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Müde schüttelte Arri den Kopf. »Ich bin keine Drude. Und ich verwende auch keine bösen Kräuter ...«

Der Schwätzer schnitt ihr mit einer ärgerlichen Handbewegung das Wort ab. »Spar dir deine dummen Ausflüchte. Ob giftige Kräuter, verdorbene Pilze oder die galligen Eingeweide eines tollwütigen Tieres - es bleibt sich letztlich gleich, womit du das Wasser entweiht hast.«

»Ich habe gar nichts getan. Nur die üblichen Wurzeln hineingerieben, ganz so, wie es euer Brauch verlangt ...«

Arri brach ab, als sich Taru von dem Geländer abstieß und sich neben dem Schwätzer in einer typischen Dragosz-Pose aufbaute, was bei ihm aber eher anmaßend als kraftvoll wirkte. »Du sollst Kaarg nicht unterbrechen!«, stieß er erregt hervor. »Oder hat dir vielleicht jemand das Wort erteilt?«

Kaarg, der Schwätzer, zuckte zusammen, und Abdurezak stieß erneut einen tiefen Seufzer aus, bevor er sich zu dem Jungen umwandte und ihn ruhig musterte. »Ich habe Verständnis für deine Erregung«, sagte er schließlich. »Aber andererseits erinnere ich mich auch nicht, dass wir dir das Wort erteilt hätten.«

»Ja, aber, ich, äh ...« Taru verhaspelte sich und sah unsicher zu seinem toten Vater hinüber, und in diesem Augenblick tat er Arri fast leid. Doch dann straffte sich der Junge, und in dieser Entschlossenheit sah er seinem Vater mit einem Mal sehr ähnlich. »Wir brauchen einen neuen Herrscher, Abdurezak. Willst du das werden?«

»Rede keinen Unsinn«, antworte Kaarg. »Abdurezak ist unser Oberhaupt, bis ein neuer Herrscher bestimmt wird - und keinen Tag länger.« Er zögerte kurz, bevor er fortfuhr: »Vielleicht sogar ein paar Tage weniger, denn schließlich kann niemand wissen, wann Abdurezak die Reise über den Frykr antritt. Aber keine Sorge. Dann bin ich auch noch da.«

Genauso, wie es Dragosz in einer solchen Situation gemacht hätte, stemmte Taru die Hände in die Hüften und legte den Kopf schief. »Dann bin ich doch dafür, dass wir ganz schnell einen neuen Herrscher bestimmen«, sagte er leise. »Einen, der nicht schon mit eineinhalb Beinen im Grab steht.«

Der Schwätzer hob den Kopf und ließ ihn dann ganz langsam wieder sinken. Danach riss er den Mund auf, entblößte damit seine drei letzten, schon halb verfaulten Zähne, und gähnte herzhaft. »Entschuldigung.« Er wischte sich mit dem Handrücken einen Speichelfaden aus dem Mundwinkel. »Es war eine lange Nacht für einen alten Mann, der nur noch gelegentlich aus seinem Grab hervorkrabbelt.«

Wütend kniff Taru die Lippen zusammen. »Vielleicht hilft dir ja ein kühles Bad dabei, deine Lebensgeister wiederzufinden«, zischte er dann. »Soll ich dir vielleicht dabei helfen?«

Abdurezak trat an Kaarg vorbei und sah Taru ganz genauso an, wie eine Mutter ein widerspenstiges Kleinkind ansieht. »Du wirst niemandem helfen«, sagte er scharf. »Und wage es nicht noch einmal, ein Mitglied des Ältestenrats zu bedrohen!«

»Und warum nicht?«, gab Taru patzig zurück. »Weil ich dann auch vergiftet werde?«

»Hüte deine Zunge, Knabe«, sagte der Schwätzer. »Die Giftmischerin wird gerichtet ...«

»Was ich auch hoffen will.« Taru wollte an Abdurezak vorbeitreten, besann sich dann aber doch eines Besseren. »Warum werfen wir sie nicht einfach ins Wasser? Gefesselt ist sie schon, da kann es nicht lange dauern, bis sie ertrinkt. Und ich finde, das ist für jemanden, der das ganze Dorf mit einem Gifttrunk auslöschen wollte, ein gerechter Tod!«

»Ist das die Anklage, die du gegen sie erheben willst?« Abdurezak nickte, als wollte er damit gleich seine eigene Frage beantworten. »Das scheint mir allerdings gerecht zu sein. Dein Vater wurde ermordet, also vertrittst du auch die Anklage.«

Es war eine Leichengrube abscheulichster Art, die sich vor ihren Füßen auftat. Ekarna schlug die Hand vor den Mund und gab ein würgendes Geräusch von sich, und Lexz spürte, wie etwas Galliges in ihm nach oben drängte. Sie alle waren den Anblick des Todes gewöhnt, der immer und überall zuschlagen konnte, sie alle nahmen regelmäßig Tiere aus, was ein gleichermaßen widerliches wie anstrengendes Handwerk war, oder kümmerten sich um Schwerverletzte mit zerschmetterten Gliedmaßen - wie erst vor Kurzem, als eine der Frauen auf der Suche nach etwas Essbarem von einem Gesteinshagel getroffen worden war und mit zerschmetterten Gliedmaßen in einer Lache dunkel geronnenen Blutes so lange dagelegen hatte, bis sie sie endlich gefunden hatten. Aber das hier war ... etwas anderes.

