»Ein verdammtes Durcheinander«, grollte Perrin.
»Ärger?« fragte Aram, während er sich aufrichtete, die rechte Hand bereit, nach dem Wolfskopf-Knauf des über seiner Schulter aufragenden Schwerthefts zu greifen. Er hatte dieses Schwert in kurzer Zeit sehr gut beherrschen gelernt und war niemals abgeneigt, es zu benutzen.
»Kein Ärger, Aram.« Es war keine regelrechte Lüge. Aus seinem dumpfen Brüten aufgerüttelt betrachtete Perrin die anderen zum ersten Mal wirklich. Alle gleichzeitig. Was er sah, gefiel ihm nicht, und die Aes Sedai waren nur ein Teil davon.
Cairhiener und Mayener beobachteten die Aiel mißtrauischr was dem umgekehrten Mißtrauen der Aiel, besonders den Cairhienern gegenüber, nur entsprach. Das war nicht wirklich überraschend. Die Aiel hatten immerhin einen gewissen Ruf, nicht allzu freundlich zu Menschen zu sein, die auf dieser Seite des Rückgrats der Welt geboren waren, und am wenigsten zu Cairhienern. Die schlichte Wahrheit war, daß Aiel und Cairhiener einander fast so sehr haßten, wie man nur hassen konnte. Keine Seite hatte ihre Feindschaft wirklich überwunden - man konnte bestenfalls behaupten, daß sie an der langen Leine gehalten wurde -, und doch war Perrin bisher überzeugt gewesen, daß sie sie unter Kontrolle halten würden. Zumindest Rand zuliebe. Jedoch herrschte im Lager eine Stimmung, die alle angespannt sein ließ. Rand war jetzt frei, und zeitweilige Bündnisse waren letztendlich genau das: zeitweilig. Die Aiel hoben ihre Speere an, wenn sie die Cairhiener ansahen, und die Cairhiener tasteten grimmig nach ihren Schwertern. Wie auch die Mayener. Sie hatten keinen Streit mit den Aiel, hatten sie bis auf den Aielkrieg, in dem jedermann gekämpft hatte, niemals befehdet, aber wenn es jetzt zu einem Kampf käme, bestand kein Zweifel, auf welche Seite sie sich schlagen würden. Was wahrscheinlich auch für die Leute von den Zwei Flüssen galt.
Die düstere Stimmung lastete schwer auf den Asha'man und den Weisen Frauen. Die schwarz gewandeten Männer beachteten die Töchter des Speers und die Siswai'aman nicht häufiger als die Cairhiener oder die Mayener oder die Leute von den Zwei Flüssen, aber sie betrachteten die Weisen Frauen mit fast genauso düsteren Gesichtern, wie sie die Aes Sedai ansahen. Sie machten höchstwahrscheinlich nur wenig Unterschied zwischen einer Frau, die die Macht lenken konnte, und einer anderen. Jedermann konnte ein Feind und gefährlich sein. Dreizehn zusammen waren eine tödliche Gefahr, und es befanden sich mehr als neunzig Weise Frauen im Lager oder in dessen Nähe, gegenüber nicht einmal halb so vielen Asha'man, die aber dennoch Schaden anrichten konnten - und doch schienen sie Rand zu folgen. Sie schienen Rand zu folgen - und doch waren sie Frauen, die die Macht lenken konnten.
Die Weisen Frauen betrachteten die Asha'man nur unwesentlich weniger kühl, als sie die Aes Sedai betrachteten. Die Asha'man waren Männer, die die Macht lenken konnten, aber sie folgten Rand. Sie folgten Rand, aber ... Rand war ein besonderer Fall. Gaul zufolge wurde seine Fähigkeit, die Macht zu lenken, in den Prophezeiungen über ihren Car'a'carn nicht erwähnt, aber die Aiel bestritten diesen unbequemen Umstand anscheinend. Die Asha'man wurden in jenen Prophezeiungen jedoch überhaupt nicht erwähnt. Es mußte so sein, als entdeckte man, daß man den Stolz wilder Löwen auf seiner Seite hatte. Wie lange würden sie loyal bleiben? Vielleicht wäre es besser, sie jetzt zu unterwerfen.
