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Taru griff nach seiner Waffe und spannte sich an. Er hörte ein polterndes Geräusch, das wohl entstand, als der sterbende Vogel auf einem Felsvorsprung aufschlug, dann klatschte etwas, und danach kehrte eine so unnatürliche Stille ein, dass ihm der eigene Herzschlag wie der hämmernde Rhythmus des Schmiedehammers vorkam, mit dem Isanas Vater einst jenes Schwert in die richtige Form gehämmert hatte, das er jetzt in den Händen hielt.

In höchster Anspannung glitt sein Blick über die zerklüfteten, spärlich bewachsenen Felswände vor ihnen. Sie waren auf eine Art unübersichtlich, die ihm überhaupt nicht gefiel. Aus zusammengekniffen Augen starrte er nach oben, sog jede Einzelheit in sich auf, die Lage der Sträucher, die sich in den Stein krallten, die Vorsprünge, die einem Angreifer Deckung bieten konnten, die ganze zerklüftete Formation, die nur ein sehr geübter Kletterer bewältigen konnte. Dabei achtete er auf jede noch so kleine Bewegung, auf das leichte Flattern im Gebüsch und das unruhige Hin- und Herwiegen der spärlichen Grasbüschel. Vor allem hielt er nach einem metallischen Aufblitzen Ausschau, nach dem Kopf, dem Arm oder der Hand des Bogenschützen, der die Krähe abgeschossen hatte.

Aber da war nichts, überhaupt nichts.

Das hätte ihn eigentlich beruhigen sollen. Aber das Gegenteil war der Fall. Der Vogel konnte mit seiner schweren Verletzung nicht weit gekommen sein, der Bogenschütze musste sich also noch ganz in der Nähe befinden.

»Hast du schon wieder etwas entdeckt?«, fragte Taru scharf. »Vielleicht einen Bogenschützen, der gerade auf uns anlegt?«

»Ich ... ich habe ...« Isana beschattete die Augen mit der Hand und starrte gleich ihm in die Felswand. Es blieb eine Frage, ob sie ihm überhaupt sagen würde, wenn sie etwas Verdächtiges bemerkte.

»Hier muss es mindestens einen Bogenschützen geben«, zischte Taru, ohne die rauen zerklüfteten Felsvorsprünge auch nur für einen Lidschlag aus den Augen zu lassen. »Und ich wüsste nur zu gerne, wo er steckt. Ich habe nämlich keine Lust, das erst festzustellen, wenn er mich mit einem Pfeil durchbohrt hat: wie den Vogel.«

»Ich auch nicht«, antwortete Isana rasch.

»Und gern wüsste ich auch, warum er für eine Krähe einen Pfeil verschwendet«, fuhr Taru fort.

Darauf antwortete Isana nicht, aber das war ja auch nicht nötig. Taru steckte seine Waffe wieder weg. Sie würde ihm nichts nützen, wenn aus dem Hinterhalt jemand einen Pfeil auf ihn abfeuerte. Da half es nur, wenn sie sich ganz schnell eine Deckung suchten, die auch ein ganzer Pfeilhagel nicht durchdringen konnte.

»Komm mit«, befahl er barsch und lief los, ohne die Felsen aus den Augen zu lassen, von denen der tödlich getroffene Vogel hinabgestürzt war. »Hier können wir nicht bleiben!«

Arri stieß einen zischenden Laut aus und setzte den Fuß auf dem schmalen Grad ab, der sich vor ihr auftat. Alles in ihr loderte vor Aufregung, ihre ganze Seele schien zu vibrieren, und ihr Atem ging so stoßweise wie bei einem Reh, das von einem Rudel Wölfe in eine ausweglose Lage gehetzt wurde.

Sie war so erschöpft, dass sie sich kaum noch traute, den Fuß ein Stück weiterzuschieben. Dabei waren ihre Gedanken in heller Aufruhr. Jederzeit konnte ihr wieder ein Pfeil um die Ohren fliegen, oder sie selbst - ebenso wie die Krähe - aufspießen und mit sich in die Tiefe reißen. Dringend brauchte sie eine Atempause, und dazu irgendetwas, hinter dem sie in Deckung gehen konnte, ohne gleich wieder den nächsten Angriff fürchten zu müssen.

Aber das war leichter gesagt als getan. Sie rutschte ein kleines Stück nach vorn, ergriff einen kräftigen kleinen Busch, der dort wuchs und starrte in die Talöffnung hinab, die sich unter ihr auftat. Das, was sie da sah, verschlug ihr den Atem.

Sie hatte geglaubt, schwindelfrei zu sein, aber so ganz schien das nicht zu stimmen. Als sie sich jetzt noch ein Stück weiter vorbeugte, hatte sie nämlich das Gefühl, ihre Beine würden so weich wie Rinderfett werden, das in einem Topf schmolz. Zum Ausgleich dafür machte ihr Magen einen kleinen Hüpfer nach oben, zumindest kam es ihr so vor.