»Bei Asad«, keuchte Torgon. Er hatte eine Hand gegen einen Baum gedrückt, als müsse er Halt suchen. »Was ist hier geschehen?«

Seine Frage war mehr als berechtigt. Lexz zwang sich, genau hinzusehen, und er suchte nach Worten, um das zu beschreiben, was er sah - doch es wollte ihm nicht gelingen.

»Warum ... warum muss man denn die Haut abziehen?«, fragte Ekarna fassungslos. »Ich meine nicht so wie bei Opfertieren. Sondern so ... wie hier?«

»Du meinst, bei lebendigem Leib.« Torgon atmete so laut und schwer, als wäre er von einem Berglöwen hierhin gehetzt worden. »Ja. Das frage ich mich auch. Oder auch nicht.«

Ekarna trat einen Schritt zurück und schlug das Dreieck, das Abwehrzeichen gegen jegliche Art bösen Zaubers.

»Was meinst du damit?«, fragte Lexz.

»Was?« Torgon richtete sich ein wenig auf. »Dass ich mich auch frage, was dies hier ist, und auch wieder nicht?«

Lexz nickte benommen. Der Gestank, Torgons wirres Gerede, und das, was er da vor sich sah ... er hatte das Gefühl, als drehe sich alles um ihn, und sein Magen gleich mit.

»Das heißt eben, dass ich es nicht genau weiß.« Er winkte ungeduldig ab, als Lexz ihm einen ungeduldigen Blick zuwarf. »Es sind alte Geschichten. Verrückte Geschichten. Geschichten, die man besser nicht glaubt, wenn man nicht selbst verrückt werden will.«

»Das hilft uns weiter«, murrte Ekarna gereizt. »Alte Geschichten - aber über was denn? Kannst du uns das wenigstens sagen?«

»Na, über die Zeit ...« Torgon rang sichtlich nach Worten, »über die Zeit, als die Menschen noch nicht in Höhlen lebten, oder gar in Häusern.«

»Wo sollen sie denn sonst gelebt haben?« Lexz starrte auf seine Hände und sah, dass sie ganz sacht und leicht zitterten - so wie Gras in einem unregelmäßigen Luftzug. »Vielleicht in den Bäumen?«

»Vielleicht, ja«, gab Torgon zurück. »Aber es heißt, dass es damals viel heißer war.«

»Als in letzter Zeit?« Ekarna wischte sich eine Haarsträhne aus dem verschwitzten Gesicht. »Kann ich mir nicht vorstellen.«

»Vielleicht nicht wie in letzter Zeit«, gab Torgon zu. »Aber stellt euch ein weites Land vor, angenehm warm, mit genügend Wasserstellen und reichlich Nahrung.«

»Bitte nicht ausgerechnet jetzt vom Essen sprechen«, würgte Ekarna. »Mir ist so übel. Und ich glaube auch nicht, dass uns irgendwelche alten Geschichten weiterhelfen werden.«

»Doch, natürlich. In alten Geschichten steckt die Weisheit von Generationen ...« Torgon brach ab und machte mit der Hand eine Geste des Erschreckens, als Ekarna seine Antwort mit einer ärgerlichen Bewegung beiseitewischte und einen todesmutigen Schritt nach vorne tat. »Nein, Ekarna. Bleib von der Grube fern. Siehst du nicht, wie da die Käfer und Würmer krabbeln? Wie sie aus ...«

»Aus den Augenhöhlen krauchen, ja.« Ekarna machte einen weiteren Schritt auf die Grube zu, und dann noch einen und noch einen - bevor sie direkt am Rand stehen blieb und trotz des Gestanks ganz tief die Luft einsog und kurz darauf wieder angewidert ausstieß. »Meint ihr, dass das Menschen waren?«, fragte sie schließlich.

»Was?« Auch Lexz wollte einen Schritt nach vorne machen, besann sich dann aber anders und blieb stehen, wo er war. »Wer sollte es denn sonst gewesen sein?«

»Ich weiß nicht.« Ekarna ging in die Hocke und beugte sich ein Stück vor. Unwillkürlich hielt Lexz die Luft an. »Der gleiche modrige Gestank geht von der Grube aus wie von den beiden Kerlen, die mich angegriffen haben. Und wenn ihr mich fragt: Die sahen so gar nicht wie Menschen aus.« Sie deutete nach vorn. »Seht ihr? Das Schulterstück, dort. Es ist doch ganz anders geformt als bei Menschen. Fast ... fast ...«