Kinder zu beschäftigen und zu unterhalten. Er fragte sich, ob Tayend sich jemals eigene Kinder gewünscht hatte. Dannyl hatte nie welche gewollt, obwohl er …
»Und?«, drängte ihn Tayend.
Dannyl konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart und begann seinem Botschafterkollegen zu berichten, was Achati gefragt und was er offenbart hatte, wobei er jedoch achtgab, nichts zu verraten, was die Gilde verborgen wissen wollte.