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Aber das ging nicht. Sie bückte sich, hob die Schale mit der Suppe auf und überlegte gerade, wie sie sie am besten wärmen konnte, als ihr Vater die Frage stellte, die sie die ganze Zeit über schon gefürchtet hatte: »Für wen wolltest du eigentlich den Fisch zubereiten? Für mich, das kann ja nicht sein, denn ich mag Rotaugen direkt über dem Feuer gebraten - und das weißt du auch ganz genau.«

Noch klang seine Stimme nicht unbedingt unfreundlich, aber es schwang so etwas wie eine unausgesprochene Drohung darin mit - die sich jederzeit bewahrheiten würde, wenn er die falsche Antwort bekam.

»Nun, eigentlich ... ich wollte ihn wohl eher für mich selbst machen ...«

Kenan schüttelte den breiten Schädel. »Kind, Kind. Du weißt doch, dass ich immer merke, wenn du mich belügst. Tu mir das nicht an.« Seine Stimme hatte plötzlich den Klang von zwei groben Steinen, die man aneinanderreibt. »Du wolltest doch nicht etwa eine Suppe für die Drude kochen?«

Isana schluckte krampfhaft. Gab es hier einen Ausweg? Konnte sie ihrem Vater irgendeine andere Geschichte auftischen, die er ihr glauben würde?

Das vermochte sie natürlich nicht. »Ich ... der Ältestenrat ... Abdurezak selbst ...« Sie straffte sich. »Ich muss ihr etwas zu essen bringen! Ich bin die Heilerin, und ich muss sehen, dass sie bei Kräften bleibt - für den Prozess!«

Ihr Vater sah sie nur an - und rührte sich nicht. Doch in seinen Augen veränderte sich etwas. Jede Spur von Zuneigung und Verständnis schwand und machte etwas anderem Platz, das Isana gar nicht mit Worten benennen wollte.

»Sag mir, dass dies nicht wahr ist«, knurrte er. »Du hast dir von dieser Fremden den Platz als Heilerin streitig machen lassen, der eigentlich dir zugestanden hätte, du bist ihr hinterhergelaufen wie ... eine Dumme, du hast ihr immer und überall geholfen, wo du nur konntest - UND DU HÄLTST TATSÄCHLICH JETZT IMMER NOCH ZU IHR!«

Den letzten Satz hatte er so laut gebrüllt, dass Isana nach hinten getorkelt wäre, hätte sie nicht mit einer solchen Reaktion gerechnet. So schrumpfte sie nur in sich zusammen und schlug den Blick zu Boden.

»Die Herren von Goseg«, fuhr ihr Vater leiser, aber kein bisschen weniger drohend, fort, »sind die eine Sache. Meine eigene Tochter aber, das ist etwas ganz anderes. Wie kannst du mich nur so hintergehen?«

»Aber Abdurezak ...«

»Abdurezak hat dir bestimmt nicht aufgetragen, der Drude eine Fischsuppe zu kochen, wie sie in diesen harten Zeiten kaum jemandem zusteht. Er hat dir gewiss nur aufgetragen, ihr ein trockenes Fladenbrot zu reichen.« Wieder legte er den Kopf schief. »Sag, wenn es anders war.«

Isana schüttelte den Kopf. »Nein«, hauchte sie. »Es war genauso, wie du sagst, Vater. Aber ... die Drude hat all die Tage nichts gegessen. Sie muss doch bei Kräften bleiben. Und ich bin nun einmal die Heilerin ...«

Kenan wischte ihren Einwand mit seiner mächtigen Pranke beiseite. »Du redest Unsinn, Kind, und du weißt es auch.«

Isana wartete auf den nächsten Ausbruch - doch es folgte keiner mehr. Stattdessen schüttelte ihr Vater nur noch einmal den Kopf. »Du wirst diesen Unsinn jetzt lassen. Wärme die Suppe, und ich werde sie essen - bereite mir den rotäugigen Fisch dann aber so zu, wie ich es mag. Und bring der Drude das älteste und härteste Fladenbrot, das du finden kannst - oder von mir aus auch Kuhdung.«

Isana beeilte sich zu nicken. Sie drehte sich um, sah den Stein zu ihren Füßen - und fasste einen Entschluss.

Ungeschickt stolperte sie über den Stein und kippte die Suppe ins Feuer. Die Flammen spritzten auf, es stank erbärmlich, und ihr Vater stieß einen zornigen Laut aus - aber Isanas Lippen umspielte ein trotziges Lächeln.

Kapitel 14

Arri stieß einen leisen Seufzer aus, der in ihren eigenen Ohren wie der einer alten Frau klang, die voller Wehmut auf ein langes Leben zurückblickt. Vielleicht lag es daran, dass sie sich ganz ähnlich fühlte, wenn sie an die Zeit mit Dragosz dachte ...

