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«Dann koch eben weniger. Wir können ja essen gehen.»

«Ich möchte zu Hause essen und weniger kochen.»

«Dann bestell was per Lieferservice», sagte sie.

«Das ist nicht das Gleiche.»

«Du bist derjenige, der so hinter diesen gemeinsamen Mahlzeiten her ist. Die Jungs können gut darauf verzichten.»

«Ich aber nicht. Mir sind sie wichtig.»

«Schön, Gary. Aber mir sind sie nicht wichtig, den Jungen sind sie nicht wichtig — und trotzdem sollen wir für dich kochen?»

Er konnte es Caroline nicht verübeln. In den Jahren, als sie ganztags gearbeitet hatte, war es ihm nie eingefallen, sich über tiefgefrorenes, aus dem Restaurant mitgebrachtes oder vorgefertigtes Essen zu beschweren. Jetzt kam es Caroline vermutlich so vor, als ändere er einfach die Spielregeln. Gary dagegen kam es vor, als ändere sich das Wesen des Familienlebens selbst — als zählten Zusammensein und Kindesliebe und Brüderlichkeit nicht mehr so viel wie einst, als er jung war.

Und nun stand er wieder da und grillte. Durch die Küchenfenster beobachtete er, wie Caroline sich mit Jonah im Fingerhakeln maß. Er beobachtete, wie sie Aarons Kopfhörer nahm, um seine Musik zu hören, beobachtete, wie sie im Takt mit dem Kopf wippte. Es sah doch ganz nach Familienleben aus. War hier wirklich nichts faul und das einzige Problem die klinische Depression des Mannes, der hineinspähte?

Caroline schien vergessen zu haben, wie sehr ihr Rücken schmerzte, erinnerte sich aber sofort wieder daran, als er mit der dampfenden, qualmenden Platte vulkanisierten tierischen Eiweißes eintrat. Sie setzte sich seitwärts zum Tisch, stocherte mit der Gabel im Essen und wimmerte leise. Caleb und Aaron musterten sie mit ernsthafter Besorgnis.

«Will sonst keiner wissen, wie Prinz Kaspian ausgeht?», fragte Jonah. «Interessiert das niemanden?»

Carolines Augenlider flatterten, ihr Mund stand kläglich offen, ihr Atem ging flach. Gary überlegte krampfhaft, was er Undeprimiertes, einigermaßen Unfeindseliges sagen könnte, aber er war ziemlich betrunken.

«Herrgott, Caroline», sagte er, «wir wissen, dass dein Rücken wehtut, wir wissen, dass es dir dreckig geht, aber wenn du nicht mal gerade am Tisch sitzen kannst — »

Ohne ein Wort rutschte sie von ihrem Stuhl, hinkte mit ihrem Teller zum Spülbecken, schob ihr Abendessen in den Abfallzerkleinerer und hinkte die Treppe hinauf. Caleb und Aaron entschuldigten sich, zerkleinerten gleichfalls ihr Abendessen und folgten ihr. Alles in allem verschwand Fleisch im Wert von ungefähr dreißig Dollar in der Kanalisation, doch Gary, der den Pegel seines Faktors 3 über null zu halten versuchte, gelang es recht gut, nicht an die Tiere zu denken, die zu diesem Zweck ihr Leben gelassen hatten. Er saß im bleiernen Zwielicht seines Rausches, aß, ohne etwas zu schmecken, und lauschte Jonahs ungerührtem, fröhlichem Geplapper.

«Das ist ein köstliches Rindersteak, Dad, und ich hätte gern noch ein Stück von den gegrillten Zucchini, bitte.»

