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«Aber zynisch ist die Kampagne nicht.»

«Was ist sie denn dann?»

«Sie feiert die Frau am Arbeitsplatz. Sie bringt Geld für die Krebsforschung ein. Sie ermahnt uns Frauen, uns regelmäßig selbst zu untersuchen und uns die Hilfe zu holen, die wir brauchen. Sie gibt uns das Gefühl, dass diese Technologie uns und nicht irgendwelchen Kerlen gehört.»

«Schön und gut», sagte Chip. «Nur: Die Frage ist nicht, ob wir uns Gedanken über Brustkrebs machen, sondern was Brustkrebs mit dem Verkauf von Büroeinrichtung zu tun hat.»

Jetzt trat Chad für Melissa in den Ring. «Aber das ist doch die Botschaft der Werbung: dass einem der Zugang zu bestimmten Informationen das Leben retten kann.»

«Wenn Pizza Hut also neben den Chilikrümeln ein kleines Schild aufstellt, das zur Selbstuntersuchung der Hoden aufruft, dann darf sich der Laden damit brüsten, am glorreichen und mutigen Feldzug gegen Krebs teilzunehmen?»

«Warum nicht?», fragte Chad.

«Gibt es irgendjemanden, dem das nicht geheuer ist?»

So jemanden gab es nicht. Mit verschränkten Armen und einem unfrohen Grinsen räkelte sich Melissa auf ihrem Stuhl. Ob er ihr damit unrecht tat oder nicht: Chip hatte das Gefühl, dass sie in nicht mehr als fünf Minuten ein ganzes Semester gründlichen Unterrichts zunichte gemacht hatte.

«Dann ziehen Sie mal in Betracht», sagte er, «dass ‹Komm schon, Mädchen!› gar nicht produziert worden wäre, wenn W — nicht gerade ein neues Produkt auf den Markt gebracht hätte. Und ziehen Sie auch in Betracht, dass diejenigen, die bei W — arbeiten, in erster Linie ihre Aktienbezugsrechte wahrnehmen und sich mit zweiunddreißig zur Ruhe setzen wollen, und diejenigen, die W…Aktien besitzen» (Chips Bruder und Schwägerin, Gary und Caroline, besaßen sehr viele), «kein anderes Ziel haben, als sich größere Häuser zu bauen und größere Autos zu kaufen und noch mehr von den endlichen Vorräten der Erde aufzubrauchen.»

«Was ist falsch daran, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten?», sagte Melissa. «Warum ist es an sich schon schlecht, Geld zu verdienen?»

«Baudrillard würde vielleicht antworten, dass das Übel einer Kampagne wie ‹Komm schon, Mädchen!› in der Entkoppelung von Signifikant und Signifikat besteht. Darin, dass eine weinende Frau nicht mehr nur ‹Traurigkeit› bedeutet. Sie bedeutet jetzt auch: ‹Wünschen Sie sich eine neue Büroeinrichtung.› Und sie bedeutet: ‹Unsere Chefs sorgen sich aufrichtig um uns.›»

Die Wanduhr zeigte halb drei. Chip hielt inne und wartete darauf, dass die Glocke läutete und das Semester zu Ende war.

«Entschuldigen Sie», sagte Melissa, «aber das ist alles so ein Schwachsinn.»

«Was ist Schwachsinn?», fragte Chip.

«Dieses ganze Seminar», sagte sie. «Jede Woche reiner Schwachsinn. Ein Kritiker nach dem anderen, der die Hände ringt und den Zustand der Kritik beweint. Keiner kann formulieren, was genau er auszusetzen hat. Aber alle wissen, dass irgendwas faul ist. Alle wissen, dass ‹Kapital› ein schmutziges Wort ist. Und wenn jemand Spaß hat oder reich wird: widerlich! Scheußlich! Immer ist das gleich der Tod von irgendetwas. Und Leute, die glauben, sie seien frei, sind gar nicht ‹wirklich› frei. Und Leute, die glauben, sie seien glücklich, sind gar nicht ‹wirklich› glücklich. Und die Gesellschaft radikal zu kritisieren ist unmöglich geworden, obwohl keiner genau sagen kann, was an der Gesellschaft eigentlich so radikal verkehrt ist, dass wir eine dermaßen radikale Kritik nötig haben. Es ist absolut typisch, es passt perfekt, dass Sie diese Werbespots verabscheuen!», sagte sie zu Chip, während überall in der Wroth-Halle endlich die Glocken läuteten. «Da wird für Frauen und Farbige und Schwule und Lesben vieles immer besser, da gibt es immer mehr Integration und Offenheit, und alles, worüber Sie sich Gedanken machen, ist so ein blödes, dröges Problem mit Signifikanten und Signifikaten Wahrscheinlich können Sie nicht anders, weil es ja an allem irgendwas auszusetzen geben muss, aber bloß um eine Werbung, die für Frauen wirklich toll ist, runterzumachen, behaupten Sie, dass es schlecht sei, reich zu sein, und schlecht, für das Kapital zu arbeiten, und ja, ich weiß, es hat geläutet.» Sie klappte ihr Heft zu.

