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Larkar schüttelte den Kopf und deutete nach draußen. »Da ist jemand«, hauchte er fast unhörbar.

Ärgerlich schüttelte Arri den Kopf. »Nein. Nur ein Gewand oder ein Rock, der vom Wind hochgewirbelt wurde ...«

Sie brach ab, als Larkar ihren Kopf ohne viel Feingefühl ergriff und in Richtung Tür drehte. Ihr wütender Protest kam nicht einmal über den Ansatz hinaus.

Es mochte ja sein, dass es tatsächlich ein Kleidungsstück gewesen war, das sie gesehen hatte. Aber jetzt glaubte sie zu erkennen, wie jemand vom Brunnen weglief und zwischen den Baumreihen unterhalb des Hanges verschwand.

Jemand? Klein, zierlich, fast zerbrechlich, mehr ein Schemen als ein Mensch, nicht fassbar ... Arri schluckte hart, und dann war der Spuk auch schon verschwunden.

Trotzdem ... irgendwie war ihr diese ... diese Erscheinung seltsam bekannt, ja, fast vertraut vorgekommen. Was ging hier bloß vor?

»Hast du es jetzt auch gesehen?«, fragte Larkar.

»Ja.« Zischend stieß Arri die Luft aus. »Aber wer ...?«

Sie ließ den Satz zwar unbeendet, aber Larkar verstand sie auch so. »Ich habe keine Ahnung, wer das ist. Vielleicht einer der Bogenschützen.«

Arri starrte ihn verblüfft an. »Wie kommst du ausgerechnet darauf?«

»Weil das mit Sicherheit nicht Taru war«, antwortete Larkar. »Und keiner von den Kerlen, die uns mit den Stangen angegriffen haben.«

»Aber kann das überhaupt ...?«

»Ein Mensch gewesen sein?« Larkar starrte sie an, und seine ohnehin schon dunklen Augen schienen plötzlich tiefschwarz zu werden. »Vielleicht ein Kind ... oder ...«

»Oder?«

Larkar winkte ab. »Nichts, nein.« Er schlug den Blick nach unten, und als er sie dann wieder ansah, versuchte er sich ein Lächeln abzuringen. Es misslang jedoch kläglich. »Ich weiß es wirklich nicht.«

»Das mag sein«, sagte Arri rasch. »Aber du vermutest doch etwas!«

Statt zu antworten starrte sie Larkar schon wieder auf die gleiche unheimliche Weise an wie eben. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sagte: »Dann später. Was sollen wir tun? Verschwinden wir oder sehen wir uns das Haus an?«

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich der dunkelhaarige Krieger von dem lösen konnte, was seine Gedanken offensichtlich ganz und gar gefangen nehmen wollte. Er schüttelte den Kopf und schob sie sanft von sich. »Besser, du bleibst hier an der Tür und behältst den Dorfplatz im Auge, während ich mich hier drinnen ein bisschen umsehe.«

Der Vorschlag mochte ganz vernünftig sein - aber Arri zögerte, Larkars Aufforderung Folge zu leisten. Ihr Blick wanderte zum Brunnen, und dann den Weg hinab bis zur Feuerstelle. Alles war ruhig hier, sah man einmal davon ab, dass der Wind Blätter und Unrat aufwirbelte.

Fröstelnd zog sie sich ein Stück tiefer ins Haus zurück. So viele Bilder stoben in ihrem Kopf auf, als hätte der Wind auch ihre Gedanken durcheinandergewirbelt. Dragosz. Ihre Mutter. Kyrill. Isana. Alles Menschen, mit denen sie sich tief verbunden fühlte. Und dazwischen spukte auch immer noch Taru herum, wie ein böser Geist, der alles durcheinanderbringen wollte.

Sie hielt es hier nicht mehr länger aus. Mit einem letzten sichernden Blick zog sie sich aus dem Eingang zurück, ließ die Tür aber einen Spalt offen.

Als sie in den Raum hineintrat, begriff sie erst, wie groß so ein Langhaus war. Die kleinen Hütten, die sie am See erbaut hatten, waren im Vergleich zu diesem riesigen Gebäude winzig. In dem spärlichen Licht, das durch die Öffnungen drang, die man im Winter sorgfältig zu schließen pflegte, konnte sie sich immerhin einen raschen Überblick verschaffen.

Wie üblich gab es in dem Haus keine durch Wände abgetrennten Räume, sondern nur Verschläge an den Wänden, in denen man Rinder, Ziegen, Schafe und Schweine unterbringen konnte. Die Kochstelle befand sich zu ihrer Linken, die Treppe, die ins obere Stockwerk führte, auf der anderen Seite.

