Lexz reichte es, es reichte ihm jetzt endgültig und für alle Zeiten. Er wollte einfach seine Ruhe haben und die Gelegenheit, zu sich zu finden - mit oder ohne Atemübungen, mit oder ohne die schlauen Sprüche des Schamanen. Kenans Schmiede wäre dafür der richtige Ort. Sie war groß, ordentlich aufgeräumt und mit all den Werkzeugen und kleinen Teilchen aus Metall doch genau auf die Art unübersichtlich, die das Ganze gemütlich machte.
Kenans alte Schmiede. Das war jene Schmiede gewesen, die am Rande ihres Heimatdorfes gestanden hatte, im Schatten dreier mächtiger Bäume, die sie mit ihrem dichten Blätterdach zuverlässig vor Wind und Wetter geschützt hatten, was wegen der zwei außen liegenden Öfen nicht ganz unwichtig gewesen war. Ohne auch nur einmal darüber nachzudenken war Lexz davon ausgegangen, dass die neue Schmiede nicht sehr viel anders aussehen werde.
Da hatte er sich aber kräftig getäuscht. Groß war die neue Schmiede schon, aber ganz anders gebaut als alle anderen Häuser, die Lexz kannte. Die alte Schmiede hatte aus einem einzigen riesigen Raum bestanden, ganz so, wie das für Langhäuser üblich war. Dies hier aber war eher ein unmittelbar an den Felsen gebautes Breithaus, und es besaß zwar einem großen Raum - den, in den er gerade getreten war -, darüber hinaus aber auch ein verzweigtes System von Ein- und Ausgängen, die in den Berg hineinführten. Einige von ihnen öffneten sich in behauene und teilweise wohnlich eingerichtete Höhlen, andere endeten schon nach ein paar Schritten, ohne dass sich ihr Sinn erkennen ließ.
Während die anderen von dem Wasser genommen hatten, das sie hier in zwei randvoll gefüllten Tonkrügen vorgefunden hatten und Torgon schon wieder etwas schmatzend in sich hineinschlang, über dessen Zusammensetzung Lexz besser nicht nachdachte, hatte er sich in der Hütte des Schmieds etwas genauer umgesehen. Nicht, dass es ihm weitergeholfen hätte.
Die Inneneinrichtung der Hütte entsprach ganz dem Geschmack Kenans. Es gab eine Unzahl von Ablagen und Borden, die der Schmied offensichtlich häufig zu benutzen pflegte. Fertig geschmiedete Waffen mit und ohne Griffe, Rasiermesser, Werkzeuge, Armreifen, Verschlussnadeln, Halsketten und alles andere, was sich komplett oder teilweise aus Bronze oder Kupfer fertigen ließ oder zu seiner Herstellung diente. Einige schöne Schmuckstücke lagen sauber sortiert neben aufgereihten Krügen, die im Licht so golden glänzten, als hätte Kenan sie wirklich und wahrhaftig in ein Goldbad getaucht.
Lexz hatte solche prachtvollen Krüge noch nie zuvor gesehen, und es hätten ihm dazu auch durchaus ein paar Fragen auf der Zunge gelegen, wenn es nicht doch wesentlich Wichtigeres gegeben hätte.
Das Allerwichtigste war die Gestalt, die in gekrümmter Haltung auf einem Korbstuhl in einer Ecke des Raumes eher hing als saß, sodass sie von dem ohnehin nicht allzu üppigen Licht kaum beleuchtet wurde. Das, was Lexz hier zu sehen bekam, reichte ihm allerdings schon.
Es war ein uralter Mann, zumindest so viel ließ sich mit einiger Sicherheit sagen. Sein Gesicht war vollkommen haarlos und dabei so hässlich, dass Lexz erneut eine Welle der Übelkeit spürte, die gegen seine Kehle drückte.
Neben ihm stand Zakaan, der Schamane. Obwohl er so wacklig und erschöpft aussah, als wäre er gerade aus der Erde ausgebuddelt und auf eine geheimnisvolle Weise wieder zum Leben erweckt worden, wirkte er im Vergleich zu dem verkrümmten Etwas in dem Korbstahl geradezu wie das blühende Leben.
Damit aber nicht genug: Es hockten ein Stück vom ihm entfernt Abdurezak, Torgon und Ekarna auf dem Boden, und gleich neben ihnen Rar, der größte Dummkopf von allen, wie sich Lexz nur zu gut erinnerte. Partuk und Byrta waren nicht zu sehen, und auch von dem Schmied selbst fehlte jede Spur, wie sich Lexz gleich nach seinem Eintritt in den Raum mit einem schnellen Blick überzeugt hatte.
