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«Sie muss es aber jetzt wissen», sagte Gary. «Sie würden gern entscheiden, ob sie uns nächsten Monat, nach ihrer Kreuzfahrt, besuchen sollen. Und das hängt von Weihnachten ab.»

«Fühlt sich wie ein Bandscheibenvorfall an.»

«Wenn du dich weigerst, darüber zu reden, sage ich ihr, dass wir uns vorstellen können, nach St. Jude zu fahren.»

«O nein! Das ist gegen die Abmachung!»

«Ich denke an eine einmalige Ausnahme von der Abmachung.»

«Nein! Nein!» Nasse blonde Haarsträhnen peitschten hin und her und verdrehten sich. «Du kannst nicht einfach so gegen die Regeln verstoßen.»

«Eine einmalige Ausnahme ist kein Regelverstoß.»

«Gott, ich glaube, ich muss mich röntgen lassen», sagte Caroline.

Gary spürte die Stimme seiner Mutter am Daumen summen. «Heißt das jetzt ja oder nein?»

Caroline stand auf, lehnte sich an ihn und vergrub ihr Gesicht in seinem Pullover. Mit einer kleinen Faust klopfte sie sanft gegen seine Brust. «Bitte», sagte sie und rieb ihre Nase an seinem Schlüsselbein. «Sag ihr, du rufst später noch mal an. Bitte. Mir tut wirklich der Rücken weh.»

Während sie sich an ihn drängte, hielt Gary das Telefon mit durchgedrücktem Arm zur Seite. «Caroline. Sie sind jetzt acht Jahre hintereinander zu uns gekommen. Es ist doch nicht zu viel verlangt, wenn ich dich bitte, ein einziges Mal eine Ausnahme zu machen. Kann ich ihr wenigstens sagen, dass wir es in Betracht ziehen?»

Caroline schüttelte kläglich den Kopf und sank wieder auf den Stuhl.

«Na schön», sagte Gary, «dann entscheide ich eben selbst.»

Er stolzierte ins Esszimmer, wo ihn Aaron, der zugehört hatte, anstarrte, als wäre er ein grausames Monster von einem Ehemann.

«Dad», sagte Caleb, «wenn du doch nicht mit Grandma telefonierst, kann ich dich dann mal was fragen?»

«Nein, Caleb, ich telefoniere noch mit Grandma.» «Und danach?»

«O Gott, o Gott», sagte Caroline.

Im Wohnzimmer hatte Jonah sich mit seinem Keksberg und Prinz Kaspian auf dem größeren Ledersofa niedergelassen.

«Mutter?»

«Ich verstehe das nicht», sagte Enid. «Wenn es dir gerade nicht passt, dann ruf mich doch später zurück, aber mich zehn Minuten warten zu lassen — »

«Jetzt bin ich ja wieder da.»

«Und, wie habt ihr euch entschieden?»

Bevor Gary antworten konnte, drang aus der Küche ein erbarmungswürdiges, raues, katzenartiges Heulen, ein Geräusch, wie Caroline es fünfzehn Jahre früher beim Sex von sich gegeben hatte, als noch keine Jungen da gewesen waren, die sie hätten hören können.

«Entschuldige, Mom, eine Sekunde.»

«Nein, das geht nicht», sagte Enid. «Das ist unhöflich.»

«Caroline», rief Gary in die Küche, «meinst du, wir können uns mal ein paar Minuten lang wie Erwachsene benehmen?»

«Ah, ah, uh! Uh!», jammerte Caroline.

«An Rückenschmerzen ist noch keiner gestorben, Caroline.»

«Bitte», jammerte sie, «ruf sie später wieder an. Ich bin auf der letzten Stufe ausgerutscht, Gary, es tut so weh — »

Er drehte sich mit dem Rücken zur Küche. «Tut mir leid, Mom.»

«Was in aller Welt ist bei euch los?»

«Caroline hat sich beim Fußballspielen am Rücken ein bisschen wehgetan.»

«Weißt du, ich sage das ungern, aber Beschwerden und Schmerzen gehören nun mal zum Älterwerden», sagte Enid. «Wenn ich wollte, könnte ich den ganzen Tag lang über Schmerzen reden. Mit tut ständig die Hüfte weh. Aber mit dem Alter wird man ja hoffentlich auch etwas suverähner.»

«Oh! Ahh! Ahh!», jammerte Caroline wollüstig.

«Ja, das kann man nur hoffen», sagte Gary.

«Also, wie habt ihr euch entschieden?»

«Die Jury ist noch uneins», sagte er, «aber vielleicht solltet ihr auf jeden Fall nach der Kreuzfahrt hier — »

«Au! Au! Au!»

