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Seine Missgeschicke hörten sich jedoch eher komisch denn erbärmlich an, als er, nach Connecticut zurückgekehrt, seine kauzigen Freunde damit unterhielt. Er fragte sich, ob sein schottisches Tief vielleicht die Folge der fetten Ernährung gewesen war. Ihm wurde schlecht, wenn er an die glänzenden Stücke gebräunten Soundso-Fischs dachte, die graugrünen Bögen triefender Kartoffelchips, den Geruch von Kopffett und Frittieröl oder auch nur an die Wörter «Firth of Forth».

Auf dem wöchentlichen Bauernmarkt unweit von D — kaufte er bergeweise prachtvolle Tomaten, weiße Auberginen und dünnschalige goldene Pflaumen. Er aß Rucola («Rauke», wie die alten Farmer sagten), die einen derart intensiven Geschmack hatte, dass ihm die Tränen in die Augen traten wie beim Lesen von Thoreau. Er gewöhnte sich das Trinken ab, schlief regelmäßiger, trank weniger Kaffee und ging zweimal die Woche ins Fitnessstudio. Er las den verfluchten Heidegger, und jeden Morgen machte er seine Kniebeugen. Auch andere Teile des Selbstverbesserungspuzzles landeten an den richtigen Stellen, und so erlebte er, während das kühle Arbeitswetter ins Carparts-Creek-Tal zurückkehrte, eine Zeit beinah Thoreau'schen Wohlbefindens. Zwischen zwei Sätzen auf dem Tennisplatz versicherte ihm Jim Leviton, dass seiner Berufung nichts im Wege stehe, das Auswahlverfahren eine reine Formalität sei und er sich wegen seiner Konkurrentin, einer jungen Wissenschaftlerin namens Vendia O'Fallon, keine Sorgen machen solle. Im Herbstsemester gab Chip Renaissance-Dichtung und Shakespeare, zwei Seminare, für die er sein kritisches Rüstzeug nicht zu überdenken brauchte. Während er sich anschickte, die letzten Höhenmeter des Professorenbergs zu bewältigen, war er froh, dass er mit leichtem Gepäck unterwegs war; ja trotz allem fast glücklich, keine Frau an seiner Seite zu haben.

An einem Freitag im September, er bereitete sich gerade ein Essen aus Brokkoli, Kürbis und frischem Schellfisch zu und freute sich darauf, einen Abend lang Arbeiten zu korrigieren, tänzelte an seinem Küchenfenster ein Paar Beine vorbei. Er kannte dieses Tänzeln. Er kannte Melissas Art zu gehen. An keinem Lattenzaun konnte sie vorbeilaufen, ohne mit den Fingern daran entlangzufahren. Auf Korridoren blieb sie plötzlich stehen, um Tanzschritte zu machen oder Himmel und Hölle zu spielen. Sie lief rückwärts oder seitwärts, sie hüpfte oder ging mit federndem Schritt.

Ihr Klopfen klang nicht eben reumütig. Durch das Fliegengitter sah er, dass sie einen Teller kleiner, rosa glasierter Napfkuchen mitgebracht hatte.

«Ja, was gibt's?», fragte er.

Melissa hob den Teller hoch, balancierte ihn auf den Handflächen. «Napfkuchen», sagte sie. «Dachte mir, Sie könnten jetzt mal ein paar Napfkuchen gebrauchen.»

Alles andere als theatralisch veranlagt, fühlte Chip sich Leuten, die es waren, schnell unterlegen. «Weshalb bringen Sie mir Napfkuchen?», fragte er.

Melissa kniete sich hin und stellte den Teller zwischen die zu Staub zertretenen Überreste von Efeu und Tulpen auf die Fußmatte. «Ich lass sie einfach mal hier stehen», sagte sie, «und Sie machen damit, was Sie wollen. Wiedersehen!» Sie breitete die Arme aus, drehte auf der Schwelle der Tür eine Pirouette und rannte, auf Zehenspitzen, den mit Fähnchen markierten Weg hinunter.

Zurück in seiner Küche, nahm Chip den Kampf mit dem Schellfischfilet wieder auf, durch das sich, genau in der Mitte, eine blutbraune Knorpelfalte zog, die er unbedingt herausschneiden wollte. Doch der Fisch hatte eine zähe Faserung und war schwer in den Griff zu kriegen. «Leck mich, kleines Fräulein», sagte er, als er das Messer ins Spülbecken warf.

Die Napfkuchen waren buttrig, die Glasur war es auch. Nachdem er sich die Hände gewaschen und eine Flasche Chardonnay geöffnet hatte, aß er vier davon und stellte den rohen Fisch in den Kühlschrank. Die Schale des zu lange gebackenen Kürbisses war hart wie Reifengummi. Cent ans de cinéma érotique, ein Erbauungsvideo, das seit Monaten bei ihm im Regal stand, ohne sich zu mucksen, forderte auf einmal seine sofortige und ungeteilte Aufmerksamkeit. Er ließ die Rollos herab, trank den Wein, holte sich einen nach dem anderen runter und aß, bevor er schlafen ging, noch zwei weitere Napfkuchen, aus denen er nunmehr Pfefferminze herausschmeckte, schwache, buttrige Pfefferminze.

