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«Ich habe ihr Material und ihre Geräte benutzt», sagte Alfred. «Es war abgemacht, dass ich eventuelle Erträge aus den Patenten mit ihnen teilen würde. Und Mark Jamborets hat mir damals den Patentanwalt vermittelt. Wahrscheinlich habe ich sogar einen Freundschaftspreis bekommen.»

«Das ist fünfzehn Jahre her! Die Firma existiert gar nicht mehr. Die Leute, mit denen du diese Abmachung hattest, sind tot.»

«Nicht alle. Mark Jamborets nicht.»

«Dad, das ist ein netter Zug von dir. Ich verstehe deine Beweggründe, aber — »

«Ich glaube nicht, dass du das tust.»

«Die Eisenbahngesellschaft ist von den Wroth-Brüdern geplündert und ausgenommen worden.»

«Ich will nicht weiter darüber reden.»

«Das ist krank! Wirklich krank!», sagte Gary. «Du verhältst dich loyal gegenüber einer Firma, die dich und die Stadt St. Jude auf jede nur vorstellbare Weise übers Ohr gehauen hat. Die dich auch jetzt gerade wieder übers Ohr haut — denk an deine Krankenversicherung.»

«Du hast deine Meinung, ich habe meine.»

«Und ich finde das verantwortungslos von dir. Ich finde das egoistisch. Wenn du Erdnussbutter essen und jeden Cent dreimal umdrehen willst, dann ist das deine Sache, aber Mom gegenüber ist es nicht fair, und mir — »

«Es interessiert mich einen feuchten Kehricht, was ihr beide denkt.»

«Und mir gegenüber ist es auch nicht fair! Wer bezahlt denn deine Rechnungen, wenn du in Schwierigkeiten gerätst? Wer gibt dir Rückhalt?»

«Ich werde erdulden, was erduldet werden muss», sagte Alfred. «Ja, und ich esse, wenn's sein muss, auch Erdnussbutter. Ich mag Erdnussbutter. Nichts dagegen einzuwenden.»

«Und wenn Mom Erdnussbutter essen muss, tut sie's auch. Stimmt's? Sie kann auch Hundefutter essen, wenn's sein muss! Wen kümmert es schon, was sie will?»

«Gary, ich weiß, was recht und billig ist. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst — ich verstehe ja deine Entscheidungen auch nicht — , aber ich weiß, was sich gehört. Und jetzt Schluss damit.»

«Ich meine, wenn du unbedingt willst, dann gib Orfic Midland eben zweitausendfünfhundert ab», sagte Gary. «Aber dieses Patent ist viel mehr — »

«Schluss damit, hab ich gesagt. Deine Mutter möchte dich noch mal sprechen.»

«Gary», krähte Enid, «das Philharmonische Orchester von St. Jude führt im Dezember den Nussknacker auf! Die machen das ganz reizend, zusammen mit dem hiesigen Ballett, weißt du, und ihre Vorstellungen sind immer so schnell ausverkauft, was meinst du, soll ich nicht neun Karten für Heiligabend reservieren? Es gibt eine Matinee um zwei, aber wir können auch am Dreiundzwanzigsten abends hingehen, wenn dir das lieber ist. Entscheide du.»

«Mutter, hör mir bitte zu. Du darfst nicht zulassen, dass Dad diesem Angebot zustimmt. Sorge dafür, dass er nichts unternimmt, ehe ich den Brief gesehen habe. Bitte schick mir morgen eine Kopie davon mit der Post.»

«Gut, mach ich, aber das Wichtigste ist jetzt Der Nussknacker, dass ich uns schon mal neun Karten reserviere, meine ich, die Vorstellungen sind nämlich immer so schnell ausverkauft, Gary, man glaubt es kaum.»

Als er schließlich aufgelegt hatte, presste Gary die Hände auf die Augen und sah, in Falschfarben auf die Dunkelheit seiner geistigen Kinoleinwand projiziert, zwei Golfbilder: Enid, die sich, aus dem Rough heraus, in eine bessere Lage brachte (Schummeln nannte man das), und Alfred, der sein mangelndes Können herunterspielte.

Vierzehn Jahre früher, als der Verkauf der Midpac an die Wroth-Brüder gerade über die Bühne gegangen war, hatte der alte Herr schon einmal so ein sinnloses Kunststück fertig gebracht. Der neue Geschäftsführer der Midpac, Fenton Creel, hatte Alfred, wenige Monate vor dessen fünfundsechzigstem Geburtstag, zum Mittagessen ins Morelli's eingeladen. Die ganze oberste Riege der Midpac-Angestellten war von den beiden Wroths entlassen worden, weil sie sich der Übernahme widersetzt hatten, doch Alfred, als Chefingenieur, war nicht Teil dieser Palastwache gewesen. In dem Chaos, das durch die Schließung des Werks in St. Jude und die Verlegung der Geschäfte nach Little Rock entstand, brauchten die Wroths jemanden, der die Eisenbahn in Betrieb hielt, während die neue Mannschaft unter der Leitung von Creel sich warm lief. Creel bot Alfred eine fünfzigprozentige Gehaltserhöhung und ein Orfic-Aktienpaket an, wenn er sich einverstanden erklärte, zwei weitere Jahre zu bleiben, den Umzug nach Little Rock zu überwachen und Kontinuität zu gewährleisten.

