Das Licht in den Fenstern schwand rapide.
«Und du wirst diese ganze Ausrüstung wirklich benutzen?», fragte er mit Beklemmung in der Brust.
Caleb, die Lippen noch immer zusammengekniffen, zuckte die Achseln.
«Niemand sollte Türen knallen», sagte Gary. «Auch ich nicht. Einverstanden?»
«Ja, Dad. Egal.»
Als er aus Calebs Zimmer in den schattigen Flur trat, stieß er beinahe mit Caroline zusammen, die, nur mit Socken an den Füßen, auf Zehenspitzen Richtung Schlafzimmer eilte.
«Schon wieder? Schon wieder? Ich sage, bitte belausch mich nicht, und was machst du?»
«Ich habe nicht gelauscht. Ich muss mich hinlegen.» Und sie huschte, humpelnd, ins Schlafzimmer.
«Lauf ruhig weg, ich krieg dich doch», sagte Gary und folgte ihr. «Ich möchte wissen, warum du mich belauschst.»
«Das ist deine Paranoia, sonst nichts.»
«Meine Paranoia?»
Caroline ließ sich auf das extrabreite Eichenholzbett fallen. Kaum hatten sie geheiratet, war sie fünf Jahre lang zweimal wöchentlich zur Therapie gegangen, der am Ende vom Therapeuten «uneingeschränkter Erfolg» bescheinigt worden war. Das hatte ihr in ihrer beider Wettlauf um geistige Gesundheit einen lebenslangen Vorsprung vor Gary verschafft.
«Du scheinst zu glauben, dass jeder ein Problem hat, nur du nicht», sagte sie. «Und genau das glaubt auch deine Mutter. Ohne jemals — »
«Caroline. Beantworte mir eine Frage. Sieh mir in die Augen und beantworte mir eine Frage. Heute Nachmittag, als du — »
«Ach, Gary, nicht schon wieder. Wenn du dich selber hören könntest.»
«Als du da im Regen rumgaloppiert bist und dich völlig verausgabt hast, um mit einem Elfjährigen und einem Vierzehnjährigen mitzuhalten — »
«Du bist ja besessen! Du bist besessen davon!»
«Als du da im Regen rumgerannt und rumgerutscht bist und Fußball gespielt hast — »
«Du sprichst mit deinen Eltern, und dann lässt du deinen Ärger an uns aus.»
«Hast du schon gehumpelt, bevor du reingekommen bist?» Gary fuchtelte mit dem Finger vor der Nase seiner Frau herum. «Sieh mich an, Caroline, sieh mir in die Augen. Komm schon! Sag es! Sieh mir in die Augen und sag mir, dass du da noch nicht gehumpelt hast!»
Caroline wand sich vor Schmerzen. «Du telefonierst fast eine Stunde mit ihnen — »
«Du kannst es nicht!», rief Gary, bitteren Triumph in der Stimme. «Du lügst und kannst nicht zugeben, dass du lügst!»
«Dad! Dad!», schrie jemand in der Tür. Gary drehte sich um und sah Aaron, der, außer sich, das hübsche Gesicht verzerrt und tränenverschmiert, wie wild den Kopf schüttelte. «Hör auf, sie anzuschreien!»
Der Reue-Faktor (Neurofaktor 26) flutete die Bereiche in Garys Gehirn, die von der Evolution maßgeschneidert waren, um auf ihn anzuspringen.
«In Ordnung, Aaron», sagte er.
Aaron wandte sich von ihm ab und wandte sich ihm wieder zu und marschierte auf der Stelle, machte große Schritte ins Nirgendwo, als versuche er, die beschämenden Tränen aus seinen Augen in seinen Körper zurückzuzwingen, durch die Beine nach unten, und sie in den Boden zu stampfen. «Bitte, Dad, schrei — sie — nicht — an.»
«Ist gut, Aaron», sagte Gary. «Niemand schreit mehr.»
Er streckte die Hand aus, um seinen Sohn an der Schulter zu berühren, doch Aaron flüchtete über den Flur. Gary ließ Caroline allein und folgte ihm; jetzt, wo er gesehen hatte, dass seine Frau starke Verbündete im Haus besaß, fühlte er sich noch isolierter. Die Söhne würden sie vor ihrem Mann beschützen. Ihrem Mann, der schrie und brüllte. Wie vor ihm sein Vater. Sein Vater, der heute depressiv war. Der jedoch damals, in seinen besten Jahren, als er noch schrie und brüllte, dem kleinen Gary solche Angst eingeflößt hatte, dass es ihm nie in den Sinn gekommen war, seiner Mutter beizuspringen.
