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Alle - Lexz, Torgon und die Höhlenmenschen - erstarrten. Ekarna sprang zur Seite und wischte sich über den blutverschmierten Mund, während ihre grünen Augen blitzten. Dabei sah sie wegen ihrer kriegerischen Bemalung so aus, als wäre sie gerade der Unterwelt entstiegen, um sich aus der Welt der Lebenden neue Opfer zu holen.

Der Mann, den sie in den Hals gebissen hatte, rammte den Speer in den Boden, machte dann zwei, drei hilflose Schritte, drehte sich zu der Raubkatze um und zog eine Streitaxt hervor, machte wieder einen Schritt auf Ekarna zu ... und brach dann ganz langsam und mit einem schrecklich gurgelnden Geräusch zusammen.

Aus seiner Halswunde pulste nun deutlich helleres Blut hervor, erst langsam, dann immer schneller.

Als wäre dies ein geheimes Signal, kam Bewegung in seine Kampfgefährten. Der Kerl, der Torgons Bronzehammer umklammert hielt, ließ ihn nun los, als wäre er plötzlich siedend heiß geworden, und stürzte zu dem Verletzten hin. Die anderen taten es ihm so schnell nach, dass Lexz zunächst gar nicht begriff, was hier eigentlich geschah.

Dann packten zwei der Männer den Verletzten, zogen ihn hoch und schleppten den nach wie vor heftig Blutenden mit sich fort. Seine Füße schleiften dabei wie die eines Toten über den Boden, aus seinem Mund aber kamen noch immer schreckliche gurgelnde Geräusche.

Lexz packte seine Waffe fester, als sich die anderen Männer zu ihnen umdrehten. Nein, nicht zu ihm, wie er sich schnell verbesserte. Einer von ihnen deutete auf Ekarna und sagte etwas in einer gutturalen Sprache, die trotz aller Fremdheit in Lexz’ Ohren seltsam vertraut klang; vielleicht weil sie auf einer Art Ursprache beruhte, die allen anderen Sprachen zugrunde lag.

Die anderen nickten mit einer Ernsthaftigkeit, ja schon fast einer Ergriffenheit, die Lexz vollkommen unverständlich blieb. Dann richtete der Größte von ihnen seinen Blick plötzlich in weite Ferne, sah aus verengten Augen noch einmal zu Ekarna hinüber, machte eine drohende Handbewegung ... und dann drehten sich die Männer um und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.

Lexz starrte den Höhlenmenschen hinterher, die auf nackten Füßen fast lautlos über das Gras liefen und schon kurz darauf von den Bäumen verschluckt wurden. Sein Herz raste, auch sein Atem hatte sich nicht beruhigt. Als er zu Torgon hinüberblickte, sah er den Schweiß, der von der Stirn des Dicken perlte, und auch sein Atem ging schneller und lauter als sonst. Aber immerhin schien er unverletzt zu sein.

Lexz zögerte, bevor er sich zu Ekarna umdrehte. Er wusste nicht, was er zu sehen erwartet hatte. Aber bestimmt nicht, dass Ekarna seinen entsetzten Blick mit noch größerem Entsetzen in den Augen erwiderte. Sie hob die Hand, sah das Blut darauf, und schüttelte den Kopf. Dann wandte sie sich ab und schwankte auf die Grube zu.

»Nicht!«, schrie Lexz. Und sie blieb stehen.

»Ich weiß nicht, was mit dir los ist«, fuhr Lexz fort. »Aber tu jetzt nichts Unüberlegtes.«

»Ich wüsste nicht, was ich tun sollte«, antwortete Ekarna mit brüchiger Stimme.

»Aber hoffentlich weißt du, was du getan hast«, sagte Torgon. Er klang kaum weniger erschüttert als Ekarna selbst. »Ich verstehe das nicht.«

»Dass man mich die Raubkatze nennt.« Ekarna drehte den Kopf nur so weit, dass man ihr Profil sehen konnte. Sie wirkte ... merkwürdig. Traurig. So, als hätte sie eher einen Kampf verloren, und nicht gewonnen. »Ihr wisst doch, warum man mir diesen Namen gegeben hat.« Sie wischte sich einen Blutfaden vom Kinn und wandte das Gesicht dann wieder ab. »Es heißt, ich hätte schon als kleines Kind jeden gebissen, der sich nicht schnell genug aus dem Staub gemacht hat.«

Lexz nickte. In einem anderen Zusammenhang wäre diese Äußerung für Torgon Anlass für einen gutmütigen Spott gewesen. Aber jetzt brachte der Dicke kein Wort raus - und Lexz hatte es endgültig die Sprache verschlagen.

Er wandte sich ab und blickte zu dem Wald hinüber, in dem die Höhlenmenschen gerade verschwunden waren. Er verstand weder, wo sie hergekommen sein mochten, noch, warum sie ihren Angriff nach Ekarnas Beißattacke so schlagartig abgebrochen hatten.

