Es war eine Kondomhülle. Aufgerissen und leer. Sie wimmerte, als sie sich den Akt, von dem die Hülle Zeugnis gab, in all seiner Eindringlichkeit vor Augen führte. Sie hielt sich den Kopf.
Dann rappelte sie sich auf und strich sich das Kleid über den Hüften glatt. Sie suchte die Laken nach anderen abscheulichen Überraschungen ab. Na klar hatte ein verheiratetes Paar Sex. Klar. Aber Robin hatte ihr erzählt, sie nehme die Pille nicht, sie hatte gesagt, dafür schliefen sie und Brian nicht oft genug miteinander; außerdem hatte Denise den ganzen Sommer über am Körper ihrer Geliebten keine Spur von einem Ehemann wahrgenommen, weder geschmeckt noch gerochen, und so hatte sie sich erlaubt, das Selbstverständliche einfach zu vergessen.
Sie kniete sich vor den Papierkorb neben Brians Kommode. Sie rührte in Taschentüchern, Kontrollabschnitten und Zahnseide herum und fand eine zweite Kondomhülle. Hass auf Robin, Hass und Eifersucht, fiel sie an wie Migräne. Sie ging ins elterliche Badezimmer und fand im Mülleimer unter dem Waschbecken zwei weitere Hüllen und einen völlig verknoteten Gummi.
Sie hämmerte mit den Fäusten gegen ihre Schläfen. Sie hörte den Atem zwischen ihren Zähnen, als sie die Treppen hinunter und nach draußen rannte, in den Spätnachmittag. Es waren fünfunddreißig Grad, und sie zitterte wie Espenlaub.
Absonderlich, absonderlich. Sie lief zu Fuß zum Generator zurück und betrat das Gebäude von hinten, über die Laderampe. Sie machte eine Bestandsliste von Öl und Käse und Mehl und Gewürzen, füllte akribisch Bestellzettel aus, sprach mit einer humorlosen, deutlichen und höflichen Stimme Nachrichten auf zwanzig Anrufbeantworter, erledigte ihre E-Mail-Pflichten, briet sich auf dem Garland eine Niere, spülte mit einem einzigen Schluck Grappa hinterher und rief sich um Mitternacht ein Taxi.
Am nächsten Morgen kreuzte Robin unangekündigt in der Küche auf. Sie trug ein weites weißes Hemd, das aussah, als habe es einmal Brian gehört. Denise' Magen tat einen Sprung. Sie nahm sie mit in ihr Büro und schloss die Tür.
«Ich kann so nicht weitermachen», sagte Robin.
«Gut, ich auch nicht, also dann.»
Robins Gesicht war ein einziger roter Fleck. Sie kratzte sich am Kopf, zog andauernd, marottenhaft, die Nase hoch und drückte immer wieder mit dem Finger gegen ihren Brillensteg. «Ich war seit Juni nicht mehr in der Kirche», sagte sie. «Sinead hat mich bei ungefähr zehn verschiedenen Lügen ertappt. Sie möchte wissen, warum du nie mehr kommst. Ich kenne nicht mal die Hälfte der Jugendlichen, die in letzter Zeit im Projekt auftauchen. Überall herrscht Chaos, und ich kann so nicht weitermachen.»
Denise würgte eine Frage heraus: «Wie geht's Brian?»
Robin wurde rot. «Er weiß von nichts. Ihm geht's wie immer. Du weißt schon — er mag dich, er mag mich.»
«Toll.»
«Es ist alles so — komisch geworden.»
«Tja, und ich hab hier massenhaft zu tun, also dann.»
«Brian hat mir nie was Böses getan. Er hat das nicht verdient.»
Denise' Telefon klingelte, und sie ließ es klingeln. Der Kopf wollte ihr zerspringen. Sie konnte es nicht ertragen, dass Robin Brians Namen sagte.
Robin hob das Gesicht zur Decke; Tränenperlen reihten sich auf ihren Wimpern. «Ich weiß nicht, warum ich hergekommen bin. Ich weiß nicht, was ich rede. Ich fühle mich nur richtig, richtig mies und allein.»
«Finde dich damit ab», sagte Denise. «So werde ich's jedenfalls machen.»
«Warum bist du so kalt?»
«Weil ich ein kalter Mensch bin.»
«Wenn du mich anrufen würdest, wenn du mir sagen würdest, dass du mich liebst — »
«Finde dich damit ab! Herrgott nochmal! Finde dich damit ab!»
