»Nun lass endlich ab!«, schimpfte Zakaan hinter ihm, und er begriff, dass er und Ekarna immer noch ihren merkwürdigen Kampf aufführten, bei dem keiner nachgeben wollte. Wenn er dem zusah, bezweifelte Lexz, dass der Schamane jemals einfach so an Altersschwäche sterben würde. Mit seiner Hartnäckigkeit trotzte er dem Tod - und rang ihm dabei Jahr für Jahr ab.
Das war wahrscheinlich die einzige wirkliche Gemeinsamkeit zwischen ihm und Nor. Sonst aber waren die beiden so verschieden, wie es ein Hohepriester und ein Schamane nur sein konnten. Nor war ein Machtmensch, wie selbst in seinem erbärmlichen Zustand oben in der Schmiedehütte zu spüren gewesen war. Zakaan dagegen war es niemals um Macht gegangen, ihn hatte immer nur die Sorge um sein Volk angetrieben.
»Pass auf«, sagte Ekarna. »Wenn ich dich jetzt loslasse ...«
Sie kam nicht mehr dazu zu sagen, was geschehen würde, wenn sie den Schamanen losließ. Ein hässliches Zischen ertönte hinter Lexz ... und dann ein noch hässlicherer Aufprall.
Lexz drehte sich herum. Ungläubig starrte er auf die Raubkatze, die rückwärts taumelte, genau auf ihn zu. In ihrem Hals steckte ein Pfeil.
Lexz war so erstarrt, dass er die Arme fast zu spät hochriss, um Ekarna aufzufangen. Die Raubkatze prallte gegen ihn und hätte ihn fast von den Füßen gerissen. Lexz spürte die vertraute Wärme ihres Körpers, und dann spürte er, wie sie sich noch einmal aufbäumte.
»Lexz«, stammelte sie. Dann trübte sich ihr Blick, und sie war gestorben.
Es war ein merkwürdiger Anblick, einen in Felle gekleideten Barbaren zu sehen, wie er einen schlanken Bogen aus Eschenholz aufnahm, und zu beobachten, wie er in aller Ruhe einen Pfeil auf die Sehne legte und ihn abschoss. Orakar gab seinen Leuten das Zeichen, dass sie noch ein Stück näher heranklettern sollten.
Der Barbar ließ den Pfeil davonschnellen, der zischend irgendwo unter ihnen verschwand. Er brummte kurz und zufrieden auf, legte den Bogen beiseite und beugte sich ein Stück vor, gewiss, um zu sehen, ob und wie er getroffen hatte.
Als er dann ein Geräusch hinter sich hörte, zuckte er zusammen, griff nach der Streitaxt und wollte herumfahren. Da war Gorak schon herangekommen und spaltete ihm mit einem einzigen Hieb seines Bronzeschwerts den Schädel.
»Verdammter Mist!«, fluchte Taru.
Er stemmte sich hoch und wischte sich mit den Händen so gut es ging den Matsch von den Armen. Gleichzeitig ruckte sein Kopf in die Richtung hinüber, in der er es metallisch hatte aufblitzen sehen. Die untergehende Sonne blendete ihn und erschwerte es ihm, mehr zu erkennen als einen Bach, der sein Wasser glucksend und blubbernd über die Steine schießen ließ, die in seinem Bett lagen.
»Ich mag Bäche«, sagte Isana hinter ihm.
Taru hob die Hand, um ihr zu bedeuten, dass sie gefälligst Ruhe bewahren solle. Er sah nichts und niemanden. Dabei hatte er das unangenehme Gefühl, dass ihn jemand beobachtete. Es wurde langsam Zeit, dass er sich eine Deckung suchte ...
Da, ein Stück weiter links, dort in der dicht stehenden Baumgruppe. Da wäre er zumindest vor einem feigen Angriff aus dem Hinterhalt sicher und konnte seinerseits die Umgebung im Auge behalten, ohne gegen die Sonne blicken zu müssen.
»Wirklich«, sagte Isana. »Ich finde Bäche so romantisch.«
Taru zählte innerlich ganz langsam bis drei. Wenn die aufmüpfige Tochter des Schmieds jetzt nicht endlich die Klappe hielt, würde er ihr gleich hier und jetzt die Kehle durchschneiden.
»Allein das Geräusch des sprudelnden Wassers«, sagte Isana begeistert. »Das bringt mich richtig in Wallung.«
»Also gut«, sagte Taru und drehte sich um. »Du hast es nicht anders gewollt ...«
Mitten im Satz brach er jedoch ab und starrte ungläubig auf die drei Männer, die ein Stück hinter ihr Aufstellung genommen hatten. Allen voran Amar, der mit verschränkten Armen und einem breiten Grinsen auf den Lippen dastand - das allerdings erfror, als sich Isana zu ihm umdrehte und der Hohepriester sah, in welchem Zustand sich die Tochter des Schmieds befand.
