Die Tatsache, dass Tayends Gründe für seine Einmischung die gleichen waren wie jene, die Dannyl überhaupt veranlasst hatten zu zögern, und dass die gegenwärtige Situation sein Zögern im Nachhinein mehr als rechtfertigte, machte es Dannyl nicht leichter, ihm die Einmischung zu verzeihen.
Dannyl konnte nicht umhin zu hoffen, dass es nur die Situation mit Lorkin war, die Achati fernhielt, und dass der Mann ihn nicht aufgegeben hatte.
Er konnte außerdem nicht umhin, Gewissensbisse zu verspüren. Ob er und Achati Liebende waren oder nicht, sie würden immer Geheimnisse voreinander haben müssen. Geheimnisse wie den Vorschlag der Duna, mit der Gilde ein Bündnis oder ein Handelsabkommen zu schließen. Diese Angelegenheit war seit Lorkins Rückkehr fast in Vergessenheit geraten. Früher einmal wäre die Gilde sehr aufgeregt über eine Möglichkeit gewesen, eine neue Art von Magie zu erwerben, aber die Aussicht auf den gleichen Tauschhandel mit den Verräterinnen, die ein sehr viel ehrfurchtgebietenderer Verbündeter sein konnten, hatte das überschattet.
Dannyl wusste nicht genau, was die Verräterinnen Lorkin gebeten hatten, der Gilde zu übermitteln. Osen hatte beschlossen, dass es das Beste sei, wenn Dannyl nichts darüber wusste, für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand seine Gedanken las. Dannyl runzelte die Stirn. Osen muss wissen, dass Lorkin eine Gedankenlesung blockieren kann. Lorkin wird mir nichts erzählen, was er nicht schon Osen erzählt hat.
Als er das Herrenzimmer erreichte, sah er, dass Lorkin bereits dort wartete. Er, Tayend und Lady Merria, Dannyls Assistentin, saßen auf Hockern und unterhielten sich leise. Bei Dannyls Eintritt erhoben sie sich.
»Bereit?«, fragte Dannyl Lorkin.
Lorkin nickte.
Tayend warf dem jungen Magier einen ernsten Blick zu. »Viel Glück.«
»Danke, Botschafter«, erwiderte Lorkin.
»Wir haben beide unsere sachakanischen Freunde gefragt, was der König ihrer Meinung nach tun wird«, fügte Tayend hinzu und sah Merria an. »Niemand will irgendetwas voraussagen, aber sie hoffen alle, dass der König nichts tun wird, was die Verbündeten Länder gegen ihn aufbringt.«
»Und denken sie, ich sollte mein Versprechen brechen und alles über die Verräterinnen erzählen?«, fragte Lorkin.
Tayend verzog das Gesicht. »Ja.« Merria nickte zustimmend.
Lorkins Lippen zuckten zu einem flüchtigen Lächeln. »Kaum überraschend.« Aber trotz seines scheinbaren Humors waren seine Augen hart. Dannyl fühlte sich plötzlich an Schwarzmagierin Sonea erinnert. Der Gedanke, wie halsstarrig Lorkins Mutter in seinem Alter gewesen war, machte Dannyl ein wenig Mut, wenn er daran dachte, dass Lorkin sich den Fragen und Schikanen des sachakanischen Königs würde stellen müssen. Hoffen wir, dass Schikanen alles sind, was er versuchen wird.
»Seid Ihr auch vorsichtig«, sagte Merria.
Dannyl begriff, dass sie ihn anschaute, und er blinzelte überrascht. Sie hatte ihm seit seiner Rückkehr finstere Blicke zugeworfen und ihn wissen lassen, dass sie ihm nicht verziehen hatte, dass er sie nicht nach Duna mitgenommen hatte. Er war sich nicht sicher, wie er auf ihre Sorge reagieren sollte, vor allem, da er nicht darüber nachdenken wollte, was mit ihm selbst geschehen würde, sollten die Dinge eine Wendung zum Schlimmeren nehmen.
»Ich werde zurechtkommen«, erklärte er ihr. »Wir werden zurechtkommen«, fügte er hinzu. Tayend sah Dannyl auf eine besorgte Weise an, über die Dannyl ebenfalls nicht nachdenken wollte, daher wandte er sich dem Flur zu, der aus dem Gildehaus führte. »Nun, wir sollten den König nicht warten lassen.«
»Nein«, sagte Lorkin leise.
Dannyl blickte zu Kai hinüber, dem Mann, der jetzt sein persönlicher Sklave war. Merria hatte von ihren Freundinnen erfahren, dass es ein typischer Trick von Sklaven war, häufig Aufgaben untereinander zu wechseln, da es für einen Herrn dann schwerer war, den richtigen Sklaven für einen bestimmten Fehler zu bestrafen. Und je mehr Sklaven man sah, umso schwerer war es, sich ihre Namen zu merken, und wenn man sich den Namen eines Sklaven nicht merken konnte, war es schwerer, seine Bestrafung anzuordnen.
