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Arri schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist es nicht. Es stammt aus der untergegangen Heimat meiner Mutter und ist das einzige seiner Art. Und es stimmt, das ist nicht Bronze, sondern ein härteres Metall. Wie man es aber nennt, weiß ich nicht.«

Larkars Blick wanderte die ungewöhnlich schimmernde Klinge des Schwertes entlang und blieb an dem Knauf hängen. In seinen Augen stand mehr als nur eine Frage, als er das Abbild der Himmelsscheibe entdeckte, das dort eingelassen war. Es war schon fast Ehrfurcht.

»Wer bist du, Arri?«, flüsterte er, »dass dir deine Mutter so ein ungewöhnliches und wertvolles Schwert vermachen konnte?«

Die Wolkendecke war aufgebrochen, und der Abendhimmel blutrot. Lexz zog die Schultern fröstelnd zusammen und versuchte dem eisigen Wind zu entgehen, der vom See her über das Tal strich und sich heulend an den Flanken der Hügel brach. Es wollte ihm allerdings nicht gelingen.

Mittlerweile hatten sie die Talsohle erreicht, und eigentlich hätte es hier unten wärmer sein müssen als oben bei der Töpferwerkstatt, die sie passiert hatten, bevor sie an verlassenen Hütten vorbei immer weiter hinabgestiegen waren. Aber Lexz hatte ganz im Gegenteil das Gefühl, als wäre es von Anfang an immer nur kälter geworden. Vielleicht lag das daran, dass nach der Begegnung mit Nor eine Art innerer Kälte in ihn eingezogen war. Das Gespräch hatte ihn mehr aufgewühlt, als er sich das zunächst hatte eingestehen wollen. Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, das alles vermischte sich in seiner Empfindung zu einem ungenießbaren Gemisch ohne Ziel und Halt.

Hätte er nicht eigentlich erleichtert sein müssen, dass sie nun endlich das Land ihrer Stammväter entdeckt hatten? Hätte er sich nicht darauf freuen können, nach zwei Sommern lang vermisste Freunde und Verwandte wiederzusehen? Hätte ihn die Aussicht darauf, nach all der harten, entbehrungsreichen Zeit wieder sesshaft werden zu können, nicht anspornen müssen, nun auch noch die letzten Hindernisse zu beseitigen?

Eigentlich ja. Aber es ging ihm alles zu schnell, und es war ihm alles zu viel. Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis er wirklich begriff, was hier in diesem Tal seit den Zeiten der Stammväter alles geschehen war, und was das für jeden Einzelnen von ihnen bedeutete: für Torgon und Ekarna, für seinen Vater und den Schamanen, für sich selbst und all diejenigen, die die große Wanderung überlebt hatten.

Aber eigentlich hatte er zurzeit keine Aufmerksamkeit dafür. Es war der Gedanke an Isana, der ihn fast wahnsinnig machte. Ihr Bild ließ ihn nicht los - und ihre Küsse und Umarmungen erst recht nicht. Er erinnerte sich, wie er in ihren Augen versunken war, wie sich ihre Lippen gefunden hatten und ihre Körper auf eine besondere Art verschmolzen waren. Dabei war eigentlich nicht mehr zwischen ihnen gewesen als eine flüchtige Begegnung an einem kleinen Wasserlauf, dessen unbekümmertes Plätschern sich ebenso in seine Erinnerung eingegraben hatte wie jede Regung ihres Körpers, wie das leicht spöttische und doch liebevolle Aufblitzen in ihren Augen und ihre Finger, die seine Gesicht erkundet hatten, bevor sie tiefer gewandert waren. Sie hatten viel zu wenig Zeit füreinander gehabt und sich kaum aufeinander einlassen können. Und doch es war ganz anders gewesen als mit allen anderen Mädchen zuvor, tiefer, bewegender und so aufwühlend, dass sein Herz selbst jetzt noch schmerzhaft zu pochen anfing, wenn er auch nur an seine Liebste dachte.

Aber nicht nur das wühlte ihn auf, während seine Gedanken um Isana kreisten. Er wusste nicht, ob die Barbaren sie aus eigenem Antrieb entführt haben mochten, oder auf Geheiß dieses Amars, des falschen Hundes, wie Nor ihn genannt hatte. Und schon gar nicht wusste er, wie ihr die Flucht gelungen war - und warum sie Abdurezak und den anderen im Dorf nichts von diesem schrecklichen Erlebnis erzählt hatte.

Irgendetwas stimmte da nicht.

»Denkst du schon wieder an Isana?«, fragte Ekarna.

Ihre Stimme schien dabei einen bitteren Klang anzunehmen. Lexz versuchte das auf die Kälte und die Erschöpfung zu schieben. Er verstand ohnehin nicht ganz, woher Ekarna die Kraft nahm, äußerlich so ruhig - beinahe schon heiter - zu bleiben, da sie doch wusste, dass es im Augenblick um nichts anderes ging, als Isana zu finden.

