Denise wusch sich mit einem Seufzen die Hände und begann, das Mehl für die Sauerkrautsauce zu bräunen. «Wenn ihr bei mir einziehen wollt», sagte sie, «müssen wir noch ein paar Dinge klären.»
«Ich habe doch gesagt, es war keine Kritik.»
«Das eine ist, dass es mir im Augenblick ziemlich schlecht geht. Zum Beispiel habe ich meine Stelle beim Generator nicht gekündigt. Ich bin gefeuert worden.»
«Gefeuert?»
«Ja. Leider. Willst du wissen, warum?»
«Nein!»
«Bist du sicher?»
«Ja!»
Denise lächelte und rührte noch mehr Fett von dem Speck, den sie ausgelassen hatte, in den Topf.
«Denise, ich verspreche dir», sagte ihre Mutter, «wir werden dir nicht im Weg sein. Du zeigst mir einfach, wo der Supermarkt ist und wie deine Waschmaschine funktioniert, und dann kannst du kommen und gehen, wann du willst. Ich weiß, dass du dein eigenes Leben hast. Ich will dich in keiner Weise stören. Wenn es irgendeine andere Möglichkeit für Dad gäbe, an den Tests teilzunehmen, glaub mir, dann würde ich sie nutzen. Aber Gary hat uns nie eingeladen, und ich glaube, Caroline wären wir sowieso nicht willkommen.»
Das Fett und die gerösteten Rippchen und das schmorende Kraut dufteten gut. In dieser Küche zubereitet, hatte das Gericht wenig mit der hohen Kunst des Kochens zu tun, die sie für Tausende von Fremden im Generator praktiziert hatte. Die Generator-Rippchen und der Generator-Schwertfisch hatten mehr gemeinsam als die Generator-Rippchen und diese Hausmacher-Rippchen. Da glaubte man zu wissen, was Essen sei, hielt es für etwas Elementares, und dabei vergaß man, wie viel Restaurant in Restaurantessen und wie viel Zuhause in Hausgemachtem steckte.
«Warum erzählst du mir nicht die Geschichte von Norma Greene?», fragte sie ihre Mutter.
«Na ja, letztes Mal bist du so böse auf mich geworden», sagte Enid.
«Ich war hauptsächlich wütend auf Gary.»
«Ich möchte ja nur, dass du nicht solche Verletzungen davonträgst wie Norma. Ich möchte, dass du glücklich bist und endlich zur Ruhe kommst.»
«Mom, ich werde nie wieder heiraten.»
«Das weißt du doch gar nicht.»
«Doch, das weiß ich wohl.»
«Das Leben ist voller Überraschungen. Du bist jung und siehst ganz goldig aus.»
Denise ließ noch etwas Fett in den Topf; es gab jetzt keinen Grund mehr zur Zurückhaltung. Sie sagte: «Hörst du mir zu? Ich bin sicher, dass ich nie wieder heiraten werde.»
Doch da knallte auf der Straße eine Wagentür, und Enid eilte zum Esszimmerfenster, um die Gardinen beiseite zu schieben.
«Ach, das ist Gary», sagte sie enttäuscht. «Bloß Gary.»
Gary kam mit den Eisenbahnmemorabilien, die er im Verkehrsmuseum erstanden hatte, in die Küche geweht. Offensichtlich beflügelt von einem Vormittag für sich allein, tat er seiner Mutter mit Freuden den Gefallen, das Christkind an den Adventskalender zu heften; und blitzschnell wanderten Enids Sympathien von ihrer Tochter zu ihrem Sohn. Sie schwärmte von der herrlichen Arbeit, die Gary unten in der Dusche geleistet habe, und von der enormen Verbesserung durch den Hocker. Traurig beendete Denise ihre Vorbereitungen für das Abendessen, richtete ein leichtes Mittagessen an und spülte einen Berg von Geschirr, während der Himmel in den Fenstern vollends grau wurde.
Nach dem Essen ging sie in ihr Zimmer, das Enid mit den Jahren zu fast perfekter Anonymität umdekoriert hatte, und packte Geschenke ein. (Sie hatte für alle etwas zum Anziehen gekauft; sie wusste, was andere gerne trugen.) Dann faltete sie das Kleenex auseinander, das die dreißig sonnigen Kapseln Mexican A enthielt, und überlegte kurz, sie als Geschenk für Enid zu verpacken, aber die Grenzen des Versprechens, das sie Gary gegeben hatte, durften nicht überschritten werden. Also formte sie das Kleenex mit den Kapseln wieder zu einer Kugel, stahl sich aus ihrem Zimmer und die Treppe hinunter und stopfte die Droge in die eben frei gewordene vierundzwanzigste Tasche des Adventskalenders. Gary und ihre Eltern waren im Keller. Sie konnte zurück nach oben schleichen und die Tür ihres Zimmers schließen, als hätte sie es nie verlassen.
