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»Ups«, machte er, als sich sein Oberkörper erst nach hinten bog und dann zur Seite, während seine Füße wie mit Kupfernägeln festgenagelt am Boden verharrten. »Das ist jetzt doch ...«

Lächerlich, hatte er sagen wollen. Aber das war es nicht, ganz im Gegenteil. Er spannte sich an, riss den rechten Fuß hoch, bis die Ranke riss ... bis nur ein Teil von ihr riss, wie er sich erschrocken korrigieren musste, während sich ein anderer grüner Strang mit zäher Hartnäckigkeit und unglaublicher Geschwindigkeit weiter um seinen Knöchel wickelte.

»He, lass los!« Er versuchte es mit einem Hüpfer, und tatsächlich schnellten schon wieder grüne Pflanzenfasern davon. Er hangelte nach einem Ast, bekam ihn zu fassen und zog sich so weit wie möglich daran nach vorn. Ein Schweißtropfen lief in sein Auge, und dann noch einer, und für kurze Zeit war er fast blind.

Er blinzelte die Schweißtropfen weg, und als er wieder klar sehen konnte, hätte er beinahe aufgeschrien. Er umklammerte den Ast mit beiden Händen, und dieser war auch fest genug, um ihn zu halten - aber das auf eine Art und Weise, die er selbst nun wirklich nicht im Sinn gehabt hatte.

Aus dem Ast heraus spross ihm nämlich etwas entgegen, das eine schreckliche Ähnlichkeit mit den Bodenranken hatte, die seine Knöchel umschlangen. Während sich das ekelhafte Grünzeug von seinen Füßen aus beharrlich weiter nach oben arbeitete und nun auch seine Waden einzuspinnen begann, wucherte aus dem Ast vor seinem Gesicht das gleiche Rankengewächs heraus, erreichte seine Handgelenke und strich so sanft wie eine Frauenhand darüber. Dann begriff er, dass er den Ast loslassen musste, so sehr er diesen Halt auch brauchte, um nicht doch noch umzukippen. Doch als er seine Finger schließlich lösen wollte, erlebte er die nächste böse Überraschung: Dünne grüne Fäden hatten sich wie ein Spinnennetz darüber gelegt, viele dünne grüne Fäden, und es wurden immer mehr - und das schneller als er überhaupt begreifen konnte, wie ihm geschah.

»Torgon!«, brüllte er voller Panik. »Torgon! Sofort! Hilf mir!«

Er versuchte den Griff des grünen Gespinstes zu sprengen, und als er sich anstrengte und seine mächtigen Muskeln anspannte, erbebte der Ast.

»Verdammt!«, hörte er Torgon brüllen. »Halt aus! Ich komme!«

Lexz glaubte Torgons wütendes Schnauben zu hören, und dann nahm er deutlich wahr, wie der Dicke herantobte, alles mit seinem Hammer beiseite schlug, was ihm entgegenwucherte, und auch Ekarnas Aufschrei mischte sich unüberhörbar in das verrückte Lied der Befreiung, zu der seine beiden Freunde angesetzt hatten.

Lexz’ Hand durchzuckte ein scharfer, stechender Schmerz, er riss und zerrte mit aller Kraft und Beharrlichkeit weiter. Dann kam sie frei und schnellte so heftig zurück, dass er von dem Schwung zur Seite gerissen wurde. Gleichzeitig mit seiner Hand kam auch sein rechter Fuß frei, dafür bekam er plötzlich Schlagseite und rutschte nach links ab, unaufhaltbar, ausschließlich gehalten von gierigen grünen Ranken und Trieben, Schlingpflanzen, die sich seiner zu bemächtigen versuchten und ihn ohne Zweifel auch ersticken würden, wenn er sich ihrer nicht vorher endgültig entledigen konnte.

Im Augenblick war daran aber noch nicht einmal im Entferntesten zu denken. Seine linke Seite wurde beharrlich und mit erschreckender Kraft nach unten gezogen, während er wie ein kleines Kind mit dem rechten Bein herumstrampelte und mit der rechten Hand irgendwo Halt zu finden suchte, wo ihn nicht gleich wieder grünes Gespinst einfangen wollte.

Er rutschte ein weiteres Stück ab, spürte, wie er nach unten gezogen wurde, und voller Panik starrte er nach oben, darauf gefasst, hier jeden Augenblick einen hammerschwingenden Fettwanst auftauchen zu sehen ...

Und tatsächlich sah er auch jemanden. Es war jedoch nicht Torgons rundes Gesicht, obwohl auch dieses Gesicht dort rund war ... oder besser gesagt: aufgedunsen, wie er auf einen erschrockenen zweiten Blick hin feststellte.

