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»Du verstehst es wirklich nicht, nicht wahr?« Isana schüttelte den Kopf, und es lag so viel Wut in dieser Bewegung, dass Taru zurückgezuckt wäre, wenn jetzt nicht etwas ganz anderes in ihm aufgestiegen wäre: eine unglaubliche Empörung. »Dragosz hatte dafür gesorgt, dass man mich bei der Wahl der Heilerin einfach überging. Meinst du denn im Ernst, dafür hätte ich Surkija umgebracht?«

»Surkija?« In Taru brach etwas zusammen, Stück für Stück, wie eine treibende, von einer Sturmbö hochgedrückte Eisscholle, die an einem Felsen zerschellt. »Surkija?«

Das konnte noch weniger wahr sein. Er erinnerte sich nur zu gut daran, dass es viele Gerüchte um den Tod der Heilerin gegeben hatte, wegen der Dragosz den Streit mit seinem Bruder angefangen hatte. Aber niemals wäre er auf die Idee gekommen, dass Isana etwas mit dem Tod von Surkija zu tun haben könnte, die sich ihrer wie eine Mutter angenommen hatte. Was war das nur für ein Abgrund in ihr, welche dunklen Mächte hatten von Isana bloß Besitz ergriffen, um sie so zu verderben und ein großes Unheil über die Menschen in ihrer Umgebung bringen zu lassen?

»Surkija hatte nun wirklich den Tod verdient«, sagte Isana verächtlich. »Findest du nicht?« Sie wartete aber keine Antwort ab, sondern schüttelte nur so wild den Kopf, dass ihre Haare hin und her flogen. In diesem Augenblick sah sie fast wie ein böser Geist aus. »Schließlich war sie doch der Grund, warum unser Volk auseinanderbrach. Und außerdem«, dabei kicherte sie böse, »stand sie mir im Weg. Schließlich wollte ich die Heilerin werden. Und mich an Dragosz rächen.«

Amar sah zur Seite, als hätte er ein Geräusch gehört, und auch die beiden Krieger hinter ihm wechselten einen schnellen Blick. Irgendetwas musste sie alarmiert haben. Als ein Vogel aus dem Gebüsch aufflatterte, entspannten sie sich wieder.

Amar trat näher an Isana heran und legte ihr die Hand auf den Arm. »Lass es gut sein.« Sein Gesichtsausdruck hatte sich auf eine Weise verändert, die Taru nicht deuten konnte. Was ihm aber überhaupt nicht gefiel, war, dass auch der Hohepriester den Knauf seines Schwertes umfasste. »Bringen wir es hinter uns.«

»Nein«, sagte Isana, »ich lasse es nicht gut sein! Weil es nämlich nicht gut ist. Und weil es nie gut war!«

Amar schüttelte ganz leicht den Kopf. »Das ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort, um darüber zu sprechen.«

»Das ist sogar die einzige richtige Zeit und der einzige richtige Ort, um darüber zu sprechen«, widersprach Kenans Tochter. »Schließlich soll Taru doch das Wissen um das Versagen seines Vaters mit in den Tod nehmen.«

In den Tod nehmen. Taru erstarrte. Er wusste längst, dass er hier nicht mehr lebend wegkam, wenn es nach Amar und Isana ging. Aber es war gar nicht gut, dass Isana dies nun auch ausgesprochen hatte. Amar musste spätestens jetzt begreifen, dass ihn Taru angreifen würde, statt sich einfach niedermetzeln zu lassen.

»Immer musste ich alles so machen, wie es die anderen wollten!« Isana fuhr sich mit beiden Händen durch ihre Haare. »Ich wollte auch mal etwas tun, das ich will.« Ihre Stimme wurde leiser. »Ich habe Dragosz geliebt. Ich wollte nichts weiter als Surkijas Stelle an seiner Seite einzunehmen.«

Taru spürte, wie ihm ein Schweißtropfen über die Stirn ins Auge lief. Er versuchte ihn wegzublinzeln. Gleichzeitig wollte er sein Gewicht ein Stück weit auf den rechten Fuß verlagern.

»Du wirst ihre Stellung als Heilerin in eurer Gemeinschaft einnehmen«, sagte Amar. Auch seine Körperhaltung veränderte sich. Die beiden Männer hinter ihm spannten sich erneut an.

