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Der Verdacht, Caroline habe ihn, bewusst oder nicht, aus dem Haus verbannen wollen, indem sie die Dunkelkammer in der Garage einrichtete, war ein weiteres Leitsymptom seiner Paranoia.

Als die Stoppuhr klingelte, legte er das dritte Paar Abzüge ins Fixierbad und machte wieder Licht.

«Was sind das für helle Flecken?», fragte Jonah, der in die Schale spähte.

«Ich weiß es auch nicht, Jonah!»

«Die sehen wie Wolken aus», sagte Jonah.

Der Fußball knallte gegen die Seitenwand der Garage.

Gary ließ die missmutige Enid und den grinsenden Alfred in der Fixierlösung und öffnete die Fensterläden. Seine Schuppentanne und das Bambusdickicht gleich daneben glitzerten vom Regen. Mitten im Garten standen Caroline und Aaron in durchnässten, schmutzigen Trikots, die ihnen an den Schulterblättern klebten, und japsten nach Luft, während Caleb sich einen Schuh zuband. Caroline hatte, mit fünfundvierzig, die Beine einer Studentin. Ihr Haar war heute fast genauso blond wie damals, vor zwanzig Jahren, als Gary sie bei einem Bob-Seger-Konzert im Spectrum kennengelernt hatte. Körperlich fühlte sich Gary noch immer stark von seiner Frau angezogen, ihr unangestrengt gutes Aussehen, ihr Quäker-Blut reizten ihn nach wie vor. Aus einem alten Reflex griff er nach der Kamera und richtete das Teleobjektiv auf sie.

Der Ausdruck von Carolines Gesicht erschreckte ihn. Da war etwas Gequältes auf ihrer Stirn, eine Leidensfurche um ihren Mund. Als sie wieder dem Ball nachjagte, humpelte sie.

Gary schwenkte die Kamera auf seinen ältesten Sohn, Aaron, den man am besten unbemerkt fotografierte, bevor er seinen Kopf in jene befangene Schräghaltung brachte, die ihm seiner Meinung nach am meisten schmeichelte. Aarons Gesicht im Nieselregen war gerötet und schmutzbesprenkelt, und Gary drehte am Zoom, um einen schönen Bildausschnitt hinzukriegen. Doch der Groll gegen Caroline legte seine neurochemische Abwehr lahm.

Das Fußballspiel war jetzt zu Ende, und sie lief und humpelte zum Haus.

Lucy vergrub ihren Kopf in seiner Mähne, damit er sie nicht sehen konnte, flüsterte Jonah.

Aus dem Haus kam ein Schrei.

Caleb und Aaron reagierten sofort, indem sie wie Actionfilm-Helden über den Rasen galoppierten und im Nu drinnen verschwanden. Einen Augenblick später tauchte Aaron wieder auf und rief mit seiner neuerdings zur Brüchigkeit neigenden Stimme: «Dad! Dad! Dad! Dad!»

Wenn andere hysterisch wurden, wurde Gary besonnen und ruhig. Er verließ die Dunkelkammer und stieg langsam die regenglatten Stufen hinab. In dem Stück Himmel über den Gleisen der Pendlerstrecke hinter der Garage arbeitete sich das Licht durch die feuchte Luft, als wolle es, sich selbst übertreffend, einen Frühlingsschauer zustande bringen.

«Dad, Grandma ist am Telefon!»

Gary schlenderte durch den Garten und blieb stehen, um die Wunden zu beklagen, die das Fußballspiel dem Rasen zugefügt hatte. Chestnut Hill, das Viertel, in dem sie wohnten, war nicht ganz unnarnisch. Jahrhundertealte Ahornbäume und Ginkgos und Platanen, viele davon verstümmelt, weil Platz für Starkstromleitungen gebraucht wurde, wucherten gewaltig über ausgebesserte und wieder ausgebesserte Straßen, die die Namen dezimierter Indianerstämme trugen. Seminole und Cherokee, Navajo und Shawnee. Im Umkreis vieler Kilometer gab es trotz hoher Bevölkerungsdichte und stattlicher Pro-Kopf-Einkommen keine Schnellstraßen und kaum nützliche Geschäfte. «Das von der Zeit vergessene Land», nannte Gary diese Gegend. Die meisten Häuser hier, einschließlich seines eigenen, waren aus einem Schieferstein gebaut, der an unbearbeitetes Blech erinnerte und genau die Farbe seines Haars hatte.

