Er hörte ein schwaches Knarren, gedämpft durch die Dielenbretter über ihnen.
So lautlos wie möglich griffen Anyi und Gol nach ihren Schuhen, ihren Rucksäcken und Lampen und folgten Cery in das Nebenzimmer, schlossen die Tür hinter sich und schoben eine alte Truhe vor die Tür. Cadia blieb mitten im Raum stehen, seufzte und ließ das Laken fallen, damit sie sich anziehen konnte. Sowohl Anyi als auch Gol wandten ihr schnell den Rücken zu.
»Was soll ich tun?«, flüsterte Cadia Cery zu.
Er las den Rest seiner Kleider auf, griff nach Cadias Schlafzimmerlampe und überlegte. »Folge uns.«
Sie wirkte eher krank als aufgeregt, als sie durch die Falltür schlüpften, die zu der alten Straße der Diebe führte. Die Gänge hier waren mit Schutt gefüllt und nicht wirklich sicher. Dieser Teil des unterirdischen Netzwerks war vom Rest abgeschnitten worden, als der König eine nahe Straße wiederhergestellt und neue Häuser errichtet hatte, wo die alten Gebäude des Elendsviertels gestanden hatten. Obwohl es nicht ganz innerhalb der Grenzen seines Territoriums lag, hatte Cery einen alten Tunnelbauer dafür bezahlt, eine neue Zugangspassage auszuheben, hatte aber die verfallenen Teile so belassen, damit niemand in Versuchung geriet, sie zu benutzen. Es war ein praktischer Ort gewesen, um Dinge zu verstecken, wie gestohlene Waren und hier und da einen Leichnam.
Er hatte jedoch nie geplant, sich selbst hier zu verstecken. Cadia betrachtete den mit Schutt übersäten Gang mit einer Mischung aus Entsetzen und Neugier. Cery reichte ihr die Lampe und zeigte in eine Richtung.
»Nach ungefähr hundert Schritten wirst du ein Gitter hoch oben in der linken Wand sehen. Dahinter ist eine Gasse zwischen zwei Häusern. Es werden Rillen in der Wand sein, damit du hinaufklettern kannst, und das Gitter sollte sich nach innen einklappen lassen. Geh zu einem deiner Nachbarn und sag, dass Räuber in deinem Haus sind. Wenn sie die Leichen finden, sagst du, sie seien die Räuber, und du deutest an, dass sich wohl einer gegen den anderen gewandt hat.«
»Was ist, wenn sie sie nicht finden?«
»Zieh sie hier in diese Gänge, und lass niemanden in deinen Keller, bis der Geruch weggeht.«
Sie wirkte noch kränker, nickte jedoch und straffte sich. Ein Stich der Zuneigung durchzuckte ihn angesichts ihrer Tapferkeit, und er hoffte, dass sie nicht weiteren Meuchelmördern über den Weg laufen oder auf irgendeine andere Weise dafür bestraft werden würde, dass sie ihm geholfen hatte. Er trat dicht vor sie hin und küsste sie entschlossen.
»Ich danke dir«, sagte er leise. »Es war mir ein Vergnügen.«
Sie lächelte, und ihre Augen funkelten für einen Moment. »Sei vorsichtig«, erwiderte sie.
»Bin ich immer. Und jetzt geh.«
Sie eilte davon. Er konnte es nicht riskieren zu bleiben, um ihr nachzuschauen. Gol trat vor, um voranzugehen, und Anyi blieb hinter ihnen, während sie durch die zerfallenden Gänge wanderten. Nach mehreren Schritten krachte etwas hinter ihnen. Cery blieb stehen und drehte sich um.
»Cadia?«, murmelte Gol. »Das Gitter hat sich geschlossen, als sie auf die Straße geklettert ist?«
»Das ist sehr weit entfernt, um es so gut zu hören«, meinte Cery.
»Das war kein Gitter auf Ziegelsteinen«, flüsterte Anyi. »Es war … etwas Hölzernes.«
Einige hellere Laute folgten. Ziegel und Steine, die bewegt wurden. Cery überlief ein Schauer. »Geht. Schnell. Aber leise.«
Gol hielt seine Lampe hoch, doch wegen des vielen Schutts auf dem Boden des Gangs konnten sie nur ab und zu schnell laufen. Cery unterdrückte mehr als einmal einen Fluch und bedauerte, dass er nicht ein wenig mehr aufgeräumt hatte. Dann, nachdem sie einen geraden Abschnitt des Tunnels hinter sich gebracht hatten, schimpfte Gol und kam schlitternd zum Stehen. Als Cery über die Schulter des massigen Mannes schaute, sah er, dass das Dach über ihnen vor kurzem eingestürzt war, so dass sie in eine Sackgasse geraten waren. Er fuhr herum, und sie eilten zurück zu der letzten Kreuzung, an der sie vorbeigekommen waren.
