Isana streifte seine Hand jedoch mühelos ab, erhob sich und trat einen Schritt zur Seite. Tarus Hand fiel zurück, dann bäumte er sich ein letztes Mal auf und erbrach Blut.
Lexz stöhnte entsetzt auf. Seine Arme zitterten so, dass er Ekarna kaum noch festhalten konnte, während sein Herz immer rascher hämmerte. Er bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Amar sein Schwert zog und die Krieger herumfuhren und hinter ihm wegstürmten, einem Angreifer entgegen, den Lexz von seinem Standort aus nicht sehen konnte.
Lexz schwankte. Ekarna drohte ihm aus den Armen zu gleiten, und er musste in die Hocke gehen und sie ablegen, damit sie ihm nicht aus den Händen rutschte. Dabei war er nicht einmal in der Lage, auf die Gefahr zu antworten, die ihm durch das heftig einsetzende Kampfgeschehen zu seiner Linken drohte. Ebenso wenig war es ihm möglich, seinen Blick von Taru zu lösen. Dessen Augen waren leer, aber er glaubte dennoch einen wortlosen Vorwurf in seinen erloschenen Pupillen zu lesen.
»Warum hast das getan?«, fragte Lexz fassungslos.
Isana starrte erst auf das Messer mit der blutroten Klinge in ihrer Hand, und dann auf den Toten zu ihren Füßen. »Das war ich nicht«, sagte sie leise und auf eine entrückte Art. »Oder jedenfalls nicht ganz. Ich habe nur vollendet, was der Hohepriester begann.«
Wenn du verlierst, dann tue etwas, das deinen Gegner verwirrt.
Auch das war ein guter Rat von Dragosz. Und sie beherzigte ihn. Statt sich umzudrehen und ihr Heil in der Flucht zu suchen, sprang sie mitten hinein in die Lücke zwischen den beiden langhaarigen Kriegern.
Dort war das Dornengebüsch am dichtesten. Ob dies Glück oder Pech sein mochte, war eine Frage der Einstellung.
Ihr Schwert fuhr in die Hecke, als wäre diese ein gefährlicher Angreifer, den es mit ein paar Hieben zu erledigen galt. Die Klinge schnitt mit einer Leichtigkeit durch die dornenbewehrten Zweige, die sie zuvor für vollkommen unmöglich gehalten hatte. Im Gegenzug rissen Dornen ihre Wange auf und zerfetzten ihre Kleidung. Abgeschnittene Zweige und gekappte Buschstücke flogen ihr um die Ohren, und irgendetwas Spitzes und Stachliges verfing sich in ihren Haaren. Sie hielt sich nicht damit auf, sondern stürmte lieber durchs Gesträuch hindurch und auf Amar zu, der ihr den Rücken zukehrte - und geriet in eine vollkommen unübersichtliche Umgebung, die es ihr unmöglich machte einzuschätzen, was hier gerade geschah.
Isana kniete am Bach, am Boden vor ihr lag Taru. Neben ihr stand ein schmaler junger Mann, der eine lederne Schwertscheide auf dem Rücken trug, aus der der verzierte Griff eines Bronzeschwerts herauslugte. Er konnte sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten, sein Gesicht war kreidebleich. Zu seinen Füßen lag eine groß gewachsene Frau in verkrümmter Haltung, die wie tot aussah.
Das alles war nicht mehr als ein flüchtiger Eindruck. Einer der Krieger Gosegs war genauso schnell wie sie. Er hatte sich blitzschnell umgedreht und kam zur gleichen Zeit an fast der gleichen Stelle heraus wie sie.
Seine langen Haare flogen im Luftzug und von seinen Lippen drang ein Kampfschrei, als er auf sie eindrang. Arri duckte sich unter seinem Schlag hinweg. Sie holte aus. Diesmal hatte sie einen festen Stand und genug Platz, um Leas Schwert den Schwung zu geben, den es brauchte, um seine volle Kraft zu entfalten.
Das Schwert und sie bildeten eine Einheit. Die Klinge traf auf das ebenfalls kraftvoll geschlagene Bronzeschwert und zerfetzte es in zwei Teile. Der abgerissene Teil der Klinge sauste gefährlich nah an ihrem Kopf vorbei. Arri aber hatte nur Augen für den Mann in der schwarzen Kleidung Gosegs, der überrascht zurücktaumelte und dabei auf den Stumpf seiner Waffe starrte, als begriffe er auch nicht im Entferntesten, was geschehen war.
Arri ließ ihm allerdings keine Zeit, zur Besinnung zu kommen. Sie setzte nach, und als sie schließlich zustach, hatte sie das Bild ihrer Mutter vor Augen. Das kalte Metall von Leas Klinge fraß sich in die Brust des Mannes und spießte ihn regelrecht auf.