Über ihm hing ein Mann - kaum noch als solcher erkenntlich zwar, denn er war in so feine und grobe grüne Fäden eingesponnen, dass er eher wie eine zu groß geratene Larve aussah und nicht wie ein Mensch. In den Händen hielt er einen Bogen, ein Pfeil war auf die Sehne gelegt, und dieser Pfeil zielte auf ihn.

Es war ein so unglaublicher Anblick, dass Lexz fast vergaß, wo er war und in welch auswegloser Lage er sich befand. Der Mann über ihm schaukelte leicht hin und her ... oder vielleicht war es auch eher ein Es, das leicht hin und her schaukelte, denn es konnte kaum ein Zweifel daran bestehen, dass der Bogenschütze tot war, und dies nicht erst seit gestern. Er hatte blauschwarze Lippen, zumindest vermutete das Lexz, ganz sicher war er sich da nicht; denn das, was Lippen hätten sein können, bewegte sich ...

Maden?

Lexz’ Blick war vor Schreck erstarrt. Ganz tief in seinem Inneren wisperte eine Stimme, dass er im Begriff sei, den Verstand zu verlieren. Er wäre nicht der Erste, der tagelang übermüdet, erschöpft und fast verhungert durch eine feindliche Umgebung stolperte und plötzlich Dinge zu sehen glaubte, die einem wahnhaften Pilztraum entsprungen zu sein schienen.

Der Bogenschütze nickte, aber es war nicht nur sein Kopf, der sich da in Bewegung gesetzt hatte, sondern sein ganzer Körper ... und irgendetwas an dieser Bewegung wirkte schrecklich falsch. Der Oberkörper dehnte sich aus und zog sich dann wieder zusammen - doch nicht auf die Art, wie ein Mensch atmete, sondern eher so, wie sich eine Raupe vorwärtsbewegt.

Lexz wäre zusammengezuckt, wenn er es denn gekonnt hätte. Aber das war unmöglich, dafür hatte ihn das grüne Gespinst viel zu fest eingebunden. Und das war auch nicht das Einzige, was einen Schrei auf seine Lippen zwang, der laut und schauerlich durch den grauenvollen Wald hallte.

Der Bogenschütze spannte die Sehne des Bogens, und der Pfeil schwankte kurz, bevor er genau in sein Gesicht zielte.

»Torgon!«, schrie Lexz mit bereits überkippender Stimme. »Hilf mir!«

Als Zakaan die letzte Biegung, die von einem Findling versperrt wurde, hinter sich ließ, wurde ihm bewusst, was hier nicht stimmte: Es war viel zu ruhig. Auch wenn die meisten Menschen in den Wäldern der Umgebung auf Nahrungssuche unterwegs sein mochten, so herrschte hier unten doch niemals vollständige Stille. In der Mitte des Lagers, dort, wo bis spät in der Nacht ein Feuer prasselte, hockten für gewöhnlich einige der Frauen und verrichteten die Arbeiten, die notwendig waren, um die kleine Gemeinschaft am Leben zu erhalten: Sie nahmen Wild aus, zerkleinerten Brennholz, bereiteten Mahlzeiten vor oder flickten löchriges Schuhwerk und zerschlissene Gewänder.

Jetzt aber schallte vom Feuerplatz kein einziger Laut zu ihm herüber. Das war ungewöhnlich. Der Feuerplatz war der Lebensmittelpunkt ihrer Gemeinschaft, und dies selbst dann, wenn gar kein Feuer entzündet ...

Kein Feuer entzündet? Jetzt begriff er den Fehler in seiner Überlegung, und zwar noch bevor er sich den nächsten mühsamen Schritt abgerungen hatte. Von oben hatte er gesehen, wie Rauch durch das Lager gewabert war. Dann aber musste dort auch jemand sein ...

Bakan riss sich von seiner Hand los und stürmte weiter. »Mama!«, rief er. »Mama! Wo bist du?«

Der Schamane stieß einen resignierten Seufzer aus. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte doch niemals mit dem Jungen mithalten können. Das Alter hatte viele Vorzüge, brachte einen stetigen Zustrom von Wissen mit sich, verschaffte einem zunehmenden Respekt von Seiten der Jüngeren - aber es hatte ebenso seine ausgesprochenen Nachteile. Sich im Alter auch nur einigermaßen angemessen zu bewegen, wurde manchmal zur Qual, und eine größere Strecke zurückzulegen geriet zu einer Herausforderung, die leicht in einer Katastrophe enden konnte. Während er sich weiter vorwärts quälte, fragte er sich ernsthaft, wie er diese große Wanderung überhaupt hatte überstehen können. Er war doch nicht erst über Nacht gealtert!