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»Ihr Heer«, höhnte Elaida. Alviarin war eine Närrin! Auch wenn sie sich äußerlich gelassen gab, war sie im Grunde ein Angsthase. Als nächstes würde sie den Unsinn der Sanche-Frau über die freigelassenen Verlorenen hervorbringen. Sie kannte das Geheimnis natürlich nicht, aber genauso gut... »Bauern führen Spieße, Schlachter führen Bogen und Schneider reiten! Und bei jedem vom Weg abweichenden Schritt denken sie an die Leuchtenden Mauern, die Artur Falkenflügel im Zaum hielten.« Nein, kein Hase, ein Wiesel. Und doch wäre sie früher oder später Wieselfellbesatz an Elaidas Umhang. Das Licht vollbringe es bald. »Und bei jedem vom Weg abweichenden Schritt werden sie einen - wenn nicht zehn - Mann verlieren. Ich wäre nicht überrascht, wenn unsere Aufrührerinnen lediglich mit ihren Behütern erschienen.« Zu viele Menschen wußten von der Spaltung der Burg. Aber wenn der Aufstand gebrochen war, konnte alles als List dargestellt werden, vielleicht als Teil der Ergreifung al'Thors. Es wäre eine jahrelange Bemühung, aber Erinnerungen verblaßten mit den Generationen. Jede letzte Aufrührerin würde auf Knien dafür bezahlen.

Elaida ballte die Fäuste, als packe sie bereits alle Aufrührerinnen an der Kehle. Oder Alviarin. »Ich werde sie zerbrechen, Tochter. Sie werden wie eine verfaulte Melone zerspringen.« Ihr Geheimnis stellte das sicher, gleichgültig, an wie viele Bauern und Schneider sich Bryne klammerte, aber sollte die Frau doch glauben, was sie wollte. Plötzlich griff ihr Talent des Vorhersagens, zeigte ihr mit absoluter Sicherheit Dinge, die sie nicht deutlicher hätte erkennen können, wenn sie offen vor ihr ausgelegt worden wären. »Die Weiße Burg wird wieder vollständig sein - bis auf wenige Übrigbleibende, die verstoßen und verachtet werden -, vollständig und stärker denn je. Rand al'Thor wird dem Amyrlin-Sitz gegenüber treten und ihren Zorn erkennen. Die Schwarze Burg wird von Blut und Feuer zerrissen werden, und Schwestern werden dort einhergehen. Das prophezeie ich.«

Wie üblich zitterte sie nach dem Vorhersagen und rang nach Atem. Sie zwang sich, still und aufrecht zu stehen und langsam zu atmen. Sie ließ niemals Schwäche erkennen. Aber Alviarin... Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihre Lippen geteilt, als habe sie die Worte vergessen, die sie hatte aussprechen wollen. Ein Blatt entglitt dem Stapel Papieren in ihren Händen und fiel beinahe herab, bevor sie es auffing. Das brachte sie zu sich. Sie setzte blitzartig wieder ihre Maske der Gelassenheit auf, ein vollkommenes Bild der Aes Sedai-Ruhe, aber sie war eindeutig bis ins Mark erschüttert. Oh, sehr gut. Sollte sie an Elaidas sicherem Sieg zu kauen haben. Sollte sie kauen und sich die Zähne daran ausbeißen.

Elaida atmete tief durch, setzte sich dann wieder hinter ihren Schreibtisch und legte den zerbrochenen Fisch zur Seite, wo sie ihn nicht ansehen mußte. Es war an der Zeit ihren Vorteil zu nutzen. »Wir haben heute zu arbeiten, Tochter. Die erste Nachricht muß Lady Caraline Damodred überbracht werden...«

Elaida legte ihre Pläne dar und erweiterte Alviarins Wissen, weil eine Amyrlin letztendlich durch ihre Behüterin der Chronik wirken mußte, wie sehr sie die Frau auch haßte. Es war eine Genugtuung, Alviarins Augen zu beobachten, ihre Verwunderung darüber zu erkennen, was sie wohl sonst noch alles nicht wußte. Aber während Elaida ihre Befehle erteilte und die Welt zwischen dem Aryth Meer und dem Rückgrat der Welt aufteilte und zuwies, tanzte vor ihrem geistigen Auge das Bild des jungen al'Thor, der wie ein eingesperrter Bär auf dem Weg zu ihr war, um zu lernen, wie er für eine Mahlzeit tanzen sollte.

Die Chronik konnte die Jahre der Letzten Schlacht kaum festhalten, ohne den Wiedergeborenen Drachen zu erwähnen, aber sie wußte, daß ein Name größer geschrieben würde als alle anderen. Elaida do Avriny a'Roihan, jüngste Tochter eines kleineren Hauses im Norden Murandys, die als der größte und mächtigste Amyrlin-Sitz aller Zeiten in die Geschichte eingehen würde. Als die Frau, die die Menschheit rettete.

Die Aiel, die in einer tiefen Senke der niedrigen, mit braunem Gras bewachsenen Hügel standen, wirkten wie geschnitzte Figuren, da sie den durch einen heftigen Wind herangetragenen Staub nicht beachteten. Es störte sie nicht, daß zu dieser Jahreszeit hoher Schnee den Boden hätte bedecken sollen. Niemand von ihnen hatte jemals Schnee gesehen, und diese Bruthitze, obwohl die Sonne ihren Zenit noch nicht erreicht hatte, war weniger stark als dort, wo sie herkamen. Ihre Aufmerksamkeit blieb auf die südliche Anhöhe gerichtet. Sie warteten auf das Zeichen, welches das Eintreffen des Schicksals der Shaido-Aiel ankündigen würde.