«Es ist schon furchtbar spät, um für Weihnachten Flüge zu buchen», sagte Enid ernst. «Weißt du, die Schumperts haben ihre Hawaii-Reise bereits im April gebucht, denn letztes Jahr, als sie sich bis September Zeit gelassen haben, waren die Plätze, die sie haben wollten, schon — » Aaron kam aus der Küche gerannt. «Dad!»

«Ich bin am Telefon, Aaron.»

«Dad!»

«Ich bin am Telefon, Aaron, das siehst du doch.»

«Dave hat eine Kolostomie», sagte Enid.

«Du musst sofort was unternehmen», sagte Aaron. «Mom hat wirklich Schmerzen. Sie sagt, du musst sie ins Krankenhaus fahren!»

«Ach ja, Dad», sagte Caleb, der sich mit seinem Katalog hereingeschlichen hatte, «dann kannst du mich mitnehmen.»

«Nein, Caleb.»

«Aber es gibt da einen Laden, in den ich unbedingt rein muss.»

«Die erschwinglichen Flüge sind ruck, zuck ausgebucht», sagte Enid.

«Aaron?», rief Caroline aus der Küche. «Aaron! Wo bist du? Wo ist dein Vater? Wo ist Caleb?»

«Wirklich ganz schön laut hier für jemanden, der sich konzentrieren will», sagte Jonah.

«Tut mir Leid, Mutter», sagte Gary, «ich gehe irgendwohin, wo's ruhiger ist.»

«Es ist höchste Zeit», sagte Enid mit der Panik einer Frau in der Stimme, für die jeder Tag, der verging, ja jede Stunde bedeutete, dass weitere Plätze in Dezember-Maschinen reserviert wurden und somit jegliche Hoffnung auf ein letztes gemeinsames Weihnachten mit Gary, Caroline und den Jungen in St. Jude Stück für Stück zerbrach.

«Dad», flehte Aaron, während er Gary ins Obergeschoss folgte, «was soll ich ihr ausrichten?»

«Sag ihr, sie soll die 911 wählen. Nimm dein Handy und ruf einen Krankenwagen.» Gary hob die Stimme. «Caroline? Wähl die 911!»

Nach einer Reise in den Mittelwesten neun Jahre zuvor, zu deren besonderen Torturen nicht nur Eisstürme in Philadelphia und in St. Jude gehört hatten, sondern auch eine vierstündige Verspätung auf dem Rollfeld mit einem quengelnden Fünf- und einem brüllenden Zweijährigen, ein die ganze Nacht heftig brechender Caleb, der (jedenfalls Caroline zufolge) Enids butter- und speckhaltiges Festtagsmenü nicht vertragen hatte, und ein gemeiner Sturz von Caroline auf der spiegelglatten Einfahrt ihrer Schwiegereltern (ihre Rückenprobleme stammten aus ihren Feldhockey-Tagen im Friends' Central, aber nun behauptete sie, die Verletzung sei auf besagter Einfahrt «reaktiviert» worden), nach dieser Reise also hatte Gary seiner Frau versprochen, dass er sie nie wieder bitten werde, Weihnachten nach St. Jude zu fahren. Inzwischen aber waren seine Eltern acht Jahre hintereinander nach Philadelphia gekommen, und obwohl es ihm gar nicht behagte, wie besessen seine Mutter von Weihnachten war — er hielt das ganze Getue für ein Symptom eines umfassenderen Leidens, einer schmerzhaften Leere in ihrem Leben — , konnte er es seinen Eltern kaum verdenken, dass sie dieses Jahr zu Hause bleiben wollten. Außerdem spekulierte Gary darauf, dass Enid St. Jude bereitwilliger verlassen und an die Ostküste umziehen würde, wenn sie ihr «letztes Weihnachten» gehabt hätte. Im Grunde war er dafür, die Reise anzutreten, und er erwartete ein Minimum an Kooperation von seiner Frau: eine souveräne Bereitschaft, auf die besonderen Umstände Rücksicht zu nehmen.

Er zog die Tür seines Arbeitszimmers hinter sich zu und schloss ab, um das Geschrei und Gewinsel seiner Familie, das Fußgetrappel auf der Treppe, den Möchtegern-Notfall auszusperren. Er nahm den Hörer des Telefons auf seinem Schreibtisch ab und schaltete das schnurlose aus.

«Das ist ja wirklich lächerlich», sagte Enid mit entkräfteter Stimme. «Warum rufst du mich nicht zurück?»

«Wir sind noch unschlüssig, was Weihnachten angeht», sagte er, «aber es ist gut möglich, dass wir nach St. Jude kommen. Ich denke also, ihr solltet nach der Kreuzfahrt bei uns vorbeischauen.»

Enid atmete ziemlich laut. «Wir fahren diesen Herbst auf keinen Fall zweimal nach Philadelphia», sagte sie. «Und da ich die Jungen Weihnachten sehen möchte, heißt das für mich, dass ihr nach St. Jude kommt.»