»Vielen Dank, Euer Majestät.«
»Habt Ihr Euch von Eurer Rückreise nach Arvice erholt?«
»Ja, Euer Majestät.«
»Das ist gut zu hören.« Der König sah Dannyl an, und eine Art kalter Erheiterung stahl sich in seine Augen. »Botschafter, ich wünsche von Lorkin zu hören, wie es dazu gekommen ist, dass er Arvice verlassen und bei den Verräterinnen gelebt hat und dann zurückgekehrt ist.«
Dannyl nickte. »Das habe ich erwartet, Euer Majestät«, erwiderte er und brachte ein Lächeln zustande. Er drehte sich zu Lorkin um. »Erzählt ihm, was Ihr mir erzählt habt, Lord Lorkin.«
Der junge Magier bedachte Dannyl mit einem erheiterten, beinahe tadelnden Blick, bevor er sich wieder dem König zuwandte. Dannyl verkniff sich ein Lächeln. Wenn er Ihnen erzählt, was er mir erzählt hat, wird er Ihnen praktisch gar nichts erzählen.
»In der Nacht, in der ich das Gildehaus verließ«, begann Lorkin, »hat sich eine Sklavin in mein Bett gestohlen und versucht, mich zu töten. Ich wurde von einer anderen Sklavin gerettet, die mich davon überzeugte, dass weitere Meuchelmörder kommen würden, um mich zu töten, wenn ich nicht mit ihr fortging. Meine Retterin war, wie Ihr gewiss erraten habt, in Wirklichkeit gar keine Sklavin, sondern eine der Verräterinnen. Sie hat mir erklärt, dass die Gesellschaft, zu der sie gehörte, sich vor dem sachakanischen Krieg gebildet habe, als eine Gruppe von Frauen sich aufgrund ihrer schlechten Behandlung in der sachakanischen Gesellschaft zusammengetan hatte. Der Krieg zwang sie in die Berge zu gehen, wo sie zu einem neuen Volk wurden, das Sklaverei und die Ungleichheit zwischen Mann und Frau ablehnte.«
»Sie werden von Frauen regiert«, unterbrach der König. »Ist das keine Ungleichheit?«
Lorkin zuckte die Achseln. »Es ist keine perfekte Ordnung, aber sie ist immer noch fairer als jede andere, die mir begegnet ist oder von der ich gehört habe.«
»Ihr seid also zu ihrem Stützpunkt gegangen?«
»Ja. Es war der sicherste Ort, da die Meuchelmörder noch immer Jagd auf mich machten.«
»Könntet Ihr ihn wiederfinden?«
Lorkin schüttelte den Kopf. »Nein. Man hat mir die Augen verbunden.«
Der König kniff die Augen zusammen. »Wie groß ist ihr Stützpunkt? Wie viele Verräterinnen leben dort?«
»Ich … ich kann es wirklich nicht sagen.«
»Ihr könnt nicht, oder Ihr wollt nicht?«
»Es war nicht die Art von Ort, wo man leicht schätzen kann, wie viele Menschen in der Nähe sind.«
»Versucht es trotzdem.«
Lorkin breitete die Hände aus. »Mehr als hundert.«
»Habt Ihr irgendwelche Eindrücke gewonnen, was ihre Kampfkraft betrifft?«
Wieder schüttelte Lorkin den Kopf. »Ich habe sie nie kämpfen sehen. Einige sind Magierinnen. Das wisst Ihr bereits. Ich kann Euch keine Zahlen nennen oder Euch sagen, wie stark oder wie gut ausgebildet sie sind.«
Eine Bewegung unter den Ashaki in der Nähe des Throns erregte Dannyls Aufmerksamkeit, und sein Herz setzte einen Schlag aus, als er Achati erkannte. Der Mann sah Dannyl kurz in die Augen, aber die einzige Regung, die er zeigte, war Nachdenklichkeit. Er beugte sich dichter zum König vor und murmelte etwas. Der König ließ Lorkin nicht aus den Augen, aber er senkte leicht die Brauen.
»Was habt Ihr getan, während Ihr bei den Verrätern wart?«, fragte er.