Sevanna wirkte äußerlich wie die anderen, obwohl sie durch einen Kreis von Töchtern des Speers um sie herum hervorgehoben wurde, die ruhig auf den Fersen hockten, die dunklen Schleier bereits über die Gesichter gezogen, so daß nur die Augen freiblieben. Sie wartete ebenfalls und ungeduldiger, als sie schien, aber doch nicht so ungeduldig, daß alles andere ausgeschlossen gewesen wäre. Das war ein Grund, warum sie befahl und die anderen folgten. Der zweite Grund war, daß sie erkannte, was sein konnte, wenn man sich nicht von veralteten Bräuchen und starrer Tradition die Hände binden ließ.

Zu ihrer Linken befanden sich zwölf Männer und eine Frau, die jeder einen runden Schild und drei oder vier Kurzspeere trugen und mit dem graubraunen Cadin'sor bekleidet waren, der sich der Landschaft hier genauso gut anpaßte wie im Dreifaltigen Land. Efalin, deren kurze, bereits ergrauende Haare unter der um ihren Kopf gewickelten Shoufa verborgen waren, schaute hin und wieder in Sevannas Richtung. Wenn man von einer Tochter des Speers behaupten konnte, daß sie beunruhigt war, dann galt dies für Efalin. Einige Shaido-Töchter des Speers waren nach Süden gezogen, um sich den um Rand al'Thor herumscharwenzelnden Toren anzuschließen, und Sevanna bezweifelte nicht, daß andere darüber sprachen. Efalin mußte sich fragen, ob es genügte, wenn sie als Ausgleich eine Eskorte von Töchtern des Speers für Sevanna bereitstellte, als wäre sie selbst einst eine Far Dareis Mai gewesen. Zumindest zweifelte Efalin nicht daran, wo die wahre Macht lag.

Wie Efalin führten auch die Männer Shaido-Kriegergemeinschaften, und sie beäugten einander hin und wieder, während sie die Anhöhe beobachteten -besonders der wuchtige Maeric, der ein Seia Doon war, und der narbengesichtige Bendhuin von Far Aldazar Din. Nach den heutigen Ereignissen würde die Shaido nichts mehr davon abhalten, einen Mann nach Rhuidean zu schicken, der zum Clanhäuptling erklärt würde, wenn er überlebte. Bis das geschah, sprach Sevanna als Clanhäuptling, da sie die Witwe des letzten Häuptlings war. Der letzten beiden Häuptlinge. Sollten doch diejenigen, die murrten, sie bringe Pech, daran ersticken.

Goldene und elfenbeinerne Armreife klangen leise, als Sevanna die dunkle Stola um ihre Arme und ihre Halsketten richtete. Auch letztere waren überwiegend aus Gold und Elfenbein, nur eine Kette bestand aus einer Ansammlung von Perlen und Rubinen, die einer adligen Feuchtländerin gehört hatten - der Frau, die jetzt Weiß trug und die anderen Gai'shain zurück in die ›Brudermörders Dolch‹ genannten Berge brachte. Einer der Rubine von der Größe eines kleinen Hühnereis schmiegte sich zwischen ihre Brüste. Die Feuchtlande hielten reiche Beute bereit. Ein großer Smaragd an ihrem Ring fing das Sonnenlicht in grünem Feuer ein. Fingerringe waren einer der Bräuche der Feuchtländer, die es wert waren, sie sich zu eigen zu machen, ungeachtet der häufig auf sie abzielenden Blicke. Sie besäße noch mehr Ringe, wenn sie diesem in seiner Pracht entsprächen.

Die meisten Männer glaubten, daß Maeric oder Bendhuin als erster die Erlaubnis der Weisen Frauen erhielte, sich nach Rhuidean durchzuschlagen. Von dieser Gruppe vermutete nur Efalin, daß niemand die Erlaubnis bekäme. Aber sie war klug genug, ihre Vermutung vorsichtshalber nur Sevanna und niemandem sonst gegenüber auszusprechen. Sie konnten sich nicht vorstellen, das Alte abzulegen, und tatsächlich war sich Sevanna bewußt, auch wenn sie das Neue ungeduldig annehmen wollte, daß sie die Weisen Frauen langsam darauf hinführen mußte. Vieles Hergebrachte hatte sich bereits geändert, seit die Shaido die Drachenmauer in die Feuchtlande überquert hatten - die im Vergleich zum Dreifaltigen Land noch immer fruchtbar waren -, und dennoch würde sich noch mehr ändern. Wäre Rand al'Thor erst in ihrer Hand, und hätte sie den Car'a'carn erst geheiratet, den Häuptling aller Aielhäuptlinge - dieser Unsinn vom Wiedergeborenen Drachen war Feuchtländer-Geschwätz -, würden Clanhäuptlinge und auch Septimenhäuptlinge und vielleicht sogar die Oberhäupter der Kriegergemeinschaften auf andere Art benannt. Rand al'Thor würde sie benennen - natürlich nach ihren Anweisungen. Und das wäre erst der Anfang. Beispielsweise würde sich auch die Vorstellung der Feuchtländer ändern, den Rang an die Kinder und Enkel weiterzugeben.