Alfred verabscheute die Wroths und wollte eigentlich nein sagen, doch am Abend, zu Hause, begann Enid ihn zu bearbeiten. Sie hielt ihm vor Augen, dass die Orfic-Aktien allein 78ooo Dollar wert seien, dass seine Pension sich nach seinen letzten drei Jahresgehältern bemessen werde und dass sich hier eine Chance biete, ihre Alterseinkünfte um fünfzig Prozent zu erhöhen.

Ihre unwiderlegbaren Argumente schienen Alfred zunächst umzustimmen, doch drei Abende später teilte er ihr mit, er habe am Nachmittag seine Kündigung eingereicht und Creel habe sie angenommen. Alfred fehlten zu diesem Zeitpunkt gerade einmal sieben Wochen, um das Jahr seines letzten und höchsten Gehalts voll zu machen; es ergab nicht den geringsten Sinn, vorher aufzuhören. Doch niemandem, weder Enid noch sonst wem, lieferte er damals oder später eine Erklärung für seinen plötzlichen Sinneswandel. Er sagte nur: Ich habe mich entschieden.

Als sie im selben Jahr beim Weihnachtsessen in St. Jude saßen, wenige Augenblicke nachdem Enid verstohlen einen Happen Haselnuss-Gänsefüllung auf Baby Aarons Tellerchen gelegt und Caroline die Füllung vom Teller geschnappt hatte, in die Küche marschiert war und sie mit den Worten «Pures Fett, pfui Teufel» wie einen Haufen Gänsescheiße in den Mülleimer geworfen hatte, platzte Gary der Kragen, und er schrie: Du konntest nicht mal sieben Wochen warten? Du konntest nicht warten, bis du fünfundsechzig warst?

Gary, ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet. Wann ich aufhöre, ist meine Sache, nicht deine.

Und der Mann, der so erpicht darauf gewesen war, sich aus dem Arbeitsleben zurückzuziehen: Was hatte er mit seiner freien Zeit gemacht? Er hatte in seinem blauen Sessel gesessen.

Über Axon wusste Gary nichts, aber Orfic Midland war jener Typ von Mischkonzern, mit dessen Beteiligungs- und Managementstrukturen Schritt zu halten Teil der Aufgabe war, für die man ihn bezahlte. Zufällig wusste er, dass die Wroth-Brüder ihre Anteilsmehrheit verkauft hatten, um Verluste, die sie bei einem kanadischen Goldminen-Unternehmen gemacht hatten, auszugleichen. Orfic Midland hatte sich zu den ununterscheidbaren, gesichtslosen Megafirmen gesellt, deren Hauptsitze die vornehmen Einzugsgebiete der amerikanischen Großstädte übersäten; ihre leitenden Angestellten waren ausgetauscht worden wie die Zellen eines lebendigen Organismus oder wie die Buchstaben in jenem Legespiel, bei dem sich SCHEISS in SCHUSS und SCHUH und KUH und KUR verwandelte, sodass zu dem Zeitpunkt, als Gary den jüngsten Erwerb eines Aktienpakets der OrficM für das Portfolio der CenTrust abgesegnet hatte, von der Firma, die St. Judes drittgrößten Betrieb geschlossen und in weiten Teilen des ländlichen Kansas den Zugverkehr lahm gelegt hatte, nicht die Spur eines menschlichen Wesens mehr übrig geblieben war, das man zum Sündenbock hätte machen können. Orfic Midland hatte sich inzwischen ganz aus dem Transportgeschäft zurückgezogen. Was von den Haupttrassen der Midpac noch vorhanden war, hatte man verkauft, damit die Firma sich auf den Bau und die Verwaltung von Gefängnissen, auf Gourmet-Kaffee und Finanzdienstleistungen konzentrieren konnte; ein nagelneues 144-strängiges Sichtfaserkabelnetz lag im alten Gelände der Eisenbahngesellschaft begraben.

Und das war die Firma, der Alfred die Treue hielt?

Je mehr Gary darüber nachdachte, desto wütender wurde er. Er saß allein in seinem Arbeitszimmer, unfähig, seiner wachsenden Erregung Herr zu werden oder den Dampflok-Rhythmus seines Atems zu drosseln. Er war blind für den hübschen kürbisgelben Sonnenuntergang, der sich in den Tulpenbäumen hinter den Gleisen entfaltete. Er sah nichts als die Grundsätze, die auf dem Spiel standen.