Im Immobiliengeschäft kommt der Endowment-Effekt deutlich zum Tragen. Der Verkäufer schätzt den Wert seines Hauses systematisch höher ein als der Markt. Der Marktpreis erscheint dem Hausbesitzer oft unfair, ja, eine Frechheit – weil er eine emotionale Bindung zu seinem Haus hat. Diesen emotionalen Mehrwert soll ein etwaiger Käufer mitbezahlen – was natürlich absurd ist.
Charlie Munger, die rechte Hand von Warren Buffett, kennt den Endowment-Effekt aus eigener Erfahrung. In jungen Jahren wurde ihm ein außerordentlich lukratives Investment angeboten. Leider war er zu jenem Zeitpunkt voll investiert, hatte also keine flüssigen Mittel zur Hand. Er hätte eine seiner Beteiligungen verkaufen müssen, um das neue Investment einzugehen, doch er tat es nicht. Der Endowment-Effekt hielt ihn zurück. So ließ sich Munger einen schönen Gewinn von über fünf Millionen Dollar entgehen, nur weil er sich nicht von einer einzigen Anlage trennen konnte.
Loslassen fällt uns offenbar schwerer als anhäufen. Das erklärt nicht nur, weshalb wir unseren Haushalt mit Ramsch zumüllen, sondern auch, warum Liebhaber von Briefmarken, Uhren oder Kunst so selten tauschen oder verkaufen.
Erstaunlicherweise verhext der Endowment-Effekt nicht nur den Besitz, sondern sogar schon den Fast-Besitz. Auktionshäuser wie Christie’s und Sotheby’s leben davon. Wer bis zuletzt mitbietet, hat das Gefühl, ihm gehöre das Kunstwerk schon (fast). Entsprechend hat das Objekt der Begierde für den Käufer in spe an Wert gewonnen. Er ist plötzlich bereit, einen höheren Preis zu bezahlen als jenen, den er sich vorgenommen hat. Der Ausstieg aus dem Bieterwettkampf wird als Verlust empfunden – gegen jede Vernunft. Bei großen Auktionen, zum Beispiel von Schürfrechten oder Mobilfunkfrequenzen, kommt es daher oft zum Winner’s Curse: Der Gewinner einer Auktion entpuppt sich als ökonomischer Verlierer, weil er überboten hat. Mehr zum Winner’s Curse in einem anderen Kapitel.
Wenn Sie sich um einen Job bewerben und ihn nicht bekommen, haben Sie allen Grund, enttäuscht zu sein. Wenn Sie wissen, dass Sie es bis zur Endausscheidung geschafft haben und dann die Absage erhalten, ist die Enttäuschung noch viel größer – unberechtigterweise. Denn entweder haben Sie den Job bekommen oder nicht, alles andere sollte keine Rolle spielen. Fazit: Klammern Sie sich nicht an die Dinge. Betrachten Sie Ihren Besitz als etwas, das Ihnen das »Universum« provisorisch überlassen hat – wohl wissend, dass es Ihnen alles jederzeit wieder wegnehmen kann.
Die Notwendigkeit unwahrscheinlicher Ereignisse
Am 1. März 1950, um Viertel nach sieben, sollten sich die 15 Mitglieder des Kirchenchors von Beatrice in Nebraska zur Probe treffen. Aus verschiedenen Gründen waren sie alle verspätet. Die Familie des Pfarrers war spät dran, weil die Frau noch das Kleid der Tochter bügeln musste; ein Ehepaar war unpünktlich, weil der Motor ihres Wagens nicht starten wollte; der Pianist wollte eigentlich eine halbe Stunde vorher dort sein, aber er schlief nach dem Abendessen ein, und so weiter. Um 19.25 Uhr explodierte die Kirche. Der Knall war im ganzen Dorf zu hören. Die Wände flogen heraus, und das Dach krachte auf der Stelle zusammen. Wie durch ein Wunder kam dabei niemand ums Leben. Der Feuerwehrkommandant führte die Explosion auf ein Gasleck zurück. Doch die Mitglieder des Chors waren überzeugt, ein Zeichen Gottes empfangen zu haben. Gottes Hand oder Zufall?
Aus irgendeinem Grund musste ich letzte Woche an meinen ehemaligen Schulkollegen Andreas denken, mit dem ich längere Zeit keinen Kontakt mehr gehabt hatte. Plötzlich klingelte das Telefon. Just dieser Andreas war dran. »Das muss Telepathie sein!«, rief ich in einem Anflug von Begeisterung. Telepathie oder Zufall?
Am 5. Oktober 1990 berichtete der San Francisco Examiner, dass die Firma Intel den Konkurrenten AMD verklagen würde. Intel fand heraus, dass AMD einen Computerchip mit dem Namen AM386 zu lancieren plante, eine Bezeichnung, deren Anlehnung an Intels 386 offensichtlich war. Interessant ist, wie Intel darauf stieß: Zufälligerweise hatten beide Firmen jemanden angestellt, der Mike Webb hieß. Beide Mike Webbs checkten am gleichen Tag in das gleiche Hotel in Kalifornien ein. Nachdem die beiden Männer wieder ausgecheckt hatten, nahm das Hotel ein Paket für einen Mike Webb in Empfang. Das Paket, das vertrauliche Unterlagen zum AM386-Chip enthielt, wurde vom Hotel fälschlicherweise an Mike Webb von Intel geschickt, der die Inhalte umgehend an Intels Rechtsabteilung weiterleitete.