Perrin ließ den Kopf an das Wagenrad zurücksinken, die Augen geschlossen, und seine Brust hob sich in stillem, freudlosen Lachen. Denke an Hoch Chasaline an die guten Dinge. Verdammt, dachte er, ich hätte mit Rand gehen sollen. Nein, es war gut, ausreichend früh Bescheid zu wissen. Aber was, im Licht, sollte er tun? Wenn die Aiel und die Cairhiener und Mayener aufeinander losgingen, oder noch schlimmer, die Asha'man und die Weisen Frauen... Ein Korb voller Schlangen, und die einzige Möglichkeit herauszufinden, welche Vipern waren, bestand darin, die Hand hineinzustrecken. Licht, ich wünschte, ich wäre zu Hause, bei Faile, und könnte am Schmiedefeuer arbeiten, wo mich niemand mit dem verdammten Titel Lord anredet.
»Ihr Pferd, Lord Perrin. Ihr sagtet nicht, ob ihr Traber oder Steher gesattelt haben wolltet, also habe ich...« Kenly Maerin wich vor Perrins goldäugigem Blick zurück und prallte gegen den kastanienbraunen Hengst, den er herangeführt hatte.
Perrin machte eine beschwichtigende Geste. Es war nicht Kenlys Fehler. Was nicht geheilt werden konnte, mußte ertragen werden. »Ruhig, Junge. Du hast es richtig gemacht. Traber ist vollkommen in Ordnung. Du hast eine gute Wahl getroffen.« Er haßte es, so mit Kenly sprechen zu müssen. Kenly war klein und untersetzt und kaum alt genug, zu heiraten und sein Zuhause zu verlassen - und sicherlich nicht alt genug für den Stoppelbart, den er, Perrin nachfolgend, zu kultivieren versuchte -, aber er hatte in Emondsfeld bereits Trollocs bekämpft und sich auch gestern gut geschlagen. Und jetzt grinste er breit über das von Lord Perrin Goldaugen erhaltene Lob.
Perrin stand auf, nahm seine Streitaxt unter dem Wagen hervor, wo er sie abgelegt hatte - außer Sicht und eine kleine Weile aus dem Sinn - und steckte das Heft durch die Schlaufe an seinem Gürtel. Eine schwere, halbmondförmige Klinge, die von einem dicken, gebogenen Dorn ausbalanciert wurde. Eine Waffe, die nur zum Zweck des Tötens geschaffen worden war. Das Heft der Streitaxt fühlte sich zu vertraut an, um tröstlich zu sein. Erinnerte er sich überhaupt noch daran, wie sich ein guter Schmiedehammer anfühlte? Und es gab auch noch andere Dinge außer ›Lord Perrin‹, die zu ändern es vielleicht zu spät wäre. Ein Freund hatte ihm einmal geraten, die Streitaxt so lange zu behalten, bis er sie gern benutzte. Der Gedanke ließ ihn trotz der Hitze erschaudern.
Er schwang sich in Trabers Sattel und wandte sich nach Süden, zum Wagenkreis. Mindestens eineinhalb Mal so groß wie der größte Aiel, stieg Loial gerade vorsichtig über gekreuzte Wagendeichseln. Da er so groß war, wirkte er, als könnte er die schweren Holzdeichseln mit einem unbedachten Schritt zerbrechen. Der Ogier hielt, wie üblich, ein Buch in der Hand, ein dicker Finger zwischen den Seiten, und die geräumigen Taschen seines langen Umhangs waren von weiteren Büchern ausgebeult. Er hatte den Morgen in einer kleinen Ansammlung von Bäumen verbracht, die er als friedlich und schattig bezeichnete, aber wie schattig auch immer es unter den Bäumen sein mochte - die Hitze machte auch ihm zu schaffen. Er wirkte müde, sein Umhang war geöffnet, das Hemd aufgeschnürt und seine Stiefel bis unter die Knie herabgerollt. Oder vielleicht war es auch mehr als nur die Hitze. Loial blieb mitten im Wagenkreis stehen und betrachtete die Aes Sedai und die Asha'man; seine Pinselohren zitterten unbehaglich. Augen so groß wie Teetassen schwenkten zu den Weisen Frauen, und seine Ohren vibrierten erneut. Ogier konnten gut Stimmungen erspüren.
Als Loial Perrin erblickte, durchschritt er das Lager. Perrin war auch auf dem Pferderücken noch zwei oder drei Handbreit kleiner als der stehende Loial. »Perrin«, flüsterte Loial, »das hier ist alles falsch. Es ist nicht richtig, und es ist außerdem gefährlich«. Es war zumindest für einen Ogier ein Flüstern, obwohl es wie das Summen einer Hummel von der Größe einer Bulldogge klang. Einige der Aes Sedai wandten die Köpfe.
»Könntest du ein wenig lauter sprechen?« fragte Perrin sehr leise. »Ich glaube, jemand in Andor hat es noch nicht gehört. Im Westen von Andor.«