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»Das ist keine Antwort«, sagte Josa. »Surkija hat nie jemanden alleine sterben lassen. Und schon gar kein Kind.«

»Nein ... natürlich nicht«, antwortete Isana. Sie fühlte sich schrecklich hilflos. Eine Korbflechterin sah zu ihr hoch, und sie entdeckte den Vorwurf in ihren Augen. »Ich war bei der alten Amara«, beeilte sie sich zu antworten. »Ich habe ihr beigestanden, so gut ich es konnte.«

Josa seufzte und streifte die Finger an dem Stein ab, auf dem sie das Fladenbrot hatte vorbereiten wollen. »Ja, das glaube ich dir. Aber ein Kind oder eine alte Frau - da fällt doch wohl die Entscheidung nicht schwer, um wen du dich zu kümmern hast, nicht wahr?«

Isana beeilte sich zu nicken. Josa hatte ja recht.

»Die meisten Kinder erreichen nicht einmal das fünfte Lebensjahr«, sagte Josa. »Aber wir brauchen Kinder. Sie sind doch unsere Zukunft!«

Isana hätte sich am liebsten umgedreht und wäre davongelaufen. Aber sie zwang sich stehen zu bleiben und Josa offen anzublicken, auch wenn sie spürte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. »Du hast ja recht«, sagte sie leise. »Ich habe versucht zu helfen, so gut es ging. Leider war das nicht genug. Es sind gute Menschen gestorben ...«

»Ja, und das alles nur wegen dieser Arianrhod«, sagte Furlar.

»Selbst Dragosz hat sie umgebracht, die Drude«, rief die Korbflechterin heftig und spie aus. »Ihren eigenen Mann! Wir sollten sie holen und hier ins Feuer werfen, damit sie bei lebendigem Leib verbrennt!«

Isana schreckte jetzt doch zurück. Mit ganz kurzen Bewegungen entwich sie ein Stück.

»Schluss jetzt mit dem Gerede«, sagte Kaarg barsch. »Die Drude hat die Nacht neben ihrem toten Mann verbracht, gefesselt und gut verschnürt. Und sobald Dragosz den langen Weg über den Frykr antritt, werden wir ihr den Prozess machen.«

Isana verschluckte sich fast. Arri war nicht mehr gefesselt, sondern auf der Flucht. Und offensichtlich war sie die Einzige, die das wusste; zumindest musste sie das vermuten, sonst hätte es wohl schon längst ein großes Geschrei gegeben. Sie hätte den anderen jetzt unbedingt ihre Beobachtungen mitteilen müssen, aber sie brachte kein Wort hervor.

»Du musst doch erfahren haben, was Arianrhod vorhatte«, sagte Furlar, der ihr Erschrecken wohl falsch deutete. »Schließlich hast du sie bei den Vorbereitungen für das Fest unterstützt.«

»Ja«, sagte Isana hitzig. »Genauso wie die meisten anderen von euch auch.«

»Von uns?« Furlar runzelte die Stirn und schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich habe Arianrhod bestimmt nicht geholfen.«

»Nein?« Isana zog eine Augenbraue hoch. »Hast du nicht eigens für das Fest Krüge und Töpfe gefertigt? Tragen nicht sogar die Opferkrüge, in denen das vergiftete Wasser gereicht wurde, dein Zeichen?«

Furlar war alles andere als ein Hitzkopf, aber jetzt lief ein Schatten von Unmut, fast schon von Zorn, über sein Gesicht. »Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?«

»Nichts«, antwortete Isana rasch. »Genauso wenig wie mit den Beeren und Pilzen, die die Frauen gesammelt haben. Und auch nicht mit den einfachen Hilfshandlungen, mit denen ich und andere die Vorbereitungen für das Fest unterstützt haben.«

»Ja.« Furlar nickte. »Also war alles allein Arianrhods Werk. Dann müssen wir uns auch an sie halten, um die Toten zu rächen.«

Isana wand sich. Sich zu verteidigen, war die eine Sache, Arri anzuklagen aber eine ganz andere Sache.

»Wir werden Arianrhod schon ihrer gerechten Strafe zuführen, da könnt ihr sicher sein«, sagte Kaarg. In seinen müden alten Männeraugen lag plötzlich ein merkwürdiger Glanz. »Und seht zu, dass ihr das Tageslicht nutzt, um mit eurer Arbeit voranzukommen. Die Tage werden schon kürzer, und es ist noch viel zu tun, wenn wir den ersten Winter in Urutark überstehen wollen!«

Ja, dachte Isana, das ist wohl wahr. Der erste Winter würde der härteste werden, denn noch hatten sie keine Ernte einfahren, kein Obst trocknen, keine Fische räuchern, kein Fleisch pökeln - und keinen auf Kieselsteinen erhitzten Mehlbrei in Schafsdärme füllen können, damit er sich bis weit in die kalte Jahreszeit hinein hielt.

