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Und Lexz blickte nicht in das Gesicht eines Menschen, sondern eines Dämons. Geschwungene Augenbrauen, die viel zu buschig waren, ein riesiger Mund, eine verzerrte Fratze, und irgendetwas, das dort herabhing, wo eigentlich die Ohren hätten sitzen müssen.

Das war keiner von Dragosz’ Männern, ganz gewiss nicht. Ekarna schien über den Anblick genauso erschrocken zu sein wie er selbst, aber sie reagierte trotzdem blitzschnell und ohne jedes Zögern. Als die Gestalt ausholte, um mit etwas auf sie einzuschlagen, das eher wie eine große, schwarze Stange aussah als wie ein gewöhnlicher Knüppel, tauchte sie unter der Schlagwaffe hinweg und machte einen schnellen Ausweichschritt, der sie in den Rücken ihres Angreifers brachte. Dieser reagierte allerdings auf eine Art und Weise, wie Lexz sie noch nie gesehen hatte: Er sprang hoch und nach vorn. Sein Gewand bäumte sich auf, als der Wind daruntergriff, und Lexz erwartete beinahe, dass er nicht wieder auf dem Boden aufsetzen, sondern nun endgültig abheben und sich wie ein riesiger schwarzer Vogel in die Lüfte erheben würde.

Lexz zögerte nicht mehr länger, er sprang los, riss sein Schwert schlagbereit hoch und war mit ein paar Sätzen an der Stelle, an der Ekarna gerade eben noch gewesen war - und damit um den Hauch eines Augenblicks zu spät.

Ekarna führte mit der zweiten Gestalt, die sie unglücklicherweise selbst aufgestöbert hatte, einen wilden Tanz auf, und diesmal hatte sie nicht so viel Glück wie beim ersten Mal. Etwas Kupferfarbenes fuhr auf sie zu, eine Streitaxt ungewöhnlicher Form und Machart, oder etwas, das die Dämonen aus dem Zwischenreich mit in die Welt gebracht hatten. Ekarna taumelte zurück, als die Axt sie streifte und ihr fast das Ohr abgerissen hätte. Sie schrie auf, vielleicht vor Schmerz, oder auch nur vor Empörung, und sprang in die Gestalt hinein, die bereits zum zweiten, vernichtenden Schlag ausholte.

Lexz wartete nicht ab, wie der ungleiche Kampf ausgehen würde, sondern stürzte sich seinerseits mit einem Schrei auf den ersten Angreifer, der sich inzwischen wieder gefangen hatte und Ekarna von hinten die Stange über den Kopf ziehen wollte. Als er jedoch Lexz bemerkte, reagierte er erneut ganz anders, als es in einem herkömmlichen Kampf üblich war: Er sprang zur Seite, wehrte Lexz’ Schwerthieb mit seiner Stange fast spielerisch ab, wandte sich dann um und rannte davon.

Lexz sah ihm verblüfft nach und wäre ihm sicherlich gefolgt, wenn die ganze Lage nicht so unübersichtlich gewesen wäre. Er wusste nicht, wer oder was das war, was ihnen hier aufgelauert hatte, und ob außer den beiden, die vor ihnen Reißaus genommen hatten, nicht zusätzlich noch ein ganzer Trupp von diesen Ungeheuern im Wald lauern mochte. Wenn dies hier irgendetwas mit Dragosz zu tun hatte, dann konnten sie sich allerdings noch auf einiges gefasst machen.

Wie zur Bestätigung dieses Gedankenfetzens ertönte ein markerschütternder Schrei hinter ihm. Er fuhr herum und starrte in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.

Torgon stand mitten in der Senke und schwankte leicht. Das Schwert, das er in der rechten Hand hielt, baumelte kraftlos herab, und seine gefährlichste Waffe, der Bronzehammer, steckte immer noch in seinem Gürtel, ganz so, als sei er zu kraftlos, um ihn hervorzuziehen und mit ihm unter ihre Feinde zu fahren. Lexz glaubte schon, er sei schwer getroffen - doch als Torgon zurücktaumelte, das Schwert mit zitternden Händen in seinen Gürtel steckte und sich gehetzt umsah, entdeckte er weder Blut noch sonst etwas, das auf eine Verletzung hindeutete.

Torgon war nicht getroffen worden. Stattdessen war er wohl auf etwas gestoßen, hatte etwas entdeckt, das ihn vollkommen erschüttert haben musste. Lexz warf einen raschen Blick zu Ekarna hinüber, aber schon aus den Augenwinkeln erkannte er, dass sie den zwar kurzen, aber heftigen Kampf tatsächlich für sich entschieden hatte. Einer der Angreifer war bereits verschwunden, der andere brach torkelnd durch das Unterholz, wohl von nichts anderem als dem Wunsch beseelt, der menschlichen Raubkatze zu entkommen, mit der er sich leichtsinnigerweise angelegt hatte.