«Dad!»

«Danke, Aaron, ich hab's gehört.»

«Grandma ist am Telefon!»

«Das weiß ich, Aaron. Du hast es mir eben schon gesagt.»

In der Schieferboden-Küche traf er auf Caroline, die zusammengesackt auf einem Stuhl saß und sich beide Hände ins Kreuz presste.

«Sie hat heute Morgen schon mal angerufen», sagte sie. «Ich hab vergessen, es dir auszurichten. Das Telefon hat alle fünf Minuten geklingelt, und schließlich bin ich hingerannt — »

«Danke, Caroline.»

«Ich bin hingerannt — »

«Danke.» Gary schnappte sich den schnurlosen Apparat und hielt ihn im Gehen auf Armeslänge von sich, als müsse er seine Mutter in Schach halten. Im Esszimmer lauerte ihm Caleb auf, der einen Finger zwischen die glänzenden Seiten eines Katalogs gesteckt hatte. «Dad, kann ich dich mal kurz sprechen?»

«Jetzt nicht, Caleb, deine Großmutter ist am Telefon.»

«Ich will dir nur — »

«Jetzt nicht, hab ich gesagt.»

Caleb schüttelte den Kopf und lächelte ungläubig, wie ein viel gefilmter Sportler, der um einen Strafpunkt herumgekommen ist.

Gary durchquerte den mit Marmor ausgelegten Flur, betrat das geräumige Wohnzimmer und sagte «Hallo» in die Muschel des kleinen Telefons.

«Ich habe Caroline doch gesagt, ich rufe lieber noch mal an, wenn du gerade nicht in der Nähe bist», sagte Enid.

«Deine Anrufe kosten dich sieben Cent die Minute», sagte Gary.

«Oder du hättest mich zurückrufen können.»

«Mutter, es geht um fünfundzwanzig Cent.»

«Ich versuche schon den ganzen Tag, dich zu erreichen», sagte sie. «Der Mann vom Reisebüro braucht bis spätestens morgen früh eine Auskunft von mir. Und du weißt, wir hoffen immer noch, dass ihr zu einem letzten Weihnachten zu uns kommt, so wie ich es Jonah versprochen habe, also — »

«Warte eine Sekunde», sagte Gary. «Ich frag mal eben Caroline.»

«Gary, ihr hattet monatelang Zeit, darüber zu sprechen. Ich werde jetzt nicht hier sitzen und warten, bis du — »

«Moment.»

Er legte den Daumen auf die Sprechmuschellöcher und ging zurück in die Küche, wo Jonah mit einer Packung Schokoladenkekse auf einem Stuhl stand. Caroline, die immer noch zusammengesackt am Tisch saß, atmete flach.

«Ich hab mir», sagte sie, «irgendwas Schreckliches zugezogen, als ich zum Telefon gerannt bin.»

«Davor bist du zwei Stunden lang draußen im Regen rumgerutscht», sagte Gary.

«Nein, es war alles in Ordnung, bis ich zum Telefon gerannt bin.»

«Caroline, ich hab dich schon vorher humpeln sehen.»

«Es war alles in Ordnung», sagte sie, «bis ich zum Telefon gerannt bin, weil es zum fünfzigsten Mal geklingelt hat — »

«Na schön», sagte Gary, «meine Mutter ist schuld. Aber ich muss jetzt wissen, was ich ihr wegen Weihnachten sagen soll.»

«Keine Ahnung. Sie können gern zu uns kommen.»

«Wir hatten doch mal überlegt, zu ihnen zu fahren.»

Caroline schüttelte den Kopf, als radiere sie etwas damit aus. «Nein. Du hast das überlegt. Ich nicht.»

«Caroline — »

«Ich kann das nicht besprechen, während sie am Telefon ist. Sag ihr, sie soll nächste Woche noch mal anrufen.»

Jonah begriff, dass er sich so viele Kekse nehmen konnte, wie er wollte, ohne dass seine Eltern es merkten.