»Ich habe geholfen, die Kranken zu behandeln.«
»Sie haben Euch, einem Fremden, genug vertraut, um Euch Kranke zu überlassen?«
»Ja.«
»Habt Ihr sie irgendetwas gelehrt?«
»Einiges. Und ich habe selbst auch einiges gelernt.«
»Was habt Ihr sie gelehrt?«
»Einige neue Heilmethoden – und ich habe mehrere von ihnen gelernt, obwohl manche Pflanzen erfordern, die wir in Kyralia nicht haben.«
»Warum habt Ihr sie verlassen?«
Lorkin hielt inne; offensichtlich hatte er die Frage nicht so bald erwartet. »Weil ich nach Hause zurückkehren wollte.«
»Warum seid Ihr nicht früher gegangen?«
»Sie lassen Fremde normalerweise nicht gehen. Aber in meinem Fall haben sie ihre Meinung geändert.«
»Warum?«
»Es sprach nichts dagegen. Ich hatte nichts Wichtiges erfahren, also konnte ich nichts Wichtiges preisgeben. Als ich ging, sorgten sie dafür, dass ich niemals in der Lage sein würde, den Weg zurück zu ihnen zu finden.«
Der König betrachtete ihn nachdenklich. »Trotzdem habt ihr mehr vom Stützpunkt der Verräterinnen gesehen als jeder Nichtverräter zuvor. Es könnte Einzelheiten geben, deren Bedeutung Ihr nicht versteht. Diese Rebellen sind eine Gefahr für unser Land, und eines Tages werden sie vielleicht auch eine Gefahr für andere Länder in dieser Region sein, das Eure eingeschlossen. Werdet Ihr einer Gedankenlesung zustimmen?«
Lorkin wurde sehr still. In der Halle war es leise, als er den Mund öffnete, um zu antworten.
»Nein, Euer Majestät.«
»Ich werde meinen begabtesten Gedankenleser einsetzen. Er wird Eure Gedanken nicht durchsuchen, sondern es Euch ermöglichen, ihm Eure Erinnerungen zu präsentieren.«
»Ich weiß das zu schätzen, aber ich bin verpflichtet, das Wissen zu schützen, das die Gilde mich gelehrt hat. Ich muss ablehnen.«
Der Blick des Königs wanderte zu Dannyl. Seine Miene war undeutbar. »Botschafter, werdet Ihr Lord Lorkin befehlen, sich einer Gedankenlesung zu unterziehen?«
Dannyl holte tief Luft. »Bei allem Respekt, Euer Majestät, das kann ich nicht tun. Dazu fehlt mir die Autorität.«
Der König zog die Augenbrauen nach unten. »Aber Ihr habt einen Blutring, der es Euch erlaubt, Euch mit der Gilde in Verbindung zu setzen. Tut das. Holt Euch den Befehl von der Person, die die Autorität hat, ihn zu erteilen.«
Dannyl öffnete den Mund, um zu protestieren, besann sich dann jedoch eines Besseren. Er musste den Anschein erwecken, als versuche er, mit dem König zusammenzuarbeiten. Also griff er in seine Roben, holte Osens Ring aus seiner Tasche und streifte ihn über.
– Osen?
– Dannyl, kam die prompte Antwort. Der Administrator hatte gesagt, dass er dafür sorgen würde, dass er nichts zu tun hatte, während sie sich mit dem sachakanischen König trafen, und Dannyl nahm keine Überraschung bei dem anderen Mann wahr.
– Sie wollen, dass die Gilde Lorkin befiehlt, sich einer Gedankenlesung zu unterziehen.
– Ah. Natürlich. Sie werden kein Wort glauben, das er sagt.
– Was soll ich ihnen ausrichten?
– Dass nur Merin die Autorität hat, diesen Befehl zu erteilen, und er wird es erst in Erwägung ziehen, wenn er eine Chance hatte, Lorkin persönlich und unter vier Augen zu befragen.
Ein Frösteln überlief Dannyl. Die einzige Möglichkeit, wie der kyralische König seine Wünsche klarer machen konnte, wäre die, auf alle Förmlichkeiten zu verzichten und von Amakira zu verlangen, dass er Lorkin zurück nach Kyralia ziehen ließ. – Sonst nichts?
– Für den Moment nicht, nein. Schaut, was Amakira dazu sagt.
Dannyl streifte den Ring ab, hielt ihn in der Hand, blickte zu dem König von Sachaka auf und übermittelte ihm Osens Nachricht.
Amakira starrte Dannyl an, eine sehr, sehr lange Zeit, wie es ihm vorkam. Als er sich schließlich rührte, bewegte er zuerst seine Kinnmuskeln, was einen Hinweis auf den Ärger gab, mit dem die Nachricht ihn erfüllt hatte.
»Das ist umständlich«, sagte er leise. »Und zwingt mich zu der Frage, ob ich die Bemühungen um eine Zusammenarbeit zwischen unseren Nationen beiseiteschieben muss, um meine eigene zu beschützen.« Er schürzte die Lippen und drehte sich zu zwei der Ashaki um. »Bitte begleitet Lord Lorkin ins Gefängnis.«
Lorkin machte einen halben Schritt rückwärts, dann hielt er inne. Als die beiden Ashaki näher kamen, trat Dannyl einen Schritt vor.
»Ich muss protestieren, Euer Majestät!«, rief Dannyl aus. »Ich bitte im Namen der Verbündeten Länder, dass Ihr die Vereinbarung einhaltet …«