Wie wahrscheinlich sind solche Geschichten? Der Schweizer Psychiater C. G. Jung sah darin das Wirken einer unbekannten Kraft, die er Synchronizität nannte. Wie geht ein klar Denkender an solche Geschichten heran? Am besten mit einem Blatt Papier und einem Bleistift. Nehmen wir den ersten Fall, die Explosion der Kirche. Zeichnen Sie vier Felder für die vier möglichen Kombinationen. Das erste Feld ist der dargestellte Falclass="underline" »Chor verspätet und Kirche explodiert«. Aber es gibt noch drei andere Kombinationsmöglichkeiten: »Chor verspätet und Kirche explodiert nicht«, »Chor nicht verspätet und Kirche explodiert« und »Chor nicht verspätet und Kirche explodiert nicht«. Schreiben Sie die geschätzten Häufigkeiten in die Felder. Denken Sie daran, wie oft nur schon der letzte Fall passiert: Täglich, in Millionen von Kirchen, probt ein Chor zur abgemachten Zeit, und die Kirche explodiert nicht. Plötzlich hat die Geschichte mit der Explosion nichts Unvorstellbares mehr. Im Gegenteil, es wäre unwahrscheinlich, wenn es bei Abermillionen von Kirchen nicht einmal im Jahrhundert zu einem solchen Ereignis käme. Also keine Hand Gottes. Nebenbei: Warum auch sollte Gott eine Kirche in die Luft sprengen wollen? Was für eine idiotische Art von einem Gott, so zu kommunizieren!
Dasselbe beim Telefonanruf. Halten Sie sich die vielen Situationen vor Augen, in denen Andreas an Sie denkt und nicht anruft; in denen Sie an Andreas denken und er nicht anruft, in denen er anruft und Sie nicht an ihn gedacht haben; in denen Sie anrufen und er nicht an Sie gedacht hat; und an die fast unendlich vielen Momente, in denen Sie nicht an ihn denken und er nicht anruft. Da Menschen etwa 90 % ihrer Zeit an Menschen denken, wäre es unwahrscheinlich, wenn es nie passieren würde, dass zwei Menschen aneinander denken und einer davon auch noch zum Hörer greift. Hinzu kommt, dass es nicht Andreas sein muss. Wenn Sie noch 100 andere Bekannte haben, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit um den Faktor 100.
Fazit: Unwahrscheinliche Zufälle sind eben gerade das: zwar seltene, aber durchaus mögliche Ereignisse. Es ist nicht überraschend, wenn sie vorkommen. Überraschender wäre es, wenn sie nie stattfänden.
Warum Konsens gefährlich sein kann
Haben Sie schon mal an einem Meeting Ihre Meinung zurückgehalten? Bestimmt. Man sagt nichts, nickt den Anträgen zu, schließlich will man nicht der (ewige) Störenfried sein. Außerdem ist man seiner abweichenden Meinung vielleicht doch nicht ganz sicher, und die anderen in ihrer einhelligen Meinung sind ja auch nicht blöd. Also hält man still. Wenn alle so handeln, tritt Groupthink (Gruppendenken) ein: Eine Gruppe von intelligenten Menschen trifft idiotische Entscheidungen, weil jeder seine Meinung dem vermeintlichen Konsens anpasst. So kommen Entscheidungen zustande, die jedes einzelne Gruppenmitglied unter normalen Umständen abgelehnt hätte. Groupthink ist ein Spezialfall von Social Proof, einem Denkfehler, den wir in einem früheren Kapitel behandelt haben.
Im März 1960 begann der amerikanische Geheimdienst, antikommunistische Exilkubaner zu organisieren, um sie gegen Fidel Castros Regime einzusetzen. Zwei Tage nach dem Amtsantritt im Januar 1961 wurde Präsident Kennedy vom Geheimdienst über den Geheimplan zur Invasion Kubas informiert. Anfang April 1961 fand das entscheidende Treffen im Weißen Haus statt. Kennedy und alle seine Berater gaben dem Einmarschplan ihre Zustimmung. Am 17. April 1961 landete eine Brigade von 1.400 Exilkubanern mithilfe der US Navy, der Air Force und der CIA in der »Schweinebucht« an der Südküste Kubas. Zieclass="underline" Fidel Castros Regierung zu stürzen. Nichts funktionierte wie geplant. Am ersten Tag erreichte kein einziges Schiff die Küste mit Nachschub. Die ersten zwei wurden von der kubanischen Luftwaffe versenkt, die nächsten zwei kehrten um und flohen. Schon einen Tag später war die Brigade von Castros Armee komplett umstellt. Am dritten Tag wurden die 1.200 überlebenden Kämpfer abgeführt und in Kriegsgefängnisse gesteckt.