Überraschend ist nicht, dass die individuelle Leistung zurückgeht, je mehr Leute an einem Strick ziehen. Überraschend ist, dass sie nicht auf null fällt. Warum nicht totales Faulenzen? Weil die Nullleistung auffallen würde – mit allen Konsequenzen wie Ausschluss aus der Gruppe oder Rufschädigung. Wir haben ein feines Gespür entwickelt, bis zu welchem Grad das Faulenzen unsichtbar bleibt.
Social Loafing kommt nicht nur bei körperlichen Leistungen vor. Auch geistig faulenzen wir, zum Beispiel in Sitzungen. Je größer das Team, desto schwächer unsere individuelle Beteiligung – wobei die Leistung bei einer gewissen Gruppengröße ein Niveau erreicht, ab der sie nicht weiter sinkt. Ob die Gruppe aus 20 oder 100 Leuten besteht, spielt keine Rolle mehr, der maximale Faulenzgrad ist erreicht.
So weit, so klar. Woher aber kommt die seit vielen Jahren wiederholte Behauptung, Teams seien besser als Einzelkämpfer? Vielleicht aus Japan. Die Japaner überfluteten vor 30 Jahren die Weltmärkte mit ihren Produkten. Betriebswirte schauten sich das Industriewunder genauer an und sahen: Japanische Fabriken waren in Teams organisiert. Genau dieses Modell kopierte man – mit gemischtem Erfolg. Was in Japan ganz gut funktionierte (meine These: Social Loafing kommt dort kaum vor), war mit den andersdenkenden Amerikanern und Europäern nicht in dem Ausmaß wiederholbar. Teams sind zumindest hierzulande nachweislich besser, wenn sie aus möglichst unterschiedlichen, spezialisierten Menschen bestehen. Macht Sinn, denn bei solchen Gruppen können die einzelnen Leistungen auf die Spezialisten zurückgeführt werden.
Social Loafing hat interessante Auswirkungen. In Gruppen halten wir uns nicht nur mit unseren Leistungen zurück, sondern auch mit Verantwortung. Niemand will schuld an den schlechten Ergebnissen sein. Ein krasses Beispiel waren die Nürnberger Prozesse gegen die Nazis, weniger brisante gibt es in jedem Aufsichtsrat oder Managementteam. Man versteckt sich hinter den Beschlüssen der Gruppe. Der Fachbegriff dafür lautet Verantwortungsdiffusion.
Aus demselben Grund tendieren Gruppen dazu, höhere Risiken einzugehen als Einzelpersonen. Diesen Effekt nennt man Risky Shift, also eine Verlagerung hin zum Risiko. Gruppendiskussionen führen nachweislich dazu, dass riskantere Entscheidungen beschlossen werden, als die Personen allein für sich gefällt hätten. »Ich trage ja nicht die ganze Schuld, wenn es schiefgeht.« Gefährlich ist der Risky Shift bei Strategieteams von Firmen und Pensionskassen, wo es um Milliarden geht, oder in der Armee, wo Teams über den Einsatz von Atomwaffen entscheiden.
Fazit: Menschen verhalten sich anders in Gruppen, als wenn sie allein sind (sonst gäbe es keine Gruppen). Die Nachteile von Gruppen lassen sich entschärfen, indem wir die individuellen Leistungen möglichst sichtbar machen. Es lebe die Meritokratie, es lebe die Leistungsgesellschaft!
Warum ein gefaltetes Blatt unser Denken übersteigt
Ein Stück Papier wird in der Mitte gefaltet, dann wieder in der Mitte gefaltet und wieder und wieder. Wie dick wird es nach 50-mal falten, sein? Schreiben Sie Ihre Schätzung auf, bevor Sie weiterlesen.
Zweite Frage. Sie dürfen wählen: A) In den nächsten 30 Tagen schenke ich Ihnen jeden Tag 1.000 Euro. B) In den nächsten 30 Tagen schenke ich Ihnen am ersten Tag einen Cent, am zweiten Tag zwei Cent, am dritten Tag vier Cent, am vierten Tag acht und so weiter. Entscheiden Sie, ohne lang zu rechnen: A oder B.
Sind Sie so weit? Also gut: Wenn wir annehmen, dass ein Blatt Papier ein Zehntelmillimeter dünn ist, dann beträgt seine Dicke nach 50 Faltungen 100 Millionen Kilometer. Das entspricht etwa der Distanz Erde–Sonne, wie Sie mit einem Taschenrechner leicht nachrechnen können. Bei der zweiten Frage lohnt es sich, auf Antwort B zu setzen, auch wenn A verlockender klingt. Wählen Sie A, haben Sie nach 30 Tagen 30.000 Euro verdient, bei Antwort B über zehn Millionen.
Lineares Wachstum verstehen wir intuitiv. Doch wir haben kein Gefühl für exponentielles (oder prozentuales) Wachstum. Warum nicht? Weil die evolutionäre Vergangenheit uns nicht darauf vorbereitet hat. Die Erfahrungen unserer Vorfahren waren größtenteils linearer Art. Wer doppelt so viel Zeit aufs Sammeln investierte, brachte die doppelte Menge Beeren ein. Wer gleich zwei Mammuts über den Abgrund jagte statt nur eines, zehrte doppelt so lange davon. Es gibt kaum ein Beispiel aus der Steinzeit, wo Menschen exponentiellem Wachstum begegnet wären. Heute ist das anders.