»Und du kommst jetzt mit mir«, fuhr Kaargs Stimme in ihre Gedanken hinein. »Wir holen Arri von dem Steg herunter. Und dann machen wir ihr den Prozess!«

Kapitel 8

Arri versetzte Larkar einen Schubser, der ihn in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit den steilen schmalen Pfad hinunterschlittern ließ, der sich vor ihnen auftat. »Da runter jetzt«, zischte sie. »Und dort unten bleibst du gefälligst auch, hast du verstanden?«

Larkar hätte zunächst auch gar nichts anderes tun können, als dort zu bleiben, wo Arri ihn haben wollte. Kleinere und größere Steine rutschten nach, als er mit wild rudernden Armen auf dem Geröllbett hinabrutschte. Und dann folgte auch schon Arri, die auf der kleinen Gerölllawine ritt und mehr als einmal das Gefühl hatte, sie würde gleich von den Füßen gerissen werden.

»Vorsicht!«, schrie Larkar, kaum dass er unten angekommen war und sich umgedreht hatte, um ihr entgegenzustarren. »Da, der Ast!«

Arri hatte ihn schon selbst gesehen. Trotzdem hatte sie Mühe, dem ausladenden Ast einer verkrüppelten Eiche auszuweichen. Unter ihren Füßen polterten die Steine hinab und rissen sie mit sich. Sie konnte gerade noch rechtzeitig den Oberkörper so weit verbiegen, dass sie nicht mit voller Wucht mit dem Kopf gegen den Ast knallte.

»Upps«, machte sie, dann war sie aber auch schon unten angekommen.

Larkar sprang vor, fing sie auf, riss sie noch in der gleichen Bewegung aus der Rinne heraus und setzte sie auf einem Vorsprung ab. Zum Dank stieß ihn Arri mit einer Hand zurück und fauchte: »Was ist los, spinnst du?«

Der humpelnde Speerträger musterte sie mit einem ganz merkwürdigen Blick, während sie mit beiden Händen die Überreste ihres Wickelrocks, der sich gerade selbstständig machen wollte, zurückhielt. Die Dornen, die Flucht und nicht zuletzt dieser Teufelsritt hatten nicht nur ihren Rock zerfetzt, sondern auch die aufwendig gefertigte Leinenbluse eingerissen, die der ganze Stolz jeder Heilerin war.

»Vorsicht!«, schrie jetzt Arri, und Larkar begriff sofort, was sie meinte. Mit einem Satz war er aus der Rinne heraus, durch die nun immer größere Gesteinsbrocken donnerten, wobei einige auch bis auf Kniehöhe hochsprangen und unmittelbar neben ihr landeten.

Um ein Haar hätte Arri ihn erneut zurückgestoßen, doch dann begriff sie, dass der Vorsprung, auf dem sie nun beide standen, einfach nicht groß genug war, um auch noch auf Abstand zu gehen. Aber das spielte jetzt auch keine große Rolle mehr. Sie und Larkar waren gemeinsam geflohen, und die Idee, sich von ihm zu trennen und ihr Glück allein zu versuchen, war spätestens in dem Augenblick verflogen, als ein Pfeil sie erneut nur knapp verfehlte.

Arri raffte die Reste ihrer Bluse so gut es ging zusammen (was nicht besonders gut war, denn um sie wieder halbwegs zu flicken, brauchte sie mindestens einen halben Tag, und das auch nur, wenn sie eine Bronzenadel zur Verfügung hatte). Dann rückte sie so weit es ging von Larkar ab. Den Stock, den sie ihrem missgestalteten Gegner abgenommen hatte, hielt sie dabei so fest umklammert, dass Larkar hoffentlich begriff, wie wenig wehrlos sie war.

Der Speer packte sie dennoch am Handgelenk und zog sie an sich heran, und obwohl er das nicht besonders feinfühlig tat, war ihm Arri nach dem ersten Schreck äußerst dankbar dafür, denn ihr rechter Fuß hatte schon über dem Nichts gebaumelt.

»Nun komm doch endlich mal zur Ruhe!«, fauchte er.

»Zur Ruhe?« Arri hätte beinahe laut aufgelacht. Diese ganze Flucht war eine einzige Katastrophe, und wenn das in dieser Geschwindigkeit so weiterging, würde vor Einbruch der Dunkelheit nicht nur ihr Gewand in alle Einzelteile zerfallen, sondern sie auch so erschöpft und außer Atem sein, dass ihr die Aussicht auf ihren eigenen Tod eher wie eine Erlösung vorkäme.