Aaron lag mit dem Gesicht nach unten auf seinem Bett. Inmitten der Tornado-Trümmer aus Schmutzwäsche und Zeitschriften auf dem Fußboden waren die einzigen Ruhepunkte die Bundy-Trompete (mit Dämpfern und einem Notenständer) und eine riesige, alphabetisch geordnete CD-Sammlung, darunter Gesamtausgaben von Dizzy und Satchmo und Miles Davis, außerdem Unmengen Chet Baker und Wynton Marsalis und Chuck Mangione und Herb Alpert und Al Hirt, die Gary ihm allesamt geschenkt hatte, um sein Interesse an Musik zu fördern.
Gary hockte sich auf die Bettkante. «Es tut mir Leid», sagte er. «Du weißt ja, ich kann ein gemeiner, ungerechter alter Mistkerl sein. Und deiner Mutter fällt es manchmal schwer zuzugeben, dass sie im Unrecht ist. Vor allem, wenn — »
«Ihr. Rücken. Tut. Weh», kam Aarons Stimme kaum hörbar aus dem Ralph-Lauren-Federbett. «Sie lügt nicht.»
«Ich weiß, dass ihr der Rücken wehtut, Aaron. Ich liebe deine Mutter sehr.»
«Dann schrei sie nicht an.»
«Okay. Niemand schreit mehr. Lass uns was zu Abend essen.» Gary gab Aaron einen leichten Karateschlag auf die Schulter. «Was meinst du.»
Aaron rührte sich nicht. Offenbar waren noch weitere aufmunternde Worte angezeigt, doch Gary fielen keine ein. Er registrierte einen bedenklichen Engpass bei den Faktoren 1 und 3. Gerade eben noch hatte er das Gefühl gehabt, dass Caroline drauf und dran gewesen war, ihm vorzuhalten, er sei «depressiv», und wenn die Idee, er sei depressiv, erst einmal in Umlauf kam, dann, so fürchtete er, könnte er sein Recht auf eine eigene Meinung in den Wind schreiben. Dann könnte er seine moralischen Überzeugungen in den Wind schreiben; jedes Wort, das er von da an sagte, würde zum Krankheitssymptom; er würde nie wieder einen Streit gewinnen.
Umso wichtiger schien es ihm deshalb, dass er sich jetzt gegen die Depression zur Wehr setzte — dass er sie mit der Wahrheit bekämpfte.
«Pass auf», sagte er. «Du hast doch mit Mom zusammen da draußen Fußball gespielt. Sag mir bitte, ob ich Recht habe. Hat sie schon gehumpelt, bevor sie ins Haus ging?»
Einen Moment lang, als Aaron sich langsam vom Bett erhob, glaubte Gary, die Wahrheit würde siegen. Doch das Gesicht, das Aaron ihm zeigte, war eine rötlich weiße Rosine des Abscheus und des Unglaubens.
«Du bist furchtbar!», sagte Aaron. «Furchtbar!» Und er rannte aus dem Zimmer.
Normalerweise hätte Gary Aaron so etwas nicht durchgehen lassen. Normalerweise hätte er seinen Sohn, falls nötig, den ganzen Abend lang drangsaliert, um ihm eine Entschuldigung abzuringen. Doch seine mentalen Märkte — Blutzuckergehalt, innere Sekretion, Synapsenfreiverkehr — waren im Begriff einzubrechen. Er fand sich gemein, und wenn er Aaron jetzt drangsalierte, würde ihn das nur noch gemeiner machen, und vielleicht war das Gefühl, gemein zu sein, das wichtigste Warnsignal überhaupt.
Er begriff, dass er gleich zwei fatale Fehler begangen hatte. Er hätte Caroline nie versprechen dürfen, dass es keine weiteren Weihnachten in St. Jude geben werde. Und er hätte, als sie durch den Garten humpelte und das Gesicht verzog, wenigstens ein Foto von ihr schießen sollen. Jetzt beklagte er die moralischen Vorteile, um die diese Fehler ihn gebracht hatten.