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Larkar lief merkwürdig. Eigentlich war es gar kein richtiges Laufen, sondern eher ein unrhythmisches Hüpfen. Der Mann war angeschlagen, entweder durch einen Kampf, der erst ein paar Stunden zurückliegen konnte, oder einer alten Verletzung wegen.

»Arri!«, schrie jemand, als sie die Hügel erreichte und zwischen eine Baumgruppe eintauchte. »Bleib stehen! Du kommst ohnehin nicht weit!«

»Das ist doch ...«, Larkar blieb so abrupt stehen, dass Arri beinahe in ihn hineingelaufen wäre, »Taru!«

Arri stöhnte auf. Jetzt fehlte es noch, dass sich die beiden wie alte Freunde begrüßten und dann gemeinsame Jagd auf sie machten. Sie sprang an Larkar vorbei, umrundete einen moosbewachsenen Findling und duckte sich in seinen Schatten. Ihr Atem ging rasselnd. Sie musste zu Luft kommen, und dann nichts wie weg hier.

»Larkar!«, hörte sie Taru rufen, was nicht gerade erfreut klang. »Was tust du denn hier? Ich dachte, deine Beine sind längst irgendwo verrottet und dein Schädel von der Sonne verdorrt!«

Das klang nicht gerade nach Freundschaft. Arri richtete sich in ihrem Versteck ein wenig auf und spähte zurück. Larkar stand da - und wahrscheinlich lieferten er und Taru sich gerade ein Blickduell.

»Ich habe dich gesucht, Taru«, sagte Larkar, »dich und deinen verräterischen Vater. Und wie es aussieht, habe ich euch jetzt gefunden!«

»Ach, Larkar«, antwortete Taru abfällig. »So, wie es aussieht, kannst du dich kaum noch auf den Beinen halten. Das ist ja auch kein Wunder. Du hättest mit uns kommen können. Aber nein, du musstest ja bei der alten Geierkralle bleiben ...«

»Nenn ihn nicht so!«, brüllte Larkar. »Ragok ist ein Mann von Ehre - was man von deinem Vater ja nun wirklich nicht sagen kann.«

»Mein Vater war ein großer Mann«, sagte Taru kalt. »Aber nun ist er tot. Und ich bin sein Nachfolger.«

»Du sein Nachfolger?«, fragte Larkar rasch, aber Arri sah aus ihrem Versteck, wie sehr ihn die Nachricht von Dragosz’ Tod getroffen haben mochte. »Das bist du nicht«, fuhr er beharrlich fort. »Ragok wird die Geschicke unseres Volkes lenken ...«

»Und du bist sein Kundschafter, ja?«, unterbrach ihn Taru. Mit einem Mal klang seine Stimme so kraftvoll und überheblich wie die von Dragosz, wenn er sich ein Wortgefecht mit einem fremden Händler geliefert hatte, der für seine Waren zu viel verlangt haben mochte. »Dann bin ich mal gespannt darauf, wie viele Männer er aufbieten kann, um mich zu überzeugen, dass ich mein Haupt vor ihm beuge.«

Auch das war ein Dragosz-Satz, und Arri sah, wie sich Larkar anspannte. Doch dann bemerkte er irgendetwas außerhalb von Arris Blickfeld und duckte sich. Und zwar keinen Augenblick zu früh: Ein Pfeil sauste über ihn hinweg und schlug hinter ihm in den Stamm einer Esche ein.

»Hast du dir gleich auch noch deine eigenen Feinde mitgebracht?«, fragte Taru höhnisch.

Larkar antwortete ihm nicht. Im Zickzack lief er los, ungleichmäßig und humpelnd, aber dennoch erstaunlich schnell. Arri stöhnte auf, als sie begriff, dass er den Findling ansteuerte, hinter dem auch sie Schutz gesucht hatte.

Sie wollte schon aufspringen, um davonzulaufen, besann sich dann aber im letzten Augenblick eines Besseren. Hinter dem Stein war sie vor Pfeilen einigermaßen sicher. Und da sie nicht die geringste Ahnung hatte, wer hier mit Pfeil und Bogen unterwegs war - und ob es nicht vielleicht eine ganze Horde sein mochte, die es nur darauf anlegte, jeden abzuschießen, der ihr zu nahe kam - war es besser, erst einmal abzuwarten, was nun geschah.

Larkar erreichte den Findling mit einem letzten Satz. Dabei wirkte er nicht sehr überrascht, sie hier vorzufinden. »Dragosz ist tot?«, fragte er sofort, während er sich neben Arri in den Schutz des Steins sinken ließ.