Taru registrierte dies ebenso schnell wie die Tatsache, dass die zwei hinter Amar stehenden Krieger ihre Waffen zogen und ihn so grimmig anstarrten, als wollten sie ihn schon allein durch diese Haltung daran hindern, irgendeine Dummheit zu begehen.
»Amar!«, krächzte Taru. »Wie schön, dich hier wiederzusehen!«
»Ich finde das leider gar nicht so schön«, antwortete Amar gereizt. »Warst du das?«
Er deutete auf Isana, und es war klar, was er meinte: ihren im wahrsten Sinne des Wortes angeschlagenen Zustand, angefangen von der verdreckten und eingerissenen Kleidung, bis hin zu den Kratzern auf ihrem Gesicht und den wirr herabhängenden Haaren.
»Ach, weißt du, eigentlich hat mir Taru gar nichts getan«, antwortete Isana, bevor Taru auch nur den Mund öffnen konnte. »Außer mich ein bisschen rumzuschubsen, mir zu drohen, mich zu töten und mir Sand ins Gesicht zu werfen.«
Amars Gesichtsausdruck verfinsterte sich zunehmend, während er Taru mit einem abschätzenden und durch und durch kalten Blick bedachte. »Und ich hatte gehofft, du würdest doch noch Vernunft annehmen. Aber wie ich sehe, bist du ganz und gar auf Streit aus.«
»Ich?«, Taru schüttelte heftig den Kopf, »auf Streit? Aber nein. Ich bin nur auf der Suche nach der entflohenen Drude.«
»Meinst du die Drude, die du nicht aus den Augen lassen wolltest?«, fragte Amar scharf. »Für deren sichere Unterbringung in eurem Dorf du mit deinem Leben garantiert hast?«
Vor ihnen waren Stimmen zu hören, und wie es klang, war es nicht gerade ein Gespräch unter Freunden, das dort geführt wurde. Larkar legte Arri einen Finger auf die Lippen, um ihr zu bedeuten, dass sie still sein solle. Als ob es dieser Aufforderung bedurft hätte. Schließlich war sie hier nicht zum Beerensammeln unterwegs.
Larkar brachte seinen Mund ganz nah an Arris Ohr. »Das ist eine ganze Gruppe. Wir müssen vorsichtig sein. Lass uns lieber verschwinden.«
Arri schob ihn ein Stück zurück und schüttelte trotzig den Kopf. Sie hatte ohne jeden Zweifel Tarus Stimme erkannt - und das Wort Streit gehört. Das klang gar nicht gut. Sicherlich war Isana noch bei ihm, und wie sie Taru einschätzte, war sie in großer Gefahr. Dieser kleine Möchtegern-Herrscher schien inzwischen leider vollkommen unberechenbar zu sein, wenn ihn die Wut übermannte. In diesem Zustand schreckte er auch vor Gewalttaten nicht zurück, wie Arri ja am eigenen Leib hatte erfahren müssen.
Allmählich wurde es Zeit, dass sie ihm Grenzen setzte.
»Wir sehen uns das mal näher an«, flüsterte sie.
Larkar sah sie an, als habe sie den Verstand verloren. Vielleicht hatte sie das ja auch. Aber wenn, dann auf ganz andere Weise, als es der Speer vermuten mochte. Sie war nämlich nicht länger bereit, sich herumschubsen zu lassen und auf irgendjemanden Rücksicht zu nehmen, schon gar nicht auf einen Idioten wie Taru.
»Tu das lieber nicht«, flüsterte Larkar.
»Was soll ich lieber nicht tun?«, zischte Arri. »Soll ich Isana etwa diesem Schläger überlassen? Soll ich nicht wenigstens versuchen, sie zu befreien, bevor er sie verprügelt - oder ihr noch Schlimmeres antut?«
»Doch, natürlich sollst du ihr helfen«, widersprach ihr Larkar rasch. »Aber einfach so loszustürmen, ohne zu wissen, auf was man da stößt - oder aber jemanden zu befreien, das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge.«
Arri spürte ein seltsames Gefühl von Enttäuschung. Sie und Larkar kannten sich doch kaum. Und da erwartete sie allen Ernstes, dass er sein Leben riskierte, nur um ihr zu helfen? Das war doch lächerlich. Aber andererseits gab es auch eine Art von Vertrautheit zwischen ihnen, wie sie zwischen eigentlich Fremden entstehen konnte, wenn sie in einer besonderen Lage aufeinander trafen. Doch das allein war es nicht: Larkar erschien ihr bereits so vertraut wie ein alter Freund - nämlich wie ein Freund, auf den man sich in einer Notlage verlassen konnte.