Aber irgendwie konnte er sich des unangenehmen Gefühls kaum erwehren, dass es gewiss nicht die letzte Begegnung mit den Bärtigen bleiben würde.

»Zakaan«, keuchte die alte Amara. »Ich will, dass Zakaan kommt!«

Isana biss sich auf die Unterlippe. Sie war ans Krankenlager der alten Frau gerufen worden, weil es hieß, dass diese im Sterben liege. In aller Eile hatte sie zusammengerafft, was sie für eine solche Situation für hilfreich hielt, und breitete dies nun auf einer Decke neben dem Lager der Kranken aus.

»Zakaan kann nicht kommen«, sagte Abdurezak begütigend. Er hatte sich neben Amara gehockt und hielt ihre Hand umklammert. »Aber ich bin ja da.«

Die alte Frau wand sich in Krämpfen, Schweiß stand auf ihrer Stirn. Ihr Gesicht wirkte fahl und eingefallen, doch ihr Blick war klar. »Zakaan ist bei Ragok, nicht wahr?«

Abdurezak nickte, und auf seinem Gesicht lag ein Schmerz, den er wohl selbst dann nicht hätte verleugnen können, wenn er es versucht hätte. Isana sah kurz zu ihm hoch und dann wieder zu der alten Frau. Vermutlich war Abdurezak ein paar Jahre älter als Amara, doch sie waren damals noch gemeinsam aufgewachsen. Isana spürte eine tiefe, wortlose Verbindung zwischen ihnen und begriff, dass sie gerade dabei waren, voneinander Abschied zu nehmen.

Rasch wandte sich die junge Heilerin wieder den Gegenständen zu, die sie mitgebracht hatte: Eine Schale mit Heilwasser, eine Holzschale mit getrockneten Kräutern, Tongefäße mit Ölen und Harzen - und auch die von Surkija geweihte Hasenpfote sowie ein Bernsteinauge, dem magische Heilkräfte innewohnten. Im Dämmerlicht der Hütte schien alles zu verschwimmen, und der schlechte Geruch, den die Kranke verbreitete, schürte den leisen Brechreiz, der sie schon beim Betreten der Hütte überkommen hatte, sodass sie überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

Vielleicht war es am besten, wenn sie erst einmal für Licht und frische Luft sorgte.

»Was ist nun mit dem Kümmelsud«, fragte Abdurezak, und sie begriff, dass er diese Frage nicht zum ersten Mal gestellt hatte.

»Habe ich schon ...«, Isana brach jedoch ab, als sie merkte, dass sie sich vor lauter Aufregung verhaspelte. »Ich habe einen großen Topf Kümmelsud gekocht, und an alle Kranken verteilen lassen.«

Eigentlich stimmte das nicht so ganz. Es war Arri gewesen, die den Sud aufgesetzt hatte, und Isana hatte ihn nur verlängert und neu aufgekocht. Aber solche Feinheiten interessierten Abdurezak wohl kaum.

»Aber du hast hier keinen ...?« Als Isana den Kopf schüttelte, fuhr Abdurezak fort: »Dann eile dich. Hol Kümmelsud für Amara.«

Isana sprang sofort auf. Doch sie zögerte wieder, als Amara ein »Nein!« hervorpresste.

»Keinen ... Sud mehr«, fügte Amara kaum hörbar hinzu. Ein erneuter Krampfanfall schüttelte sie und schnitt ihr die Worte ab, die sie offensichtlich noch hatte hinzufügen wollen.

Isana sah Abdurezak fragend an, doch als dieser den Kopf schüttelte, hockte sie sich wieder hin. Sie war ratlos. Seitdem man Arri weggeführt hatte, war sie es gewesen, die als ihre Gehilfin zu den Kranken gerufen wurde. Eigentlich war sie sicher gewesen, dass sie dieser Aufgabe gewachsen war, schließlich hatte sie sich von Arri all das abgeguckt, was ihr Surkija zuvor nicht hatte beibringen können.

Aber jetzt fühlte sie sich zwischen all den Kranken, denen sie Linderung verschaffen sollte, hin und her gerissen. Der Kümmelsud war die eine Sache. Aber was sollte sie tun, wenn er seine Heilkräfte nicht weit genug entfaltete? Wann war es richtig, ein magisches Ritual auszuführen, und wann, auf eine der Substanzen zurückzugreifen, denen man heilende Wirkung zusprach?

»Zakaan ... ist bei Ragok«, stieß Amara hervor. »Und Ragok und Dragosz sind Feinde. Sie müssen sich wieder vertragen, Abdurezak, hörst du?« Die alte Frau richtete sich in ihrem Lager auf, und Abdurezak beeilte sich, sie zu unterstützen. »Versprich mir, dass du dafür sorgst, dass sie sich wieder vertragen?«