Früher, als sie noch klein gewesen war und Enids Mutter in der Küche die Rippchen gebraten und Gary und Chip ihre unglaublich hübschen Freundinnen mit nach Hause gebracht und es allen Spaß gemacht hatte, möglichst viele Geschenke für Denise zu kaufen, da war dies der längste Nachmittag des Jahres gewesen. Ein dunkles Naturgesetz hatte bestimmt, dass die Familie vor Einbruch der Dämmerung nicht zusammentreffen durfte; alle hatten sich auf verschiedene Zimmer verteilt und gewartet. Manchmal, als Teenager, hatte Chip Erbarmen mit dem Nesthäkchen gehabt und Schach oder Monopoly mit ihr gespielt. Später hatten er und seine jeweilige Freundin sie mit ins Einkaufszentrum genommen. Mit zehn oder zwölf gab es kein größeres Glück für sie, als auf diese Weise einbezogen zu sein: sich von Chip über die Übel des Spätkapitalismus aufklären zu lassen, Couture-Details über seine Freundin zu sammeln, die Länge ihrer Ponyfransen und die Höhe ihrer Absätze zu studieren, eine Stunde allein im Buchladen zu verbringen und dann, vom Hügel oberhalb des Einkaufszentrums, zurückzublicken auf die stumme, bedächtige Choreographie des Verkehrs im schwindenden Tageslicht.
Selbst jetzt war es der längste Nachmittag. Schneeflocken, eine Nuance dunkler als der schneefarbene Himmel, fielen inzwischen in Mengen herab. Kälte drang durch die Sturmfenster, sie mogelte sich an den Strömen und Schwaden heizkesselwarmer Luft aus den Luftschlitzen vorbei, sie kam einem direkt an den Hals. Um nicht krank zu werden, legte Denise sich ins Bett und zog die Decke bis ans Kinn.
Sie schlief fest, traumlos, und erwachte — wo? um wie viel Uhr? an welchem Tag? — von zornigen Stimmen. Schnee hatte die Ecken der Fenster zugesponnen und die weiße Sumpfeiche gepudert. Am Himmel war Licht, aber nicht mehr lange.
Al, Gary hat sich SOLCHE Mühe gegeben -
Ich habe ihn nicht darum gebeten!
Kannst du es nicht wenigstens ein einziges Mal versuchen? Nach der ganzen Arbeit, die er sich gestern gemacht hat?
Ich habe das Recht, ein Bad zu nehmen, wenn ich ein Bad nehmen möchte.
Dad, es ist nur eine Frage der Zeit, bis du auf der Treppe stürzt und dir das Genick brichst.
Ich habe niemanden um Hilfe gebeten.
Da tust du auch verdammt recht daran! Ich habe Mom nämlich verboten — verboten, hörst du — , auch nur in die Nähe der Badewanne zu gehen -
Al, bitte, probier die Dusche doch wenigstens mal aus -
Mom, vergiss es, lass ihn, dann bricht er sich eben das Genick, das wäre für uns alle sowieso besser als -
Gary -
Die Stimmen wurden lauter, offenbar kam der peinliche Zwischenfall die Treppe herauf. Denise hörte den schweren Schritt ihres Vaters auf dem Flur. Sie setzte ihre Brille auf und öffnete die Tür, gerade als Enid, die wegen ihrer kaputten Hüfte nicht so schnell war, den oberen Treppenabsatz erreicht hatte. «Denise, was machst du?»
«Ich hab geschlafen.»
«Sprich du mal mit deinem Vater. Sag ihm, wie wichtig es ist, dass er die Dusche ausprobiert, wo sich Gary doch solche Mühe damit gegeben hat. Auf dich wird er hören.»
Die Tiefe ihres Schlafs und die Art und Weise ihres Erwachens hatten dazu geführt, dass Denise' Wahrnehmung nicht mehr synchron mit der äußeren Wirklichkeit lief; die Vorgänge im Flur und die Vorgänge in den Flurfenstern hatten undeutliche Antimaterienschatten; Geräusche waren gleichzeitig zu laut und kaum zu hören. «Warum — », sagte sie. «Warum muss das gerade heute sein?» «Weil Gary morgen abreist und er sehen soll, ob Dad jetzt mit der Dusche zurechtkommt.»
«Und was sprach noch mal gegen die Badewanne?»
«Dass er nicht alleine wieder raus kann. Und dass er so unsicher auf der Treppe ist.»
Denise schloss die Augen, aber das verschlimmerte ihr Asynchronismus-Problem nur. Sie schlug sie wieder auf.
«Ach, und außerdem», sagte Enid, «du hast ihm gar nicht bei seinen Übungen geholfen, wie du's versprochen hattest!»