Es gelang ihm aber nicht ganz. Ekarnas schlanker, hochgewachsener Körper verschwamm zu einem undeutlich breiigen Schemen, als die anderen mitsamt der Fackel einem Knick folgten und es damit fast gänzlich dunkel um sie herum wurde. Als sie plötzlich stehenblieb, wäre er um ein Haar in sie hineingerannt; aber vielleicht lag das auch nur an seiner gestörten Wahrnehmung und daran, dass er zu zweifeln begann, ob sie wohl jemals wieder aus diesen Stollen herauskämen.
»Das«, sagte Ekarna unbehaglich, während sie sich zu ihm umdrehte, »gefällt mir nicht.«
»Was denn?«, fragte Lexz. »Diese in Stein erstarrte Ewigkeit um uns herum?«
Ekarna strich ihm sanft über die Wange, eine vertraute und lang vermisste Geste aus einer Zeit, als sie noch mehr füreinander gewesen waren als nur Weggefährten. Er hatte es schon fast vergessen. »Du träumst schon wieder. Das hast du früher auch immer getan. Wenn wir am Fluss saßen ...«
Lexz nickte, denn sie hatte ja recht. Aber er unterbrach sie, weil jetzt kaum der richtige Zeitpunkt dafür war. »Was gefällt dir nicht?«
»Irgendetwas kommt hinter uns her«, flüsterte Ekarna. »Und es holt auf.«
»Aber was?«
Ekarna setzte gerade zur Antwort an, als sie beide ein polterndes Geräusch vor sich hörten, und eilige, aber nicht ganz sichere Schritte, die auf sie zuhielten.
Es war der Schamane.
»Kommt schnell!«, rief Zakaan mit seiner brüchigen Altmännerstimme, und dann sah Lexz, wie das Flackerlicht der Fackel wieder auf sie zuhielt. Was sollte das? Hatte der Schamane etwa kehrtgemacht, um sie im Licht der Fackel hier herauszuführen?
»Der Ausgang liegt hinter dem nächsten Knick«, sagte Zakaan ungeduldig. »Ihr müsst euch aber beeilen!«
Damit drehte er sich schon wieder herum und schlurfte auf eine Art davon, die Lexz gar nicht gefiel. Offenbar befand sich der Schamane am Rande seiner Kräfte.
Bevor Lexz einen weiteren Gedanken daran verschwenden konnte, zuckte Ekarna zusammen. Ihre Hand gab seine Wange frei, zog die Streitaxt und spannte sich so fest um ihren Schaft, dass Lexz das Knacken ihrer Gelenke hören konnte. Der Laut vermischte sich jedoch noch mit etwas anderem, nämlich mit einem Geräusch, als husche etwas Winziges über den Felsboden, und das gleich mehrfach und so bedrohlich, dass ihm der Atem stockte. Der flackernde Widerschein der sich nun wieder entfernenden Fackel riss für einen winzigen Augenblick die Dunkelheit auf, als wollte er ihnen die Gelegenheit geben zu sehen, ob da wirklich etwas hinter ihnen folgte, oder ob sie sich nur einer Täuschung hingaben. Bevor aber wieder alles hinter einem düsteren Schleier versank, sah Lexz den nackten grauschwarzen Felsen der Stollenwände und dann die Pfützen auf dem Boden, in denen sich das Licht der Fackel blutrot widerspiegelte - sonst nichts.
Als er zu seiner Weggefährtin herumfuhr, glaubte er eine Mischung aus Angst und Anspannung auf ihrem Gesicht zu erkennen.
»Hinter uns ist ... irgendwas«, flüsterte Ekarna.
Lexz nickte hastig. Auch wenn er bislang nichts gesehen hatte, so hörte er es doch. Es war ein leises, auf sie zuhaltendes Huschen und Drängeln, das in den scheinbar unendlichen Windungen des Ganges hinter ihnen ertönte.
Wie auf ein geheimes Kommando hin drehten sie sich um und begannen dann zu laufen. Doch was auch immer da hinter ihnen her sein mochte, es war schneller als sie und würde sie einholen, noch ehe sie den Ausgang erreichten, der sich bereits durch einen schwachen Lichtschein ankündigte.
»Das ist es!«, schrie Ekarna, während sie stehen blieb, Lexz bei den Schultern packte und mit einer kraftvollen Bewegung dazu brachte sich umzudrehen.
Lexz’ Herz machte einen schmerzhaften Sprung, als er etwas auf sich zuhuschen sah, etwas Kleines, Reptilienähnliches, mit einem nackten Schwanz und glitzernden schwarzen Augen. Ein Grottenmolch, eines dieser kleinen Wesen, die sich in tiefen Mulden, Höhlen oder auch Grotten zu Hause fühlten und sich für gewöhnlich überhaupt nur außerhalb ihrer sicheren Behausungen sehen ließen, wenn sie auf der Jagd nach Insekten waren oder sich auf einem Stein im hellen Sonnenlicht niederließen, um jeden einzelnen Sonnenstrahl einzufangen.