Ein Politiker sagt: »Die Anzahl der Verkehrsunfälle steigt jedes Jahr um 7 %.« Seien wir ehrlich, intuitiv verstehen wir das nicht. Wenden Sie deshalb einen Trick an: Berechnen Sie die Verdopplungszeit. Teilen Sie die Zahl 70 durch die Wachstumsrate in Prozent. Im besagten Fall der Verkehrsunfälle: 70 : 7 = 10 Jahre. Was der Politiker also sagt: »Die Anzahl der Verkehrsunfälle verdoppelt sich alle zehn Jahre.« Ziemlich alarmierend.
Ein anderes Beispieclass="underline" »Die Teuerung beträgt 5 %.« Wer das hört, denkt: »Nicht so schlimm, was sind schon 5 %?« Berechnen wir schnell die Verdopplungszeit: 70 : 5 = 14 Jahre. In 14 Jahren wird ein Euro nur noch die Hälfte wert sein – ein Skandal für alle, die ein Sparkonto besitzen.
Angenommen, Sie sind Journalist und bekommen eine Statistik zugespielt, wonach die Anzahl der registrierten Hunde in Ihrer Stadt um 10 % pro Jahr wächst. Welche Schlagzeile setzen Sie über Ihren Artikel? Sicher nicht »Hundezulassungen um 10 % gestiegen«. Das interessiert niemanden. Sondern: »Hundeschwemme: Doppelt so viele Köter in nur sieben Jahren!«
Nichts, was prozentual wächst, wächst ewig – auch das vergessen die meisten Politiker, Ökonomen und Journalisten. Jedes exponentielle Wachstum kommt irgendwann an eine Grenze – garantiert. Das Darmbakterium Escherichia Coli teilt sich alle 20 Minuten. In wenigen Tagen hätte es die ganze Erde überzogen. Doch es wird mehr Sauerstoff und Zucker verbrauchen, als neuer zugeführt wird, was die Population bald in ihrem Wachstum bremsen würde.
Dass unser Hirn Mühe mit prozentualem Wachstum hat, war schon im alten Persien bekannt. Von dort stammt dieses Märchen: Es war einmal ein kluger Höfling, der seinem König ein Schachbrett schenkte. Der König fragte ihn: »Sage mir, wie ich dich zum Dank belohnen kann.« »Nichts weiter will ich, edler Gebieter, als dass Ihr das Schachbrett mit Reis auffüllen möget. Legt ein Reiskorn auf das erste Feld, und dann auf jedes weitere Feld stets die doppelte Anzahl an Körnern. Also zwei Reiskörner auf das zweite Feld, vier Reiskörner auf das dritte und so fort.« Der König war erstaunt: »Es ehrt dich, lieber Höfling, dass du einen so bescheidenen Wunsch äußerst.« Wie viel Reis ist das? Der König dachte wohl an ein Säckchen. In Wahrheit hätte er mehr Reis gebraucht, als auf der Erde wächst.
Fazit: Wenn es um Wachstumsraten geht, vertrauen Sie nicht auf Ihr Gefühl. Sie haben keines – akzeptieren Sie das. Was Ihnen wirklich hilft, ist der Taschenrechner, oder, bei kleinen Wachstumsraten, der Trick mit der Verdopplungszeit.
Wie viel würden Sie für einen Euro bezahlen?
Texas, in den 50er-Jahren. Ein Stück Land wird versteigert. Zehn Ölfirmen bieten mit. Jede hat ihre eigene Schätzung gemacht, wie viel Öl das Grundstück enthält. Die tiefste Schätzung liegt bei zehn Millionen Dollar, die höchste bei 100 Millionen Dollar. Je höher der Preis während der Auktion klettert, desto mehr Firmen verabschieden sich aus dem Bieterwettkampf. Schließlich bekommt die Firma mit dem höchsten Angebot den Zuschlag. Sie ist übrig geblieben, hat gewonnen. Champagnerkorken knallen.
The Winner’s Curse (deutsch: der Fluch des Gewinners) besagt: Der Gewinner einer Auktion ist meistens der eigentliche Verlierer. Industrieanalysten stellten fest, dass die Firmen, die regelmäßig als Gewinner aus den Ölfeldauktionen hervorgingen, systematisch zu viel bezahlten und Jahre später daran zugrunde gingen. Das ist nachvollziehbar. Wenn die Schätzungen zwischen zehn und 100 Millionen variieren, wird der wirkliche Wert wahrscheinlich irgendwo dazwischen liegen. Das höchste Angebot ist bei Auktionen oft systematisch zu hoch – es sei denn, dieser Bieter hätte einen Informationsvorsprung. Das war damals in Texas nicht der Fall. Die Ölmanager feierten in Wahrheit einen Pyrrhussieg.