Als sie die Biegung erreichten, seufzte Anyi. »Wir hinterlassen Spuren.«
Cery senkte den Blick und sah Fußabdrücke im Staub. Die Hoffnung, dass ihr Verfolger den Spuren bis zu der Sackgasse hinterherlaufen würde, wurde zunichtegemacht, als er begriff, dass Gols Spur jetzt durch den Nebentunnel führte und jede Menge Beweise dafür hinterließ, dass sie den Weg zurückgegangen waren.
Aber wenn sich eine weitere Gelegenheit bietet, falsche Spuren zu legen …
Doch es kam keine Gelegenheit mehr. Erleichterung durchflutete ihn, als sie endlich den Verbindungsgang zu dem Hauptteil der Straße der Diebe erreichten. Einmal mehr bedauerte er, dass er diese Situation nicht vorhergeahnt hatte: Obwohl er den Eingang zu den isolierten Tunneln verborgen hatte, hatte er sich keine Mühe gemacht, den Ausgang vor jemandem zu verstecken, der den Tunnel von innen erkundete.
Sobald die Tür hinter ihnen geschlossen war, schauten sie sich in dem saubereren, besser gewarteten Gang um, in dem sie standen. Da war nichts, was sie benutzen konnten, um die Tür zu blockieren und ihre Verfolger daran zu hindern, die alten Tunnel zu verlassen.
»Wohin?«, fragte Gol.
»Nach Südosten.«
Sie bewegten sich jetzt schneller und blendeten die Lampen ab, so dass nur ein denkbar dünner Lichtstrahl den Weg erhellte. Früher wäre Cery im Dunkeln weitergegangen, aber er hatte Geschichten über Fallen gehört, die aufgestellt worden waren, um die Territorien anderer Diebe zu verteidigen. Urheber waren unternehmungslustige Räuber oder die mysteriösen Schleichen. Trotzdem war das Tempo, das Gol vorgab, gefährlich schnell, und Cery machte sich Sorgen, dass sein Freund nicht in der Lage sein würde, Gefahren auszuweichen, denen er vielleicht entgegeneilte.
Schon bald war Cery außer Atem, seine Brust schmerzte, und seine Beine wurden unsicher. Er fiel etwas hinter Gol zurück, der jedoch nach einer Weile seine Schritte verlangsamte und sich umschaute. Er wartete auf Cery, aber die Falte zwischen seinen Brauen glättete sich nicht, und er bewegte sich auch nicht, als Cery ihn einholte.
»Wo ist Anyi?«
Cery verspürte einen heftigen Stich. Er fuhr herum und sah nur Dunkelheit hinter ihnen.
»Ich bin hier«, erklang eine leise Stimme. »Ich bin stehen geblieben, um festzustellen, ob ich unsere Verfolger hören kann.« Ihre Miene war grimmig. »Sie folgen uns tatsächlich. Und es ist eindeutig mehr als nur einer.« Sie winkte die beiden Männer weiter. »Vorwärts. Sie sind nicht weit hinter uns.«
Gol stürmte wieder los, und Cery folgte ihm. Der massige Mann gab ein noch schnelleres Tempo vor. Er wählte eine gewundene Route, aber sie schüttelten ihre Verfolger nicht ab – was die Vermutung nahelegte, dass sie die Tunnel genauso gut kannten wie er und Cery. Gol kam den Tunneln der Gilde näher, doch wer immer ihnen folgte, war offensichtlich nicht hinreichend eingeschüchtert von Magiern, um von seiner Beute abzulassen.
Sie näherten sich dem geheimen Eingang in die Tunnel unter der Gilde. Sie werden es nicht wagen, mir dorthin zu folgen. Es sei denn, sie wussten nicht, wohin die Gänge führten. Wenn sie uns folgen, werden sie feststellen, dass die Gilde ihre unterirdischen Wege unbewacht lässt. Was bedeutete, dass Skellin es ebenfalls erfahren würde. Ich werde nicht nur nie wieder über diesen Weg fliehen können, ich werde auch die Gilde alarmieren müssen. Sie wird die Tunnel zuschütten lassen, und dann wird unser sicherster Weg zu Sonea und Lilia versperrt sein.
Er betrachtete die Gildetunnel als die letztmögliche Fluchtroute. Wenn es eine Alternative gegeben hätte …
Als sie noch etwa zwanzig Schritt vom Eingang zu den Gildetunneln entfernt waren, hörten sie hinter sich ihre Verfolger. Sie waren ihnen zu dicht auf den Fersen – es blieb keine Zeit mehr, die Geheimtür zu öffnen, bevor sie sie einholten. Als Gol langsamer wurde, um sich zu Cery umzudrehen – die Augenbrauen zu einer stummen Frage hochgezogen –, schlüpfte Cery an ihm vorbei und schlug eine neue Richtung ein.