Sie riss das Schwert zurück, wirbelte herum und empfing den zweiten Angreifer mit einer Kombination aus zwei schnellen Schlägen. Auch diesmal hielt das Bronzeschwert dem wesentlich härteren Metall ihrer eigenen Klinge nicht stand und splitterte auf die gleiche gefährliche Weise weg wie die erste. Der Mann war jedoch vom Schicksal seines Kampfgefährten vorgewarnt, sprang rechtzeitig zurück und ein Stück zur Seite, bevor ihn Arri aufspießen konnte.
Doch dabei hatte der Krieger die Rechnung ohne Larkar gemacht. Der Speer hatte sich einen Stein von der Größe eines Kinderkopfes gegriffen und stürzte sich jetzt von hinten auf sein Opfer. Er riss den Stein gerade mit verzerrtem Gesicht nach oben, als der Krieger zu ihm herumfuhr. Das zerschlagene Schwert zuckte vor. Obwohl die Klinge unmittelbar vor dem Griff abgeschlagen worden war, blieb sie mit ihrem gezackten, zerfetzten Ende doch immer noch eine gefährliche Waffe.
Das abgebrochene Bronzeschwert erwischte Larkar am Oberarm und ritzte ihn bis zur Schulter auf. Und doch kam die Abwehrbewegung zu spät. Der Stein schlug gegen die Stirn des Langhaarigen und zerschmetterte ihm den Schädel.
Arri konnte für diesen Erfolg nicht mehr als einen flüchtigen Blick erübrigen. Amar stürzte ihr gerade entgegen, und er tat es auf eine fast unheimliche Weise, nämlich wie ein Gott, der unter die Menschen gekommen war, um sie für ihren Hochmut zu bestrafen. Der Umhang, den er trug, wehte wie die Flügel eines herabstürzenden Raubvogels, und der Blick seiner dunklen Augen fixierte Arri, als sei sie ein hilfloses Opfer.
Arri wollte ihn so empfangen wie seine Krieger. Doch Amar war kein Dummkopf. Statt mit seiner Klinge den Schlag zu parieren, mit dem ihn Arri empfing, tauchte er zur Seite weg und hieb seinerseits mit einer fast spielerisch wirkenden Bewegung nach ihrer Brust. Arri versuchte zwar noch auszuweichen, doch ihre Bewegung kam zu spät und war auch nicht kraftvoll genug. Das Schwert des Hohepriesters traf ihre Schulter. Arri hörte, wie Stoff riss, und spürte, wie die Klinge bis auf den Knochen in ihren Oberarm eindrang und ihn am anderen Ende wieder verließ.
Sie spürte, dass eine heiße Welle kam und sie durchflutete, aber sie fühlte keinen Schmerz. Doch der würde gewiss gleich kommen. Wenn sie überhaupt noch so lange durchhielt ...
Wenn du verlierst, dann tu etwas, das deinen Gegner verwirrt.
Sie sprang auf Amar zu und kam ihm dabei so nah, dass sie ihr Schwert gar nicht schnell genug hochbekommen konnte, dafür aber ihre um das Schwert gefalteten Hände. Mit aller Kraft ließ sie sie auf Amars Handgelenk niedersausen.
Der Hohepriester tauchte unter ihr weg, um dem Schlag einen Teil seiner Kraft zu nehmen, und Arri schlug mit Leas Zauberschwert von oben auf seine Klinge. Es gab ein hartes, metallisches Geräusch, und dann brach die Klinge ab und polterte auf den Boden. Arri starrte nach unten, ihr wurde schwarz vor Augen. Als sich ihr Blick wieder klärte, bemerkte sie, wie Blut mit zäher Beharrlichkeit von ihrer klaffenden Schulterwunde hinabtropfte und sich zu ihren Füßen allmählich ein roter See bildete.
»Was ist das für eine Waffe, die du da trägst?«, keuchte Amar, als er zu ihr aufsah.
Sie las jedoch keine Angst in seinen Augen, sondern etwas anderes, das sie nicht deuten konnte. Amar warf den Griff seines zerstörten Bronzeschwertes weg, als wollte er ihr zeigen, dass von ihm keine Bedrohung mehr ausging.
»Wir haben Stangen aus diesem Material.« Amar umklammerte sein Handgelenk, als wäre es verletzt, dann richtete er sich vorsichtig auf. »Es heißt, sie stammen aus einem untergegangenen Land. Wir beide wissen, welches Land damit gemeint ist. Eines, das die gleichen Stammväter hat, wie wir, Arianrhod. Aber wenn wir auch solche Schwerter hätten ...« Er schüttelte den Kopf. »Was kann ich dir für diese Waffe bieten?«