Isana schien ihn gar nicht verstanden zu haben. »Arri hat mein Leben zerstört«, murmelte sie. »Ich habe alles verloren: den Mann, den ich liebte. Die Möglichkeit, irgendwann einmal Heilerin zu werden. Die Stellung in der Gemeinschaft, die ich verdiente.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und starrte nach oben. »Es wird eine schöne Nacht. Die Wolken werden sich verziehen, die Seelen der Toten werden leuchten wie die Sterne.« Ihr Kopf wandte sich wieder herunter. »Dragosz war mein Mann, Taru! Nicht der Mann von Surkija. Und schon gar nicht der von dieser unerträglich einfältigen Arri!«

Die letzten schräg einfallenden Strahlen der Sonne blendeten Arri so stark, dass sie sich kaum orientieren konnte. Nicht, dass es wirklich darauf ankam. Larkar hatte darauf geachtet, dass sie nicht einfach losgestürmt waren, und das war wohl auch gut so gewesen. Offenbar war es tatsächlich Isanas Stimme, die sie gehört hatte. Und während sie sich im Schutz von dichten Büschen und ausladenden Bäumen vorsichtig anschlichen, bekamen sie Gesprächsfetzen mit, die zu hören Arri mit einem kalten Grausen erfüllte.

Larkar blieb ebenso wenig wie ihr verborgen, was dort gesprochen wurde. Die Art, auf die er sich bewegte, die Art, wie er sie mit flüchtigen Seitenblicken musterte: all dies veränderte sich grundlegend mit jeder weiteren Ungeheuerlichkeit, die Amar oder Isana von sich gaben. Seine Bewegungen waren plötzlich eckig und seine Gesichtszüge von einer Grimmigkeit, die sie erschreckt hätte, wäre sie nicht selbst vollkommen erschüttert gewesen.

Sie stolperte vor sich hin, unfähig, viel mehr wahrzunehmen, als dass sich die Dunkelheit wie ein schwarzes Tuch über das Tal zu senken begann, das schon sehr bald die rötlichen Ausläufer der Abendsonne ersticken würde. Sie riss sich das Gewand ein, in das man sie nach ihrer angeblichen Flucht gesteckt hatte, sie holte sich einen blutigen Kratzer auf der Wange, als sie sich mit dem Kopf viel zu eng an dornigen Zweigen vorbeidrückte, statt das Gezweig mit der Klinge ihres Schwertes beiseitezudrücken.

Nach wenigen weiteren Schritten griff sich Larkar einen abgebrochenen Ast und ließ ihn durch die Luft zischen. Es klang wie ein Peitschenhieb. Arri zuckte nicht einmal zusammen, sie warf ihm nur einen besorgten Seitenblick zu. Der Ast wirkte massiv, er würde nicht gleich beim ersten Schlag zerbrechen. Trotzdem war er im Vergleich zu ihrem Schwert eine ganz erbärmliche Waffe.

Der kurze Blick hatte sie abgelenkt. Sie knallte mit dem Kopf gegen einen tief hängenden Ast und taumelte zurück. Um ein Haar hätte sie ihr Schwert fallen gelassen.

Sofort war Larkar bei ihr und drückte ihre Schwerthand ein wenig hinunter, damit ihm die Klinge nicht gefährlich werden konnte. Dann packte er Arri kurzentschlossen bei der Hand und zog sie wie ein kleines Kind mit sich durch das dunkle Gebüsch. War ihnen Gezweig im Weg, so drückte er es mit seiner notdürftigen Waffe ein Stück zur Seite, bei größeren Ästen dagegen dirigierte er Arri so sanft wie möglich vorbei.

Sie merkte es kaum - und konnte nicht glauben, was sie da hörte. Isana sprach keineswegs wie sie selbst, sondern so, als sei sie nicht ganz bei Verstand. Wie eine Verzweifelte klammerte sich Arri an die Hoffnung, dass ihre angeblich beste Freundin Amar nur etwas vorspielte, um ihr eigenes Leben zu retten. Aber irgendwo tief in ihrem Herzen wusste sie, dass dies nicht der Fall war. Es war Isanas Tonfall, ihre ganz andere Art zu reden, dieser Wahnsinn, der bei jedem einzelnen ihrer Worte wie eine abgerissene Vogelfeder im Wind mitzitterte.

Schließlich kamen sie an einem dichten Dornengebüsch heraus. Larkar drückte sie ein Stück nach unten und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie sich still verhalten solle.

Kurz und dankbar nickte Arri ihm zu. Das Schwert in ihrer Hand zitterte leicht, als sie in die Hocke ging und durch die Zweige starrte.

Sie hatte einen freien Blick auf zwei Paar Füße, die in Gamaschen aus gewickelten Lederriemen steckten und unter fast schwarzen Wickelgewändern hervorlugten. Ebenso sah sie die Spitzen von zwei Bronzeschwertern, die die zwei Krieger Gosegs offenbar schlagbereit in den Händen hielten. Als sie den Oberkörper gerade so weit nach vorn beugte, dass sich ihr Gewand nicht in den Dornen verfing, hörte sie Isana gerade sagen: »Dragosz war mein Mann, Taru! Nicht der Mann von Surkija. Und schon gar nicht der von dieser unerträglich einfältigen Arri!«