Ganz vorsichtig schob sie sich wieder ein Stück zurück, und jetzt krallte sich ihre Hand so fest in das harte Holz des Stammes, dass ihre Finger geradezu schmerzten. Sie merkte es aber kaum. Ihr Blick fraß sich in den Vogelkopf, der unter ihr aufragte.

Vielleicht lag es daran, dass man gerade vor ihren Augen eine Krähe abgeschossen hatte, und ihre Phantasie jetzt überreizt war. Aber dieser schwarze große Kopf da unter ihr sah in ihren Augen wie der einer riesigen Krähe aus. Ihr kam es gerade so vor, als wäre ein riesiger Vogel durch einen bösen Zauber zu Stein erstarrt und müsse seitdem hier im Tal der Steine ausharren und über den unvollständigen Steinkreis Wache halten, der zwar so großartig begonnen, aber nie beendet worden war.

Eine Bewegung irgendwo hinter dem großen steinernen Vogelkopf schreckte sie auf. Sie drückte sich weit in die Deckung des Busches, der vor beharrlicher Kraft nur so strotzte, und starrte ungläubig auf das Mädchen hinab, das gerade am Rande ihres Sichtfelds auftauchte.

Es war Isana!

Arri stieß einen überraschten Laut aus. Isana - hier? Aber wie konnte das sein? Redete sie sich das vielleicht nur ein, war das nicht vielleicht doch jemand anders?

Rasch sah Arri zu der Wiese hinüber, die zum Dorf führte. Zu ihrer Erleichterung war da niemand zu sehen. Als sie wieder in die Richtung blickte, in der das Mädchen stand, bemerkte sie, wie es sich zur Seite drehte und irgendetwas zu jemandem sagte, der sich nicht in ihrem Blickfeld befand.

Also war sie hier doch nicht allein. Aber darauf kam es Arri im Augenblick auch nicht an, für sie zählte nur das warme Gefühl, das sie durchströmte, als sie jetzt von hier aus in Isanas Gesicht starrte.

Ja, die Haltung, das Gesicht - es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass dies die junge Heilerin war. Auch auf die Entfernung hin glaubte Arri zu erkennen, dass ihre Haare nass und wirr an ihr herunterhingen und ihr Gesicht einige Blessuren aufwies, vom miserablen Zustand ihrer Kleidung ganz zu schweigen. Trotzdem verspürte Arri ein Gefühl großer Erleichterung. Sie hatte schon Angst gehabt, Isana wäre in dem schlimmen Unwetter, dem sie selbst ihre Flucht verdankte, schwer verletzt worden. So wie es jetzt aber aussah, war sie zwar nicht ganz ungeschoren davongekommen, wenn sie die ganze Strecke vom Dorf bis hierhin geschafft hatte, musste es ihr jedoch einigermaßen gut gehen.

Neben aller Erleichterung verspürte Arri auch ein Gefühl von Rührung. Dass Isana hier war, konnte nur bedeuten, dass sie auf der Suche nach ihr war. Aber auf der anderen Seite - damit vernachlässigte sie doch ihre Pflichten als Heilerin! Gerade jetzt, nach dem Unwetter, wurde man sie gewiss dringend im Dorf brauchen. Arri konnte nicht zulassen, dass sie nur wegen ihr all den Menschen nicht beistand, die jetzt ihre Hilfe brauchten. Und außerdem musste sie sie vor dem feigen Bogenschützen warnen, der unerkannt und aus einer sicheren Deckung heraus seine Pfeile verschoss.

Vorsichtig beugte sie sich ein Stück vor, und diesmal hüpfte ihr zumindest nicht ihr Magen entgegen, als sie hinabstarrte.

Isana!, wollte sie schon rufen, hier bin ich!

Statt Isanas Namen brachte sie allerdings nicht mehr als ein ersticktes Keuchen heraus. Denn jetzt, da sie die Stelle etwas besser einsehen konnte, an der die junge Heilerin stand, sah sie auch, dass sie nicht allein war.

Taru war an ihrer Seite, und er starrte nach oben, wenn auch im Augenblick nicht in ihre Richtung, sondern eher dorthin, wo sich nach wie vor der Bogenschütze versteckt halten musste.

Blitzschnell zog sich Arri wieder in den Schutz des Gebüsches zurück. Sie war so durcheinander, dass sie den Stamm des Busches losließ und um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte.

Taru an Isanas Seite? Was hatte das zu bedeuten? Die beiden waren doch erbitterte Feinde!

Wo ein Bogenschütze war, konnten auch noch andere sein. Wo ein Pfeil tötete, konnten auch noch andere töten.