Ekarna hatte offensichtlich vorgehabt, ihn zu verfolgen, doch Torgons Schrei hatte sie ebenso wie Lexz erschrocken herumfahren lassen. Jetzt tauschten sie einen schnellen Blick, nickten sich als Zeichen eines stillen Einverständnisses kurz zu und liefen auf die Senke zu.

Torgon kam ihnen entgegen. Er winkte ab. Sein Gesicht war kalkweiß und sein Blick von Entsetzen gezeichnet, aber seine Stimme klang erstaunlich gefasst, als er sagte: »Geht dort besser nicht hin. Wir können ihnen ohnehin nicht mehr helfen.«

Lexz sparte sich jede Frage, drängte ihn kurzerhand beiseite und überwand mit einem mulmigen Gefühl den kurzen Abstand, der ihn noch von der Senke trennte.

Seine Vorahnung hatte ihn nicht getrogen. Der Anblick, der sich ihm nun bot, hätte auch weitaus weniger empfindlichen Naturen den Magen umgedreht.

Kapitel 4

Arri riss den Kopf hoch, als sie die Schritte hörte, die auf sie zuhielten, das Trampeln leichter Füße, die über die Planken huschten, gefolgt von den schwerfälligen Schritten der Männer des Ältestenrates. Und erst da begriff sie, dass sie fast in einen Dämmerschlaf hinweggeglitten war, der irgendwo zwischen Trance und Tod angesiedelt sein mochte.

»Da sitzt sie!«, rief Taru, der wie selbstverständlich die Führung übernommen hatte. »Da sitzt sie neben meinem Vater, als wäre nichts geschehen! Dabei hat sie ihn heimtückisch vergiftet!«

Verzweifelt zerrte Arri an ihren Fesseln. Sie hatte niemanden vergiftet, schon gar nicht Dragosz, warum begriffen sie das nicht? Mit einer torkelnden Bewegung kam sie hoch, wollte auf Taru zueilen, um ihn in die Schranken zu verweisen. Aber das war nicht möglich. Abdurezak hatte ihre Fußgelenke noch vor Anbruch der Nacht mit einem Hanfseil zusammengebunden. So geriet sie ins Torkeln, als sich das Seil anspannte, und stürzte hart und ungeschickt zu Boden. Ihre Schläfe schlug auf den erst im letzten Sommer geschlagenen Planken auf, ein-, zweimal, bevor es ihr gelang, den Kopf wieder hochzureißen und vom feuchten Holz wegzudrehen.

»Lass das sein, mein Junge«, hörte sie in ihrer Benommenheit Abdurezak mit scharfer Stimme sagen. »Es steht dir nicht an, mit ihr zu sprechen.«

Aus glasigen Augen sah sie nun, wie Taru noch zwei, drei Schritte weiter lief, als wolle er sich über den Befehl des Ältesten hinwegsetzen und auf sie eintreten. Doch dann hielt er in angespannter und lauernder Haltung an, von einem Fuß auf den anderen wippend, als bereite er sich auf einen Kampf vor, und starrte zu ihr hinab. In seinen Augen funkelte blanker Hass, und seine Hand strich sicherlich nicht nur zufällig über den Griff des scharf geschliffenen Knochenmessers, das in einer Schlaufe seines Hirschledergürtels steckte. Taru hatte Arri nur Spott und Verachtung entgegengebracht, und sie konnte sich vorstellen, wie sehr er diese Lage jetzt genoss. »Was willst du mit dem Kind?«, hatte er seinem Vater entgegengeschleudert, als Dragosz sie mit ins Sommerlager der Raker gebracht hatte. »Soll sie etwa meine neue Mutter werden?«

Was für ein lächerlicher Gedanke. Wie hätte sie denn Taru die Mutter ersetzen können, sie war ja kaum älter als er! Stattdessen hatte sie sich wie eine ältere Schwester gefühlt, die sich um ihren kleineren Bruder sorgte, nicht mehr und nicht weniger. Aber auch das war bei Taru auf Widerstand gestoßen: Mehr als ein Mal hatte er unverhohlen gedroht, sie solle sich aus seinem Leben heraushalten, sonst werde sie etwas erleben.

Und genau jetzt, in ihrer tiefsten Trauer, war der Zeitpunkt für Tarus Rache gekommen. In seinen Augen las sie nicht nur Fassungslosigkeit angesichts der Katastrophe, die ihm den Vater genommen hatte, sondern auch noch etwas anderes: brodelnden, tief empfundenen Hass, der sich in einer Gewalttat entladen wollte.