Dass Rar statt Kenan hier war, fand er bedauerlich. Der einfältige Muskelprotz hatte schon in ihrem Heimatdorf Kenans Schmiedejunge werden wollen, und so, wie es aussah, hatte er es inzwischen also auch geschafft. Lexz wunderte sich, dass seine Hände keine Brandblasen aufwiesen und auch nicht von Schmiedehämmern platt geklopft waren. Dafür sahen sie so aus, als hätte er mit ihnen die eine oder andere Leiche ausgewühlt, so dreckig und voller kleiner modriger Erdteile waren sie.
Rar konnte Lexz ungefähr so gut leiden wie ein Sperber einen Habicht, also gar nicht - was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Jetzt hatte er ein dümmlich triumphierendes Grinsen aufgesetzt, das ihm Lexz am liebsten mit ein paar kräftigen Faustschlägen aus dem Gesicht getrieben hätte.
»Nor?«, fragte Zakaan ungewöhnlich sanft. »Hohepriester?« Er beugte sich zu dem Wesen in dem Korbstuhl hinab. »Lexz ist vielleicht unser Mann. Wie ich gerade gehört habe, ist er der Heilerin des Dorfes schon einmal in den Wäldern begegnet. Vielleicht kann er uns helfen, sie zu finden. Und dann wird sie uns gewiss bei der Erstellung des Heilungstrunks behilflich sein!«
Lexz fuhr zu Nor und dem Schamanen herum. »Isana«, keuchte er. »Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, ist sie gerade von wilden Kerlen in stinkenden Pelzen verschleppt worden!«
Ekarna zuckte zusammen, als er die Heilerin erwähnte - wahrscheinlich, weil er ihr mit seinem Gerede über Isana ein wenig zu häufig auf die Nerven gegangen war. Aber auf Nor, den hässlichen und wie tot wirkenden Hohepriester, hatte das eine ganz andere Wirkung.
Auf eine eigene Art schien jetzt Leben in ihn einzufließen. Es zuckte und bebte in seinem schlangenähnlichen Körper, und dann richtete er sich in eine halbwegs sitzende Position auf.
»Amar!«, keuchte er. »Das war Amar!«
»Amar?« Lexz verstand ihn nicht. »Wer war Amar und was sollte der mit Isana zu tun haben?«
Nor schüttelte auf eine zitternde, abstoßend wirkende Art den Kopf. »Menschen sind undankbar«, brabbelte er. »Manche mehr und manche weniger, aber tief in sich sind sie es alle. Sie lassen sich gern helfen, aber dann vergessen sie einen sehr schnell. Am schlimmsten sind aber die, die einen hintergehen und einem den Tod wünschen, auch wenn man vorher alles für sie getan hatte.«
»Ja«, sagte Lexz ungeduldig. »Aber was hat das mit Isana zu tun?«
Nor verzog sein hässliches Wurmgesicht zu einer Grimasse, die alles ausdrücken konnte: Abscheu, Häme, Wut. »Es hat mit den Menschen zu tun, die mir den Tod wünschen!«, zischte er.
Lexz schüttelte den Kopf. »Aber doch nicht Isana! Sie wünscht dir ganz gewiss nicht den Tod!«
»Ich meine doch nicht deine kleine Heilerin, du Holzkopf. Da gibt es ganz andere. Mehrere!« Nor spuckte das Wort geradezu aus. Nach einer kleinen Pause, in der er rasselnd Atem geholt hatte, fuhr er fort: »Amar ist der Schlimmste von allen. Er tut mir gegenüber so, als vertrete er mich in meinem Amt als Hohepriester nur. Dabei hat er dieses Amt schon fast gänzlich an sich gerissen.« Nor gab einen schnaufenden Laut von sich und sog dann erneut mit einem schrecklichen Geräusch die Luft ein. »Der falsche Hund glaubt doch tatsächlich, ich wüsste nicht, was er vorhat. Dabei treibt er schon seit zwei Sonnenwenden sein falsches Spiel mit mir!«
»Aber trotzdem ...«, begann Lexz.
»Willst du wissen, woher ich weiß, dass Amar deine Kleine verschleppt hat?« Nors Stimme war zwar kaum zu verstehen, zitterte aber vor Zorn. »Das kann ich dir sagen: weil er sich ganz seltsame Verbündete gesucht hat. Menschen, die gar nicht weit entfernt von hier in Höhlen leben, so wie unsere Vorfahren. Die noch von der Jagd leben, und nicht vom Ackerbau.«
Lexz brauchte einen Augenblick, um das zu verdauen. »Das heißt also, dass diese primitiven, Keulen schwingenden Kerle zu Amar gehören? Aber wozu soll das gut sein? Warum überfallen sie uns dann und warum entführen sie Isana?«
Nor wischte die Fragen mit einer raschen Bewegung seiner Krallenhand beiseite. »Bring mir Amar, und ich werde ihn in deinem Beisein all dies fragen - und noch vieles mehr.«
Die Antwort stellte Lexz nicht im Geringsten zufrieden. »Ich muss Isana sofort suchen!«