Larkar hockte auf dem Lehmboden und kramte in den Dingen herum, die dort lagen. Arri wäre ja zu ihm gestürzt, um zu fragen, was er dort vorgefunden hatte. Aber da hörte sie über sich ein Geräusch, und etwas rieselte zwischen den Bohlen des oberen Stockwerks hindurch.

»Raus hier!«, schrie sie.

Larkar sprang auf - und knickte gleich wieder ein; wahrscheinlich hatte er sein verletztes Bein falsch belastet. Arri war mit einem Satz bei ihm und wollte ihm schon hochhelfen, aber Larkar stieß sie zurück, in Richtung Tür.

»Schnell«, keuchte er. »Sie werden gleich hier sein!«

Es bedurfte keiner Erklärung, was er damit meinte. Über ihnen donnerten Schritte, und jetzt rieselte an vielen Stellen der Dreck durch die Decke. Arri meinte, Waffengeklirr zu hören und ein Kommando, das die Männer über ihr anspornte, die Falle zuschnappen zu lassen, in die sie sich zusammen mit dem fremden Krieger gerade eben selbst begeben hatte.

Ohne zu zaudern drehte sich Arri um und stürzte auf die Tür zu.

Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Aber sicherlich nicht das, was da vor dem Haus auf sie lauerte.

Kapitel 9

Alles ist verloren. Das war der erste Gedanke, den Lexz hatte, als er wieder zu sich kam. Er lag genau dort am Boden, wo man ihn niedergestreckt hatte. Ein gutes Stück entfernt hörte er Kampfschreie und das dumpfe oder auch klirrende Geräusch, mit dem Waffen aufeinanderschlugen. Und er glaubte, die Stimme Ekarnas herauszuhören. Sie klang schrill und verzweifelt. In seiner Phantasie sah er seine beiden Gefährten in einen heftigen Kampf verstrickt, bereits mehrfach getroffen, blutend und verzweifelt, und kurz davor, ebenfalls zu Boden zu gehen.

Er musste ihnen helfen. Mit aller Gewalt versuchte er sich hochzustemmen, seine Arme wollten ihm jedoch nicht gehorchen. Zwar schmerzten sie nicht, aber mehr als die Hände zu Fäusten zu ballen und anschließend wieder zu spreizen, wollte ihm bei aller Anstrengung nicht gelingen.

»Nein!« Er schüttelte den Kopf. So durfte es doch nicht enden. Ekarna und Torgon wurden gerade von einer Übermacht überwältigt, und er lag hier wie ein Gefangener seines eigenes Körpers und konnte ihnen nicht zu Hilfe eilen?

Das durfte nicht sein.

Erneut strengte er sich an, atmete tief ein und drückte sich so gut es ging ab. Diesmal kam er tatsächlich ein kleines Stück nach oben, aber es war nur ein winziges, lächerliches Stückchen, und gleichzeitig durchpulste seinen Kopf und Nacken ein harter und hämmernder Schmerz.

»Verdammt noch mal!«

Lexz biss die Zähne so hart aufeinander, dass es wehtat, und verdoppelte gleichzeitig seine Anstrengungen. Der Erfolg war lächerlich. Das Pochen verstärkte sich, aber er kam nicht wesentlich weiter hoch als zuvor. Dafür begannen nun seine Finger zu kribbeln und ein brennender Schmerz breitete sich in seinen Armen aus.

Das konnte er nicht zulassen. Er spürte, wie ihn eine Mischung aus Wut und Verzweiflung durchpulste. Das war gut so. Er musste diese Kraft nutzen, um endlich hochzukommen.

Die Kampfgeräusche, die an sein Ohr drangen, waren erst heftiger geworden. Jetzt jedoch ließen sie nach. Er konnte Ekarna nicht mehr hören. Was, wenn sie bereits getroffen war, wenn sie ein Schlag niedergestreckt hatte ...

Alles purzelte in ihm durcheinander, Gedanken und Gefühle, Selbstvorwürfe sowie die Angst, zu spät zu kommen. Und in all dem Durcheinander war noch etwas anderes: die knarzende alte Stimme des Schamanen, die sich mal wieder bemerkbar machte.

Diesmal nicht, dachte er. Der Schamane hatte doch gar nichts mit diesem Kampf zu tun. Es ging hier um Leben und Tod, darum, ob er seinen Gefährten beistehen konnte oder nicht. Von solchen Dingen verstand Zakaan nichts. Schließlich war er kein Krieger.

»Als ob ein Schamane nichts vom Kämpfen weiß«, glaubte er Zakaans Stimme zu hören. »Wir Schamanen haben die gleiche Aufgabe wie das Auge eines Orkans: mitten im Sturm die Ruhe zu bewahren. Das ist aber nicht ohne äußere und innere Kämpfe möglich.«