Alles gönnte ihm Arri, den Aufstieg in die ewige Halle der Mächtigen, die nur ganz wenigen Helden vorbehalten war, und einen ruhmvollen Platz unter seinen Vorvätern. Aber es gab auch etwas, das sie ihm missgönnte: dort wieder mit Surkija zusammenzutreffen und sie für die Ewigkeit als Frau zu nehmen.

Das durfte nicht sein! Ihr stand es zu, mit Dragosz die Ewigkeit zu verleben, niemandem sonst!

Als sie ein Geräusch vor der Hütte hörte, in die Taru und Rar sie vor nun schon drei Tagen in einem lächerlichen Triumphzug geschleppt hatten, schreckte sie auf. Sie wusste nicht, was da draußen vor sich ging. Die großen Blätter vor dem Eingang der Hütte raschelten schon seit einer ganzen Weile im auffrischenden Wind und gaukelten Bewegungen vor, die es dort gar nicht gab.

So auch diesmal. Arri erwartete nicht ernsthaft, dort Taru auftauchen zu sehen - jedenfalls nicht, solange Amar nicht mit dem Ältestenrat gesprochen hatte, um festzulegen, wann und wo man ihr nun endlich den Prozess machte.

Sie atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Sie hatte so viel Zeit gehabt, über alles Mögliche nachzudenken, dass sich ihre Gedanken schon wiederholten: wie die endlosen Tage im Winter, wenn draußen der Schneesturm ums Haus peitscht. Und mit ihnen kehrten auch die schrecklichen Gefühle immer wieder zurück, die ihr erst richtig klar machten, wie einsam sie jetzt war. Da wäre es ihr schon lieber gewesen, irgendjemand wäre gekommen, am besten natürlich Isana. Bislang hatte sie Kenans Tochter jeden Tag besucht, um ihr etwas zu essen zu bringen und zu versuchen, sie mit ein paar lockeren Worten aufzuheitern.

Es war zwar traurig, aber wahr: Das zierliche Mädchen war die Einzige, die ihr weiter so unbefangen begegnete, als wäre nichts geschehen - ganz im Gegensatz zu ihren anderen sogenannten Freunden, die johlend verfolgt hatten, wie Taru und Rar sie hierher geschleppt hatten. Arri nahm es ihnen noch nicht einmal übel, das Räubermärchen geglaubt zu haben, das die beiden über ihre angebliche Flucht verbreitet hatten. Aber dass sie wirklich glaubten, sie habe das ganze Dorf am Tag des Festes vergiften wollen, war ungeheuerlich.

Ungeheuerlich, und doch auch wieder nicht wichtig. Wenn nur endlich Isana käme! Oder irgendein anderer, der sie aus ihren düsteren Gedanken riss!

Aber nichts dergleichen geschah. Mittlerweile hätte sie es schon begrüßt, wenn sich bloß Taru oder Amar hier hätten sehen lassen. Ja, selbst wenn es Nor irgendwie geschafft hätte, sich aus seinem Korbstuhl zu erheben und herzukommen, hätte sie das als eine willkommene Ablenkung von ihren düsteren Gedanken empfunden.

So aber musste sie immer wieder an das Gespräch mit ihm zurückdenken. Alles, jeden einzelnen Satz, hatte sie in ihren Gedanken bestimmt tausendmal wiederholt. Diese Geschichte mit der Krankheit, mit der Heimat, der sie alle gemeinsam entstammten, heimlich - das kam ihr wie ein einziger Albtraum vor. Immer wieder versuchte sie sich in Erinnerung zu rufen, was ihr die Mutter aus ihrer Heimat erzählt hatte. Und das versuchte sie in Übereinstimmung damit zu bringen, was sie von Goseg wusste - und dem, was sie bei den Rakern erlebt hatte.

Stimmte es wirklich, dass sie eigentlich alle nur ein einziges Volk waren? Und dass sie die Himmelsscheibe brauchten, um die Gefahr einer schrecklichen Krankheit zu bannen?

»Frag deine Mutter, Kind«, hatte Nor gesagt. »Vertrau dich ihrem Rat an. Sie wird dich leiten!«

Sie spürte ja, dass er damit recht gehabt hatte. Sie versuchte sich auf die Stimme ihrer Mutter zu konzentrieren, irgendwie einen Zugang zu ihr zu finden. Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen.

Die einzige Abwechslung waren die Schritte vor der Hütte, das Gemurmel, mitunter auch ein ferner Ruf. Aber inzwischen wurden die Geräusche eines lebendigen Treibens vor der Hütte durch das leise, erst zögerliche, und dann doch immer heftigere Prasseln des Regens abgelöst, der sich schon seit Längerem angekündigt hatte. Jetzt würden die Menschen ihre Sachen zusammenraffen und Schutz in ihren Behausungen suchen. Und sie war wieder allein und auf sich gestellt. Fürchterlich. Wenn sie sich wenigstens frei in der Hütte hätte bewegen können!