In den letzten Tagen waren sich Ekarna und er auf eine unausgesprochene Art viel näher gekommen als jemals zuvor. Spätestens in dem Stollen, als sie eng aneinandergepresst die Flut der Grottenmulche über sich ergehen lassen mussten, hatte er gespürt, wie es wirklich um sie stand. Inzwischen glaubte er tief in seinem Herzen zu wissen, dass Ekarna gerne mehr als nur seine Weggefährtin gewesen wäre.

»Ja«, gestand er nach einer ganzen Weile, während er einen Fuß vor den anderen setzte, ohne wirklich zu bemerken, wo sie waren. »Natürlich denke ich an sie. Nor braucht sie doch.«

»Nicht nur Nor«, wandte der Schamane ein, der es auf den letzten Schritten irgendwie geschafft hatte, zu ihnen aufzuschließen.

Lexz warf ihm einen besorgten Seitenblick zu. Abdurezak war oben in der Schmiede bei Nor geblieben, aber der Schamane hatte ja unbedingt mitkommen müssen. Lexz wusste nicht, ob das wirklich eine gute Idee war. Er hätte sich bei nächster Gelegenheit gerne einmal in aller Ruhe mit dem Schamanen besprochen, aber den alten Mann, der offensichtlich am Rande seiner Kräfte war, auf diesen Erkundungsgang mitzunehmen, das war einfach nicht richtig.

»Wir alle brauchen sie«, fuhr der Schamane mit seiner heiseren, brüchigen Stimme fort. »Und die Mittel, die sie in ihrer Hütte hat.«

»Wenn es die Hütte noch gibt«, wandte Torgon ein. »So, wie ich das verstanden habe, hat der Sturm das Dorf geradezu auseinandergenommen.«

»Selbst wenn das so wäre«, beharrte der Schamane, »hätten wir gar keine andere Möglichkeit, als Isana schnell aufzutreiben. Das Runzelkraut ist mit Sicherheit die wichtigste Zutat zu dem Heilmittel. In dem Grab lagen aber noch die vertrockneten Blüten von zwei weiteren Heilpflanzen. Ich habe sie mir angesehen und weiß daher ziemlich genau, um was ... um was es sich handelt ... und Isana weiß sicherlich, wo man die Pflanzen findet ...« Er brach keuchend ab und schwankte zur Seite.

Ekarna machte einen Satz auf ihn zu und umklammerte ihn, bevor er stürzen konnte. »Zakaan!«, rief sie. »Was ist mit dir?«

Der Schamane wollte sie von sich wegstoßen und versuchen, wieder von selbst auf die Beine zu kommen. Aber Ekarna ließ nicht locker - und das war auch richtig so, fand Lexz. Dass der Schamane vollkommen am Ende seiner Kräfte war und es sich selbst nur nicht eingestehen wollte, war offensichtlich. Er selbst war nahe daran, Ekarna zur Hilfe zu kommen, ließ es dann aber.

Die Raubkatze würde die Situation nicht nur allein meistern, es wäre vielleicht auch gar nicht klug gewesen, schon wieder ihre Nähe zu suchen - und sei es nur, um den widerspenstigen und wild vor sich hinbrummelnden Schamanen gemeinsam zu zähmen. Seine Gefühle für Isana mussten ein Stachel in ihrer Seele sein. Wäre er vorher wegen seiner Sorge um sie nicht so blind gewesen, hätte er merken können, dass die Raubkatze eifersüchtig war.

Bis zu seinem Zusammentreffen mit Isana hatte er aber wirklich nicht gewusst, dass Ekarna so viel für ihn empfand. Während er auf einen Felsabsatz trat und auf eine Biegung hinunterblickte, hinter der eine locker bewaldete Landschaft begann, die von mehreren kleinen Bächen durchschnitten wurde, fragte er sich, was wohl geschehen wäre, hätte er schon früher eine Ahnung von ihren Gefühlen gehabt. Gewiss, sie waren ein, zwei Mal miteinander im Heu gewesen, und sie hatten dabei gut aufgepasst, dass es genau zu der Zeit geschah, in der Ekarna nicht empfänglich war - aber viel Gefühl war dabei nicht im Spiel gewesen.

So hatte er geglaubt.

Dabei war es Ekarna, die ihm nach Larkar ohne jeden Zweifel am nächsten stand. Nur seltsam, dass er das immer für vollkommen selbstverständlich hingenommen hatte. Er empfand eine tiefe Zuneigung zu der Raubkatze, und außer Larkar gab es keinen anderen Menschen, dem er so sehr vertraute wie ihr.