»Ja«, stieß Arri hervor. »Er ist tot. Und damit du es nur weißt: Er war mein Mann!«

Überrascht stieß Larkar die Luft aus. »Dein Mann? Aber Surkija ...?«

Arri starrte ihn wortlos an. Was wollte dieser humpelnde Speerträger, der seinen Speer verloren hatte, eigentlich von ihr? Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen, und er überfiel sie gleich mit den unangenehmsten Fragen.

»Ich werde jetzt bestimmt nicht mit dir über Surkija sprechen«, sie schnitt ihm mit einer ärgerlichen Handbewegung die Entgegnung ab, die ihm sichtbar auf der Zunge gelegen hatte. Und das Ende des Stricks, das immer noch an ihrem Handgelenk hing, fuhr wie eine Peitsche an seinem Gesicht vorbei, »und auch über sonst nichts. Ich will nur hier weg.«

Larkar nickte. »Ja, ich will hier auch weg. Doch vorher muss ich noch ein paar Dinge wissen.«

»Aber warum?«

»Warum?« Taru wäre in einer Situation wie dieser vor Wut explodiert, aber Larkar verhielt sich da ganz anders. Eher wirkte er traurig. »Du hast keine Ahnung davon, was wir hinter uns haben, oder?«

Arri zuckte mit den Achseln. »Nein.«

»Und erst recht weißt du nicht, was vor uns liegt.« Larkar nickte, ohne eine Bestätigung von ihr abzuwarten. »Die Vergangenheit und die Zukunft sind miteinander verwoben. Und dabei spielt Surkija eine große Rolle.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen«, sagte Arri, und plötzlich sah sie das Bild ihrer Mutter vor sich.

Lea: kraftvoll und energisch, immer in der Lage, alle Probleme zu lösen. Sie hatte Arri das Gefühl vermittelt, für immer und ewig bei ihr zu sein - und sie zu beschützen.

Und vielleicht war sie das ja auch. Vielleicht war sie sogar gerade jetzt bei ihr. Arri hatte jedenfalls das Gefühl, als wäre sie ihr ganz nah, und als rate sie ihr, in diesem Augenblick hier zu verharren und vor diesem ernsthaften jungen Krieger, der so schrecklich erschöpft wirkte, dass es ihr Heilerinnenherz rührte, nicht wegzulaufen.

Aber über Surkija sprechen? Ausgerechnet über die Frau, die ihr Dragosz noch im Tod wegnehmen wollte?

»Was genau ist denn mit Surkija geschehen?«, wollte Larkar wissen. »Warum war sie nicht mehr an Dragosz’ Seite?«

»Du meinst die Frau, wegen der sich Ragok und Dragosz so erbittert gestritten haben, dass sie darüber das Wohl ihres Volkes vergaßen und es ins Unglück stürzten?« Arri lachte rau auf, doch es lag nichts Fröhliches in ihrer Stimme, sondern nur Bitterkeit. »Nein! Verstehst du denn nicht? Surkija ist gestorben, noch bevor Dragosz die alte Heimat mit den Seinen ganz verlassen hatte! Alles war umsonst. Der ganze Bruderzwist. So sinnlos.«

Larkar starrte sie an - und ganz allmählich veränderte sich die Farbe seines Gesichts. »Ich kann das nicht glauben. Dragosz ist tot - und Surkija auch? Aber wie ist das geschehen?«

Arri zuckte mit den Schultern. »Von Surkijas Tod habe ich verschiedene Geschichten gehört. Die einen behaupten, eine Schlange habe sie gebissen. Andere sagen, es wäre ein Fieber gewesen, ausgelöst durch verdorbenes Wasser. Jedenfalls hat sie sich selbst nicht heilen können. Nach drei Tagen ist sie gestorben.«

»Ja, aber das ...«, Larkar schüttelte den Kopf, »warum ist Dragosz dann nicht zurückgekehrt?«

»Um was zu tun?« Arri schüttelte den Kopf. Sie hätte Larkar noch viel erzählen können. Zum Beispiel von ihm und ihrer Mutter. Lea hatte Dragosz schon lange gekannt, und es waren mehr als nur Worte gewesen, die sie ausgetauscht hatten. Dragosz mochte Surkija aufrichtig geliebt haben: Aber er war nicht immer treu gewesen.

Das alles spielte jetzt aber keine Rolle mehr.

»Um was zu tun?«, wiederholte Arri. »Hätte Dragosz etwa vor seinen Bruder treten und sagen sollen: Tut mir leid. Ich habe unser Volk auseinandergerissen, dich betrogen und dann durch Unachtsamkeit die Frau getötet, die du geliebt hast?«

Larkar starrte sie fassungslos an. »Und nach Surkija hat Dragosz dich zur Frau genommen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, woran Dragosz gestorben sein mag. Aber ich weiß doch, welches Glück er gehabt hat, nach Surkija eine Frau wie dich zu finden.«