«Gut», sagte Chip. «In diesem Sinne. Sie haben jetzt die Anforderungen für den Grundkurs Kulturwissenschaft erfüllt. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer.»

Er war machtlos gegen die Bitterkeit in seiner Stimme. Rasch beugte er sich über das Videogerät und konzentrierte sich darauf, «Komm schon, Mädchen!» zurückzuspulen und nur um des Knöpfedrückens willen auf Knöpfe zu drücken. Ein paar Studenten, er nahm es sehr wohl wahr, trödelten hinter ihm herum, vielleicht wollten sie ihm danken, dass er sein Letztes gegeben, oder ihm zumindest sagen, dass ihnen das Seminar gefallen habe, doch er schaute erst von dem Videogerät auf, als er allein im Raum war. Dann ging er nach Hause in die Tilton Ledge und begann zu trinken.

Melissas Vorwürfe hatten ihn tief getroffen. Ihm war nie ganz klar gewesen, wie sehr er die ausdrückliche Aufforderung seines Vaters, einer Arbeit nachzugehen, die der Gesellschaft «nützlich» war, verinnerlicht hatte. Eine kranke Kultur zu kritisieren, selbst wenn diese Kritik nichts bewirkte, hatte er immer nützlich gefunden. Doch wenn die vermeintliche Krankheit nun gar keine Krankheit war — wenn die große Materialistische Ordnung von Technologie, Konsumgier und Humanmedizin das Leben der ehemals Unterdrückten wirklich verbesserte, wenn diese Ordnung einzig und allein weißen männlichen Heteros wie Chip nicht behagte — , dann besaß seine Kritik nicht einmal mehr den abstraktesten Nutzen. Dann war sie, um mit Melissa zu sprechen, reiner Schwachsinn.

Da ihm nicht danach zumute war, an seinem neuen Buch zu arbeiten, wie er es sich für den Sommer eigentlich vorgenommen hatte, kaufte Chip ein überteuertes Flugticket nach London und fuhr, dort angekommen, per Anhalter weiter nach Edinburgh, wo er die Gastfreundschaft einer schottischen Performance-Künstlerin strapazierte, die im vergangenen Winter am D — College gelehrt und Kostproben ihrer Kunst gegeben hatte. Irgendwann sagte ihr Freund: «Zeit zu gehen, Kumpel», und Chip zog, mit einem Rucksack voll Heidegger und Wittgenstein, die zu lesen er zu einsam war, von dannen. Er hasste den Gedanken, dass er zu den Männern gehörte, die ohne Frau nicht leben konnten. Aber seit Ruthie ihm den Laufpass gegeben hatte, war er mit keiner mehr im Bett gewesen. In der Geschichte des D — Colleges war er der einzige männliche Professor, der je «Feministische Theorie» unterrichtet hatte, und er verstand durchaus, wie wichtig es für Frauen war, «Erfolg» nicht mit «einen Mann abkriegen» und «Misserfolg» nicht mit «keinen Mann abkriegen» gleichzusetzen. Doch er war ein einsamer männlicher Hetero, und ein einsamer männlicher Hetero hatte keine entsprechend tröstliche «Maskulinistische Theorie», die ihm aus der Klemme helfen konnte, jenem Dilemma, das der Schlüssel zu aller Frauenfeindlichkeit war:

¶ Der Eindruck, ohne eine Frau nicht existieren zu können, gab einem Mann das Gefühl von Schwäche.

¶ Zugleich ging dem Mann, der keine Frau in seinem Leben hatte, jenes Gefühl von Handlungsfähigkeit und Individualität verloren, das, so oder so, das Fundament seiner Männlichkeit war.

So manchen Morgen, an grünen, verregneten schottischen Orten, war Chip drauf und dran, dieser Pseudoklemme zu entrinnen und wieder Herr seiner selbst zu werden, bloß um sich um vier Uhr nachmittags an irgendeinem Bahnhof wieder zu finden, wo er Bier trank, Pommes frites mit Mayonnaise aß und sich an Yankee-Studentinnen heranmachte. Als Verführer stand ihm seine Zerrissenheit ebenso im Weg wie die Tatsache, dass er keinen Glasgower Akzent hatte, der junge Amerikanerinnen weiche Knie bekommen ließ. Gerade mal einen einzigen Treffer landete er, und den bei einem jungen Hippiemädchen aus Oregon, die Ketchup-Flecken auf dem Unterhemd hatte und so überwältigend nach fettiger Kopfhaut roch, dass er einen Großteil der Nacht durch den Mund atmete.