Robin schaute sie flehentlich an; doch selbst wenn sich die Sache mit den Kondomen klären ließe, was sollte Denise tun? Aufhören, in dem Restaurant zu arbeiten, das sie zum Star machte? Ins Schwarzenghetto ziehen und eine von Sineads und Erins beiden Mamis sein? Anfangen, klobige Sneakers zu tragen und vegetarisch zu kochen?
Sie wusste, dass sie sich selbst belog, aber sie hatte keine Ahnung, was von all den Dingen, die ihr durch den Kopf gingen, Lüge und was Wahrheit war. Sie starrte auf ihren Schreibtisch, bis Robin die Tür aufriss und floh.
Am nächsten Morgen schaffte es der Generator auf die erste Seite des Gastronomieteils der New York Times, gleich unterhalb des Knicks. Der Schlagzeile («Ein Generator erregt Megawatt-Aufsehen») folgte ein Foto von Denise, während die Aufnahmen der Innen- und Außenarchitektur auf Seite sechs verbannt worden waren, wo sie auch ihre Rippchen mit Sauerkraut abgebildet fand. So war es ihr recht. Das war schon viel besser. Bis zum Mittag hatte man ihr bereits einen
Gastauftritt im Food Channel und eine monatliche Kolumne im Philadelphia angeboten. Ohne Rob Zito zu informieren, wies sie das Mädchen, das die Reservierungen machte, an, jeden Abend um vierzig Plätze zu überbuchen. Gary und Caroline gratulierten ihr, jeder einzeln, am Telefon. Sie kanzelte Zito ab, weil er sich geweigert hatte, einer ortsansässigen NBC-Moderatorin für das Wochenende einen Tisch zu reservieren; sie erlaubte sich, ihn ein bisschen schlecht zu behandeln, es tat ihr einfach gut.
Betuchte Leute von der Sorte, wie sie in Philadelphia bislang rar gewesen war, drängten sich in drei Reihen an der Bar, als Brian mit einem Dutzend Rosen hereinkam. Er umarmte Denise, und sie schmiegte sich an ihn. Gab ihm ein wenig von dem, was Männern gefiel.
«Wir brauchen mehr Tische», sagte sie. «Drei Vierer und einen Sechser mindestens. Wir brauchen jemanden, der sich ganztags um die Reservierungen kümmert und was vom Sieben versteht. Wir brauchen eine bessere Parkplatzbewachung. Wir brauchen einen Konditormeister mit mehr Phantasie und weniger Allüren. Und denk mal darüber nach, ob wir nicht statt Rob lieber jemanden aus New York einstellen sollten, der mit dem neuen Kundenprofil, das wir jetzt kriegen werden, umgehen kann.»
Brian war überrascht. «Das willst du Rob antun?»
«Er wollte keine Reklame für meine Rippchen mit Sauerkraut machen», sagte Denise. «Die Times mochte meine Rippchen mit Sauerkraut. Wenn du mich fragst: Scheiß auf ihn, wenn er der Aufgabe nicht gewachsen ist.»
Die Härte in ihrer Stimme brachte Glanz in Brians Augen. Auch so schien er sie zu mögen.
«Was immer du willst», sagte er.
Am Samstag schloss sie sich Brian und Jerry Schwartz und zwei Blondinen mit hohen Wangenknochen sowie dem Leadsänger und dem Leadgitarristen einer ihrer Lieblingsbands an, die spätnachts auf dem Dach des Generators, wo Brian einen kleinen Zaun gezogen hatte, noch ein paar Drinks zu sich nahmen. Die Nacht war warm, und die Insekten am Fluss waren fast so laut wie die Schuylkill-Schnellstraße. Beide Blondinen sprachen in ihre Handys. Der Gitarrist, noch heiser von einem Gig, bot ihr eine Zigarette an und begutachtete ihre Narben.
«Mannomann, Ihre Hände sehn ja schlimmer aus als meine.»
«Mein Job», sagte sie, «besteht nun mal darin, Schmerzen auszuhalten.»
«Köche sind ja auch berühmt dafür, dass sie von allem gern 'ne Überdosis nehmen.»
«Ich trinke meist einen gegen Mitternacht», sagte sie. «Und wenn ich morgens um sechs aufstehe, schlucke ich zwei Aspirin.»
«Keiner hält mehr aus als Denise», entblödete sich Brian nicht, über die Antennen der Blondinen hinweg zu prahlen.
Das beantwortete der Gitarrist, indem er die Zunge herausstreckte, seine Zigarette wie eine Flasche Augentropfen darüber hielt und die Glut langsam in den glitzernden Spalt hinabsenkte. Es zischte laut genug, um die Blondinen von ihren Telefonaten abzulenken. Die größere von beiden kreischte und rief den Namen des Gitarristen.