Aus dem Fernsehzimmer im ersten Stock drang das Gebell der Hauptsendezeit. Kurz verspürte Gary Mitleid mit Aaron und Caleb. Eine Mutter zu haben, die einen so sehr brauchte, ja für deren Glück geradezu verantwortlich zu sein, war eine Last, das wusste Gary. Er wusste auch, dass Caroline, anders als er, sehr allein auf der Welt war. Ihren Vater, einen gut aussehenden, charismatischen Anthropologen, hatte sie mit elf Jahren bei einem Flugzeugabsturz in Mali verloren. Die Eltern des Vaters, alte Quäker, die einen bisweilen mit «Ihr» anredeten, hatten Caroline die Hälfte ihres Anwesens vermacht, einschließlich eines wertvollen Andrew Wyeth, dreier Aquarelle von Winslow Homer und sechzehn Hektar bewaldeten Landes nahe Kennett Square, für das ein Bauträger eine unfassbare Summe gezahlt hatte. Carolines Mutter, inzwischen sechsundsiebzig und beängstigend gesund, wohnte mit ihrem zweiten Mann in Laguna Beach und war eine wichtige Wohltäterin der kalifornischen Demokraten; einmal im Jahr, im April, kam sie an die Ostküste und brüstete sich damit, keine «dieser alten Frauen» zu sein, die nur für ihre Enkelkinder lebten. Carolines einziger Bruder, Philip mit Namen, war Junggeselle, ein gönnerhafter Festkörper-Physiker mit Ärmelschonern, den ihre Mutter auf ziemlich beklemmende Weise vergötterte. Gary kannte in St. Jude keine vergleichbaren Familien. Von Anfang an hatte er Caroline wegen ihrer unglücklichen, einsamen Kindheit geliebt und bedauert. Und er hatte sich zum Ziel gesetzt, ihr eine bessere Familie zu bieten.

Nach dem Abendessen jedoch, während er und Jonah die Spülmaschine einräumten, erklang oben im ersten Stock weibliches Gelächter, richtig lautes Gelächter, und auf einmal war er überzeugt, dass Caroline ein ganz übles Spiel mit ihm trieb. Er war versucht, hinaufzugehen und die Party platzen zu lassen. Doch als das Summen des Gins in seinem Kopf verebbte, wurde der metallische Ton einer älteren Sorge hörbar. Einer Sorge, die Axon betraf. Er fragte sich, warum eine kleine Firma, die ein hochexperimentelles Verfahren entwickelte, seinem Vater Geld anbot.

Dass der Brief an Alfred von Bragg Knuter & Speigh stammte, einer Kanzlei, die eng mit Investmentbänkern zusammenarbeitete, ließ auf die Vorbereitung eines Börsengangs schließen: Da wurden am Vorabend eines großen Ereignisses fein säuberlich Kommata und i-Tüpfelchen gesetzt.

«Möchtest du nicht zu deinen Brüdern raufgehen?», sagte

Gary. «Klingt, als hätten sie viel Spaß da oben.»

«Nein», sagte Jonah. «Ich will den nächsten Narnia-Band lesen, da gehe ich lieber in den Keller, wo es ruhig ist. Kommst du mit?»

Das alte Spielzimmer im Keller, immer noch trocken und mit Teppichboden ausgelegt und kiefernholzgetäfelt, immer noch schön, war von jenem Müllbrand befallen, der einem Wohnraum früher oder später den Garaus macht: Lautsprecherboxen, geometrische Verpackungskörper aus Styropor, ausgediente Ski- und Strandausrüstungen in allerschönsten Verwehungen. In fünf großen und einem Dutzend kleineren Kisten lagen Aarons und Calebs alte Spielsachen. Niemand außer Jonah rührte sie je an, und angesichts einer solchen Schwemme ging auch er, ob allein oder mit einem Freund, im Wesentlichen archäologisch zu Werke. Manchen Nachmittag brachte er damit zu, eine große Kiste zur Hälfte auszupacken und geduldig Action-Figuren samt Zubehör, Fahrzeugen und Modellhäuschen nach Größe und Hersteller zu sortieren (was zu nichts anderem passte, warf er hinters Sofa), doch selten war er am Boden einer Kiste angelangt, bevor sein Freund nach Hause musste oder das Essen auf dem Tisch stand, woraufhin er alles, was er ausgegraben hatte, wieder verscharrte, und so wurde mit den Sachen, die in ihrem Überfluss für einen Siebenjährigen das Himmelreich hätten sein müssen, praktisch nicht gespielt — eine weitere Lektion in ANHEDONIE, die Gary ignorierte, so gut er eben konnte.

Während Jonah zu lesen anfing, schaltete Gary Calebs «alten» Laptop an und ging online. Er gab die Suchbegriffe axon und schwenksville ein. Eine der beiden Sites, auf die er verwiesen wurde, war die Axon Corporation Home Page, aber als Gary sie besuchen wollte, erfuhr er, dass sie sich IN ÜBERARBEITUNG befand. Das andere Link führte ihn zu einer Seite, die tief in der Website von Westportfolio Biofunds nistete und deren Verzeichnis interessanter, nicht gelisteter Unternehmen ein virtuelles Notstandsgebiet trostloser Grafik und fehlerhafter Rechtschreibung war. Die Axon — Seite war zum letzten Mal vor einem Jahr auf den neuesten Stand gebracht worden.