Lexz wunderte sich ein wenig, dass er gerade diese Waffe wählte und nicht seinen gefürchteten Hammer, dem er auch seinen Kampfnamen der Hammer verdankte. Aber er sagte nichts dazu. »Wartet hier auf mich«, befahl er stattdessen, und ohne sich auf eine weitere Diskussion einzulassen, schlich er sich vorsichtig zu dem Pfad zurück, den sie selbst ins Unterholz getrampelt hatten. Torgon hatte natürlich recht. Es war unverantwortlicher Leichtsinn gewesen, wie ein wildgewordener Bulle durch den Wald zu trampeln, ein Leichtsinn, für den er eine wesentlich heftigere Ohrfeige verdient hatte als die, die der Hammer gerade für seine freche Bemerkung kassiert hatte. Wenn Larkar und Sedak deswegen in Gefahr geraten waren, oder schlimmer noch: wenn sie in einen Hinterhalt geraten waren, so würde er sich ewig Vorwürfe machen.
Und sein Vater würde ihm den Kopf abreißen.
Irgendwo tief in seinem Innersten gab es etwas, das Lexz unbarmherzig vorantreiben würde, solange auch nur noch ein Atemzug Leben in ihm war. In das Herz seines Vaters hatte sich nach dem Verrat seines Bruders die Bitterkeit eingenistet, und nach Nakurs Tod war etwas viel Schlimmeres daraus geworden: der unbändige Wunsch nach Rache und Vergeltung, und sei es auch durch eine bestialische Bluttat. Lexz hätte nie zuvor geglaubt, dass er einmal genau so empfinden könnte. Aber der Tod seines Bruders hatte alles geändert.
»Rache ist ein schlechter Ratgeber«, hatte Zakaan immer wieder zu beschwichtigen versucht. »Sie vergiftet jeden Gedanken - und lässt einen schlimme Dinge tun.«
Ja, alter Mann, dachte Lexz hasserfüllt. Sie lässt einen schlimme Dinge tun. Zum Beispiel, den Bruder seines Vaters zu töten. Und das so grausam und so schnell wie nur möglich.
Er brannte darauf, es dem Verräter heimzuzahlen. Erst danach konnte er wieder richtig leben und sich anderen Dingen widmen. Er wollte sich eine Frau nehmen und Kinder zeugen, er wollte seine eigene kleine Welt zimmern, und er wollte in Frieden leben. Und genau das hatte Dragosz ihm und Nakur verwehrt, indem er sie beide gezwungen hatte, bei ihrem Vater in der alten Heimat zu bleiben, bis es für die Flucht aus Dürre und Hungersnot fast zu spät gewesen war.
Eine Woge kalten Hasses stieg in ihm hoch, als er erneut ein Geräusch hörte, und diesmal blieb es nicht dabei, diesmal sah er etwas zu seiner Rechten, eine huschende Bewegung, die gleich darauf wieder vom Graugrün ihrer Umgebung aufgesogen wurde. Ein Mensch? Oder war es vielleicht doch etwas anderes, ein Raubtier, ein Höhlenlöwe möglicherweise, der auf leichte Beute aus war?
Er wusste es nicht, aber alles in ihm reagierte auf die Gefahr, und plötzlich lag das Schwert in seiner Hand, und er duckte sich hinter eine mächtige Eiche, die ihn mit weit ausladenden Zweigen und einem dichten Meer sattgrüner Blätter schützte. Er musste nicht erst zurücksehen, um zu wissen, dass ihm seine beiden Gefährten folgten. Gut, dass er jetzt nicht allein war. Irgendetwas ging hier vor, das er nicht erfassen konnte, noch nicht ... aber er war sich sicher, dass er es bald wissen würde, und dass es ihm gewiss nicht gefiele.
Ein merkwürdiger Geruch lag plötzlich in der Luft, nicht nur der nach feuchter Erde und sprießenden Gewächsen, sondern etwas Muffiges und gleichzeitig leicht Süßliches, das ihn unweigerlich an den Bären denken ließ, den er im letzten Winter im tiefsten Schlaf überrascht hatte. Der Bär war dann erwacht, bevor er und seine Begleiter ihm den Schädel einschlagen konnten.
Wenn es hier tatsächlich einer der zottligen, mannshohen Bären war, der auf Nahrungssuche durch die Wälder tappte, dann würde sich das sehr schnell herausstellen: Bären pflegten sich nicht wie eine Kriegermeute anzuschleichen, sondern plötzlich loszupoltern. Und selbst wenn es sich um ein ungewöhnlich großes Exemplar handeln sollte, würde es ihnen doch kaum ernsthaft gefährlich werden können, denn mit drei ausgewachsenen und zu allem entschlossenen Menschen legte sich ein einzelner Bär nur dann an, wenn man ihm die Möglichkeit zum Rückzug nahm.
