«Und jetzt mache ich mir Sorgen um unsere Krankenversicherung», vertraute Enid Denise an. «Orfic Midland hat vor, allen ehemaligen Midpac-Angestellten spätestens ab Mai nur noch Anspruch auf bestimmte Versicherungsleistungen zu gewähren. Also muss ich eine Krankenkasse finden, die wenigstens ein paar von Dads und meinen Ärzten auf ihrer Liste hat. Ich habe ja schon eine Flut von Prospekten zu Hause, aber die Unterschiede stehen alle im Kleingedruckten. Ehrlich gesagt, Denise — ich glaube, ich komme damit nicht zurecht.»
Wie um zu verhindern, dass Enid sie um Hilfe bat, sagte Denise schnelclass="underline" «Wie regelt Hedgpeth denn diese Dinge?»
«Also, der hat noch ein paar alte Privatpatienten wie Dad, aber sonst arbeitet er nur mit Dean Driblett zusammen», antwortete Enid. «Ich hab dir ja von der großen Party in Deans fabelhaftem, riesigem neuem Haus erzählt. Dean und Trish sind wirklich das netteste junge Paar, das ich kenne, aber Himmel, Denise, letztes Jahr, als Dad über den Rasenmäher gefallen ist, habe ich in seiner Firma angerufen, und weißt du, was die dafür haben wollten, unseren kleinen Rasen zu mähen? Fünfundfünfzig Dollar die Woche! Ich habe nichts dagegen, wenn jemand Gewinne macht, ich finde es ganz herrlich, dass Dean so erfolgreich ist, von seiner Parisreise mit Honey hab ich dir ja erzählt, also, auf ihn lass ich nichts kommen. Aber fünfundfünfzig Dollar die Woche!»
Denise probierte Chips Grüne-Bohnen-Salat und griff nach dem Olivenöl. «Was würde es kosten, Privatpatient zu bleiben?»
«Hunderte von Dollars mehr im Monat, Denise. Keiner von unseren Freunden ist Kassenpatient, alle sind privat versichert, aber ich weiß nicht, wie wir uns das leisten sollen. Dad hat so vorsichtig investiert, wir können froh sein, dass wir für den Notfall überhaupt ein Polster haben. Und da ist noch so eine Sache, die mir große, große, große Sorgen macht.» Enid dämpfte die Stimme. «Eins von Dads alten Patenten wirft endlich etwas ab, und ich brauche deinen Rat.»
Sie ging kurz aus der Küche und vergewisserte sich, dass Alfred auch wirklich nichts hören konnte. «Geht's dir gut, Al?», rief sie.
Er balancierte sein zweites Horsd'oeuvre, den kleinen grünen Güterwagen, unter seinem Kinn. Als habe er ein kleines Tier gefangen, das ihm leicht wieder entwischen könnte, schüttelte er, ohne aufzublicken, den Kopf.
Enid kehrte mit ihrer Handtasche zurück in die Küche. «Da hat er schon mal die Chance, ein bisschen Geld zu verdienen, und dann kümmert es ihn gar nicht. Gary hat letzten Monat mit ihm telefoniert, weil er ihn dazu bewegen wollte, ein wenig fordernder aufzutreten, aber Dad ist der Kragen geplatzt.»
Denise wurde starr. «Was sollt ihr denn Garys Meinung nach tun?»
«Bloß ein wenig fordernder auftreten. Hier, ich zeig dir den Brief.»
«Mutter, das sind Dads Patente. Ihr müsst es schon ihm überlassen, was er damit macht.»
Enid hoffte, dass der Umschlag, der sich ganz unten in ihrer Handtasche befand, das verschwundene Einschreiben von der Axon Corporation war. In ihrer Handtasche, genau wie in ihrem Haus, tauchte verloren Geglaubtes manchmal wie durch ein Wunder wieder auf. Aber der Brief, den sie jetzt zutage förderte, war das notariell beglaubigte Original, das nie verloren gewesen war.
«Lies mal», sagte sie, «vielleicht bist du ja der gleichen Meinung wie Gary.»
Denise stellte den Cayennepfeffer, mit dem sie Chips Salat bestreut hatte, weg und nahm den Brief. Enid blickte ihr über die Schulter und las ihn erneut, um sicherzugehen, dass alles noch so dastand, wie sie es in Erinnerung hatte.
Sehr geehrter Herr Dr. Lambert,
im Auftrag der Axon Corporation, 24 East Industrial Serpentine, Schwenksville, Pennsylvania, schreibe ich Ihnen, um Ihnen die Zahlung einer Pauschalsumme von fünftausend Dollar ($ 5.000,00) für die vollständige, ausschließliche und unwiderrufliche Nutzung der Rechte an dem US-Patent #4.934.417 (THERAPEUTISCHE EISENACETAT-GEL- ELEKTORPOLYMERISATION) anzubieten, dessen ursprünglicher und alleiniger Inhaber Sie sind.
Die Geschäftsleitung von Axon bedauert, Ihnen keine höhere Vergütung in Aussicht stellen zu können. Das firmeneigene Produkt befindet sich noch in einer frühen Testphase, und es kann nicht garantiert werden, dass die Investition Früchte tragen wird.