Am nächsten Morgen war er um sieben auf und machte vierhundert Kniebeugen. Dann tauchte er Cent ans de cinéma érotique ins Spülwasser, damit es, sozusagen, unentflammbar wurde. (Genauso war er, als er sich das Rauchen abgewöhnen wollte, schon mit etlichen Zigarettenschachteln verfahren.) Er hatte keine Ahnung, wen er gemeint hatte, gestern, als er das Messer ins Spülbecken geworfen hatte. Seine Stimme hatte überhaupt nicht nach ihm selbst geklungen.

Er ging in sein Büro in der Wroth-Halle und korrigierte Arbeiten. Einmal schrieb er: Cressidas Charakter mag Toyota zur Wahl des Produktnamens inspiriert haben; dass umgekehrt Toyotas Cressida Inspiration für den Shakespeare-Text gewesen ist, bedürfte einer überzeugenderen Argumentation als der Ihren. Um seine Kritik zu mildern, setzte er ein Ausrufezeichen dahinter. Manchmal, wenn er besonders schwache studentische Elaborate auseinander nahm, zeichnete er Smileys an den Rand.

Rechtschreibung! ermahnte er eine Studentin, die in ihrer achtseitigen Arbeit durchgängig «Trolius» statt «Troilus» geschrieben hatte.

Und das ewig besänftigende Fragezeichen. Neben den Satz: «Hier beweist Shakespeare, dass Foucault, was die Geschichtlichkeit der Moral betrifft, nur allzu Recht hat», schrieb Chip: Umformulieren? Vielleicht: «Hier scheint der Shakespeare-Text beinahe Foucault (besser: Nietzsche?) vorwegzunehmen…»?

An einem windigen Abend kurz nach Halloween, fünf Wochen und zehn- oder fünfzehntausend studentische Irrtümer später, korrigierte er immer noch Arbeiten, als er ein Scharren vor seiner Bürotür hörte. Er öffnete, und sein Blick fiel auf eine prall mit Halloween-Süßigkeiten gefüllte Ramschladentüte, die an der flurseitigen Klinke hing. Die Wohltäterin, Melissa Paquette, trat gerade den Rückzug an.

«Was wollen Sie?», sagte er.

«Bloß nett sein», sagte Melissa.

«Na, vielen Dank. Aber ich versteh's nicht.»

Melissa kehrte um. Sie trug eine weiße Maler-Latzhose, ein langärmeliges Thermo-Unterhemd und schreiend pinkfarbene Socken. «Vor jeder Haustür habe ich ‹Süßes, sonst gibt's Saures› gerufen. Das hier ist ungefähr, na, sagen wir mal, ein Fünftel meiner Ausbeute.»

Als sie fast vor ihm stand, wich Chip zurück. Sie folgte ihm in sein Büro und ging auf Zehenspitzen an den Regalen entlang, Buchrücken lesend, bis sie einmal rundherum war. Chip lehnte sich an seinen Schreibtisch und verschränkte die Arme fest vor der Brust.

«Ich mache jetzt feministische Theorie bei Vendia», sagte Melissa.

«Das ist der logische nächste Schritt. Wo Sie mit der rückwärts gewandten patriarchalischen Tradition der Kritischen Theorie ja kürzlich abgeschlossen haben.»

«Genauso sehe ich das auch», sagte Melissa. «Das Dumme ist nur, dass Vendias Seminar so schlecht ist. Alle, die es letztes Jahr bei Ihnen belegt haben, fanden es toll. Vendia stellt sich vor, dass wir die ganze Zeit rumsitzen und über unsere Gefühle reden. Weil die Alte Theorie vom Kopf ausging. Also muss die Neue, Wahre Theorie vom Herzen ausgehen. Ich bin nicht mal sicher, ob sie all das Zeugs, das sie uns lesen lässt, selber kennt.»

Durch die geöffnete Tür konnte Chip die Tür von Vendia O'Fallons Büro sehen. Sie war mit fröhlichen Postern und Slogans tapeziert — Betty Friedan im Jahre 1965, strahlende guatemaltekische Bauersfrauen, ein weiblicher Fußballstar im Moment des Triumphs, ein Bass-Ale-Plakat von Virginia Woolf, ZERSTÖRT DAS HERRSCHENDE PARADIGMA — , die ihn auf das Trübseligste an seine ehemalige Freundin Tori Timmelman erinnerten. Wenn jemand seine Meinung dazu hören wollte: Waren sie vielleicht High-School-Kids? Waren das hier ihre Kinderzimmer?