Ekarna holte ihn auf ihre leichtfüßige Art ein, kaum dass er ein paar weitere Schritte tiefer ins Unterholz eingedrungen war. »Das gefällt mir nicht«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Er nickte, sein Blick wanderte über seine Umgebung und versuchte den Schatten etwas Handfestes zu entreißen, hinter den Ranken und dem Geäst, den Büschen und Gräsern etwas zu erkennen, was ihnen gefährlich werden konnte. Der Wind, der die Regentropfen mit sich gebracht hatte, gaukelte ihnen ein Huschen im Unterholz vor, und in das Flattern der Blätter und das Biegen dünner Zweige konnte man alles Mögliche hineindeuten, auch Krieger, die sich ihren Blicken geschickt zu entziehen versuchten.
»Siehst du etwas?«, fragte er.
Ekarna antworte nicht, sondern schlich mit schlagbereiter Streitaxt an ihm vorbei, spähte nach rechts und links - und zuckte dann mit den Schultern. Das war ungewöhnlich. Normalerweise wusste sie sehr genau, was um sie herum geschah, doch nun erlebte Lexz sie zum ersten Mal unsicher.
Er warf einen Blick zurück. Torgon war ein Stück hinter ihnen zurückgeblieben und starrte gerade in die Richtung einiger mächtiger Ulmen, die sich aus einer Senke heraus weit über das übrige Blätterdach hinausreckten. Seine angespannte Haltung verriet, dass er dort etwas entdeckt zu haben glaubte.
Lexz’ Sinne waren so angespannt wie die eines Raubtiers, und der Griff, mit dem er das Schwert hielt, schien wild und entschlossen. In seiner Anspannung hätte er keine Angst empfinden dürfen, aber das Gegenteil war der Fall. Etwas stieg in ihm auf, etwas Ungutes, die Vorahnung, dass dort, wohin sich nun Torgon bewegte, etwas Unfassbares lauerte, nur um über sie herzufallen und sie niederzumachen, so wie es das vielleicht bereits vorher mit ihren beiden verschwundenen Gefährten getan hatte.
»Das gefällt mir nicht«, wiederholte Ekarna, und dann, etwas lauter: »Ganz und gar nicht.«
Und damit stürmte sie auch schon auf eine Stelle zu, an der verschiedenste Büsche und Farne ein wildes Durcheinander bildeten, als wollten sie sich in üppigem Wuchern überbieten. Lexz konnte nicht erkennen, was sie aufgeschreckt haben mochte, aber er wollte ihr hinterher - und wäre auch sofort losgelaufen, wenn Torgon nicht in diesem Augenblick einen Kampfschrei ausgestoßen hätte und mit erhobenem Schwert auf die Senke zugestürzt wäre, an die er sich zuvor angeschlichen hatte.
Lexz’ Schwert zuckte in die Richtung herum, in die Torgon auf einen für ihn unsichtbaren Feind zulief, und dann wieder zurück in Ekarnas Richtung. Doch noch immer konnte er nichts erkennen, was die Reaktion der beiden gerechtfertigt hätte, schon gar nicht einen Angreifer.
Er hätte etwas tun müssen, sich entscheiden müssen, ob er Ekarna folgte oder Torgon, doch stattdessen blieb er nur unschlüssig stehen und ließ zu, dass ihm die Angst das Rückgrat hochkribbelte und ihm den Atem nahm. Das war neu und erschreckend für ihn: Bislang hatte er immer gewusst, gegen wen oder was er kämpfte, und nie war ein Zögern in ihm gewesen, wenn es darum ging, die richtigen Dinge zu tun.
Ekarna stieß einen schrillen Kampfschrei aus und sprang über einen zugewucherten Graben, und da, endlich, sah Lexz, was sie aufgeschreckt hatte: Es war eine Gestalt, die plötzlich hinter einem Baum hervorsprang, und eine weitere, die aus der anderen Richtung heraneilte, ein großes Etwas in dunklem Gewand, das eher einer viel zu groß geratenen Fledermaus ähnelte als einem Menschen. Der Geruch, den er zuvor schon wahrgenommen hatte, stob ihm nun in einer Wolke entgegen und drohte ihm den Atem zu nehmen; er war süßsäuerlich und leicht muffig. Die Gestalt drehte sich zu Ekarna herum, das Gewand verrutschte etwas ...