Wenn Sie die im beigefügten Lizenzvertrag aufgeführten Bedingungen akzeptieren, bitte ich Sie, alle drei Exemplare unterschrieben und notariell beglaubigt bis zum 30. September an mich zurückzusenden.
Mit freundlichen Grüßen Ihr
Joseph K. Prager
Seniorpartner
Bragg Knuter & Speigh
Als der Brief im August mit der Post gekommen und Enid sofort in den Keller gegangen war, um Alfred zu wecken, hatte er achselzuckend gesagt: «Fünftausend Dollar ändern nichts an unserem Lebensstil.» Enid hatte vorgeschlagen, der Axon Corporation zu schreiben und eine höhere Vergütung zu verlangen, doch Alfred schüttelte den Kopf. «Dann werden wir die fünftausend Dollar bald für einen Anwalt ausgegeben haben», sagte er, «und was hätten wir dann erreicht?» Fragen koste doch nichts, sagte Enid. «Ich werde aber nicht fragen», sagte Alfred. Und wenn er bloß zurückschreibe, sagte Enid, und zehntausend verlange… Dann war sie verstummt, so scharf hatte Alfred sie angesehen. Ebenso gut hätte sie ihm vorschlagen können, mit ihr zu schlafen.
Denise hatte eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank genommen, als wolle sie unterstreichen, wie gleichgültig ihr war, was Enid wichtig nahm. Manchmal glaubte Enid, dass Denise alles, aber auch alles, was ihr am Herzen lag, gering schätzte. Das sah sie schon daran, wie Denise jetzt, in ihren herausfordernd knapp sitzenden Bluejeans, mit der Hüfte eine Schublade zustieß. Und an der Selbstsicherheit, mit der sie einen Korkenzieher in den Korken schraubte. «Möchtest du etwas Wein?»
Enid schauderte. «So früh am Tag.»
Denise trank den Wein wie Wasser. «Wie ich Gary kenne», sagte sie, «hat er wahrscheinlich gesagt, ihr sollt versuchen, sie über den Tisch zu ziehen.»
«Also nein, hör zu — » Enid streckte beide Hände nach der Flasche aus. «Nur einen Tropfen, gieß mir nur einen kleinen Schluck ein, ehrlich, ich trinke nie so früh am Tag, nie — also, Gary fragt sich, warum die Firma überhaupt an dem Patent interessiert ist, wenn sie mit der Entwicklung erst ganz am Anfang steht. Üblich ist wohl, solche Patente einfach zu missachten. Das ist zu viel! Denise, so viel Wein möchte ich nicht! Weißt du, das Patent erlischt nämlich in sechs Jahren, und deshalb meint Gary, dass die Firma mit Sicherheit bald einen Batzen Geld damit verdient.»
«Hat Dad den Vertrag unterschrieben?»
«O ja. Er ist extra zu den Schumperts gegangen, damit Dave ihn beglaubigt.»
«Dann musst du seine Entscheidung respektieren.»
«Denise, er ist stur und unvernünftig. Ich kann doch nicht — »
«Willst du etwa seine Geschäftsfähigkeit anzweifeln?»
«Nein. Überhaupt nicht. Es ist ja ganz typisch, wie er sich benimmt. Ich kann bloß nicht — »
«Wenn er den Vertrag schon unterzeichnet hat», sagte Denise, «was sollt ihr denn Garys Meinung nach noch tun?»
«Nichts, vermutlich.»
«Und worum geht's dann überhaupt?»
«Ach, weiß ich auch nicht. Du hast Recht», sagte Enid. «Wir können gar nichts mehr tun», und doch, in Wahrheit stimmte das nicht. Wenn Denise ein bisschen weniger entschieden Alfreds Partei ergriffen hätte, vielleicht hätte Enid ihr dann gestanden, dass sie den Umschlag mit dem beglaubigten Vertrag, statt ihn auf dem Weg zur Bank bei der Post abzugeben, im Handschuhfach des Autos deponiert hatte, wo er tagelang lag und ihr ein schlechtes Gewissen einflößte, und dass sie ihn später, während Alfred sein Nickerchen machte, an einem sichereren Ort versteckt hatte, in der Waschküche nämlich, ganz hinten in dem Schrank, wo sie auch die Gläser mit Marmelade und Brotaufstrich lagerte (Kumquat-Rosinen, Brandy-Kürbis, koreanische Brechbeere), die, weil keiner sie essen mochte, mit der Zeit eine graue Färbung angenommen hatten, außerdem Vasen, Körbe und Gesteckschwämme aus dem Blumenladen, die zum Wegwerfen zu gut, zum Benutzen hingegen nicht gut genug waren; und dass sie und Alfred, infolge dieser Unredlichkeit, Axon theoretisch noch immer eine hohe Lizenzgebühr abluchsen konnten, weswegen es entscheidend war, dass sie den zweiten, eingeschriebenen Brief von Axon wieder fand und versteckte, bevor Alfred herausbekam, dass sie ihn getäuscht und ihm zuwidergehandelt hatte. «Ach, da fällt mir noch etwas ein», sagte sie und leerte ihr Glas. «Es gibt da eine Sache, bei der ich wirklich deine Hilfe brauche.»