Der eine Molch wäre überhaupt nicht ungewöhnlich gewesen. Aber er war nur der erste einer kleinen Gruppe von vielleicht zehn, fünfzehn aufgeregten Reptilien, und dieser Vorhut folgten noch unzählige weitere Grottenmolche. Raschelnd und zischelnd hielten die dunklen Molche auf sie zu, und soweit es das spärliche Licht zuließ, sah er, dass es am Boden von ihnen nur so wimmelte.
Dann waren die ersten dieser Wesen herangekommen. Die kleinen krallenbewehrten Füße machten klackende Geräusche, die in ihrer Summe wie das harte Prasseln von sturmgepeitschten Regentropfen auf nacktem Felsen klangen. Dazu kam ein Zischeln und Rumoren und das klatschende Geräusch, mit dem sie gegeneinander oder gegen die Stollenwand schlugen.
Dämonen, schoss es Lexz durch den Kopf, kleine Dämonen mit spitzen Krallen.
Er packte Ekarna, drückte sie gegen die Wand und schirmte sie soweit es ging mit seinem Körper ab. Irgendetwas musste die dunklen kleinen Reptilien in Panik versetzt haben; vielleicht war es der Sturm, der in ihre Höhlen und Behausungen gefahren war, vielleicht auch etwas ganz anderes, von dem er nicht die geringste Vorstellung hatte. Einzelne Grottenmolche klatschten gegen seine Beine, doch er ließ es geschehen, genauso wie das Wuseln über seine Füße und den stetig zunehmenden Druck, mit dem ihn die übereinanderstürzende Flut der kleinen Reptilien mit den schwarzen Knopfaugen fast schmerzhaft nah an Ekarna herandrückte.
Die Grottenmolche wollten sie jedoch nicht angreifen. In dem Durcheinander waren zwei regungslose Menschen für sie kein anderes Hindernis als ein Felsvorsprung, der ihr Fortkommen erschwerte, den anzugreifen aber vollkommen sinnlos gewesen wäre.
»Was ... ist das«, hauchte ihm Ekarna angstvoll ins Ohr. »Wo kommen diese kleinen Mistviecher plötzlich her?«
»Der Sturm ...«
Ekarna zitterte plötzlich. Er spürte jede noch so zarte Regung ihres Körpers. Wie hatte er nur so dumm sein können? Er hatte doch gewusst, mit welcher Panik sie auf alles Huschende und Wimmelnde reagierte, seitdem sie von Ratten einmal fast totgebissen worden war.
»Sie sind gleich wieder weg«, presste er hervor.
Dabei war er sich dessen gar nicht so sicher. Die Molche stürzten über- und untereinander, verletzten sich in ihrer Panik gegenseitig, waren so vollkommen außer Rand und Band wie eine durchgehende Bisonherde. In dem engen Stollen fehlte ihnen lediglich der Platz, in alle Richtungen auseinanderzuspritzen, was sie sonst sicherlich getan hätten. So aber erhöhte sich der Druck auf Lexz und Ekarna. Einzelne Exemplare wurden so hochkatapultiert, dass sie sogar in seinen Rücken platschten, die Mehrzahl aber prallte gegen seine Beine und hätte ihn sicher umgeworfen, wenn die Wand nicht gewesen wäre. So aber fühlte er sich kräftig durchgeschüttelt.
Und Ekarna bebte und zitterte mittlerweile so heftig, dass er sie mit beiden Armen umschlang, um sie zu beruhigen. Er konnte sie so gut verstehen. Er selbst wurde in der Dunkelheit auch schon fast wahnsinnig, sie aber hatte allen Grund, auf diese schreckliche Flut mit Abscheu zu reagieren.
Es schien endlos zu dauern. Sie standen eng aneinandergekauert da. Ekarna schnappte krampfhaft nach Luft, und auch Lexz fiel das Atmen inzwischen so schwer, dass er sich verzweifelt fragte, wie lange sie das noch aushalten sollten. Er hatte schon einiges Verrückte in seinem Leben erlebt, aber diese Grottenmolchflut war fast mehr, als er ertragen konnte.
Dann, zuerst kaum merklich, plötzlich aber ganz rasch, ebbte die Flut ab. Ein paar Nachzügler jagten im Zickzackkurs heran, erschöpft oder verletzt oder aus irgendeinem anderen Grund nicht in der Lage, mit der Rotte mitzuhalten. Lexz spürte, wie die Anspannung von ihm wich.