Merria hatte verlangt, dass jedem Bewohner des Gildehauses ein oder zwei Sklaven zugeteilt wurden, die sich um ihre Bedürfnisse kümmerten. Aber obwohl das Arrangement mehr Ähnlichkeit damit hatte, einen Diener zu haben, hatte es trotzdem Nachteile. Ein Diener stellte Fragen. Ein Diener würde es sagen, wenn man ihm etwas Unmögliches oder Schwieriges abverlangte. Ein Diener warf sich nicht zu Boden, wann immer man ihn sah. Obwohl Dannyl im Laufe der Jahre einige aufreizend streitlustige Dienstboten gehabt hatte, würde er lieber diese Unannehmlichkeit auf sich nehmen statt fraglosen Gehorsam.
»Lass die Kutschensklaven wissen, dass wir so weit sind, Kai«, befahl Dannyl.
Kai eilte voraus, und Dannyl führte Lorkin den Flur entlang zur Vordertür. Als sie hindurchtraten, blendete helles Sonnenlicht Dannyls Augen, und er hob die Hand, um sie zu beschatten. Der Himmel war blau und wolkenlos, und in der Luft lagen eine Wärme und Trockenheit, die er in Kyralia mit dem Beginn des Sommers gleichgesetzt hätte. Hier begann gerade erst das Frühjahr. Wie immer warfen die Sklaven sich zu Boden. Dannyl befahl ihnen, sich zu erheben, dann stiegen er und Lorkin in die wartende Kutsche.
Sie fuhren schweigend zum Palast. Dannyl bedachte all das, was Osen ihm zu sagen aufgetragen hatte und was er nicht sagen sollte. Er wünschte, er wüsste mehr darüber, was Lorkin und die Gilde planten. Es verursachte ihm Unbehagen, nicht die ganze Wahrheit zu kennen. Allzu bald bog die Kutsche in die breite, von Bäumen gesäumte Allee ein, die zum Palast führte, dann hielt sie vor dem Gebäude an. Die Sklaven kletterten zu Boden und öffneten die Tür.
Dannyl stieg aus und wartete auf Lorkin.
»Hübsch«, bemerkte Lorkin und betrachtete voller Bewunderung das Gebäude.
Natürlich, er hat den Palast noch nicht gesehen, ging es Dannyl durch den Kopf. Als er zu den gerundeten weißen Mauern emporblickte und in den oberen Abschluss der goldglänzenden Kuppel darüber, erinnerte er sich daran, wie beeindruckt er bei seinem ersten Besuch hier gewesen war. Jetzt machte er sich zu große Sorgen wegen des bevorstehenden Gesprächs, um Bewunderung zu empfinden.
Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Eingang und führte Lorkin hinein. Sie schritten den breiten Flur entlang, vorbei an den Wachen und hinein in die riesige, von Säulen beherrschte Halle, die dem König als Audienzsaal diente. Dannyls Herz begann schneller zu schlagen, als er sah, dass viel mehr Leute anwesend waren als bei jeder seiner vorangegangenen Begegnungen mit dem König. Statt einer Gruppe von zwei oder drei Personen hier und da hatte sich eine kleine Menschenmenge eingefunden. Nach ihren stark dekorierten kurzen Jacken und selbstbewussten Posen zu urteilen, waren die meisten von ihnen Ashaki. Er zählte schnell. Ungefähr fünfzig.
Das Wissen, dass ihn so viele Schwarzmagier umgaben, sandte ihm einen unangenehmen Schauer über den Rücken. Er konzentrierte sich darauf, das Gesicht leidenschaftslos und seinen Gang würdevoll zu halten, in der Hoffnung, dass er seine Furcht erfolgreich verbarg.
König Amakira saß auf seinem Thron. Trotz seines Alters wirkte er genauso angespannt und wachsam wie der jüngste der Sachakaner im Raum. Er ließ Lorkin keine Sekunde aus den Augen, bis Dannyl stehen blieb und sich auf ein Knie sinken ließ. Lorkin folgte seinem Beispiel, wie er es ihm aufgetragen hatte.
»Erhebt Euch, Botschafter Dannyl«, forderte der König ihn auf.
Dannyl tat wie geheißen und widerstand der Versuchung, Lorkin anzusehen, der gezwungen war, weiter auf dem Boden zu knien, bis man ihm etwas anderes sagte. Der Blick des Königs war wieder zu dem jungen Magier gewandert. Der Ausdruck in seinen Augen war eindringlich.
»Erhebt Euch, Lord Lorkin.«
Lorkin stand auf, sah den König an und senkte dann höflich den Blick.
»Willkommen zurück«, fuhr der König fort.