Выбрать главу

Was ist prognostizierbar, was nicht? Ich werde mich bei der Vorhersage meines Körpergewichts in einem Jahr nicht groß verschätzen. Je komplexer ein System und je länger der Zeithorizont, desto verschwommener wird der Blick in die Zukunft. Klimaerwärmung, Ölpreis oder Wechselkurse sind fast unmöglich vorherzusagen. Erfindungen sind überhaupt nicht zu prognostizieren. Wüssten wir, welche Technologien uns dereinst beglücken werden, wären sie ja schon in diesem Moment erfunden.

Fazit: Seien Sie Prognosen gegenüber kritisch. Ich habe mir dazu einen Reflex antrainiert – ich schmunzle zuerst mal über jede Vorhersage, egal wie düster sie sein mag. Damit nehme ich ihr die Wichtigkeit. Anschließend stelle ich mir zwei Fragen. Erstens, welches Anreizsystem hat der Experte? Ist er Angestellter, könnte er seinen Job verlieren, wenn er ständig danebenliegt? Oder handelt es sich um einen selbst ernannten Trendguru, der sein Einkommen über Bücher und Vorträge generiert? Dieser ist auf die Aufmerksamkeit der Medien angewiesen. Seine Prognosen werden entsprechend sensationell ausfallen. Zweitens, wie gut ist die Trefferquote des Experten oder Gurus? Wie viele Prognosen hat er in den letzten fünf Jahren abgegeben? Wie viele davon haben sich bewahrheitet, wie viele nicht? Mein Wunsch an die Medien: Bitte veröffentlicht keine Prognosen mehr, ohne den Leistungsausweis des vermeintlichen Auguren anzugeben.

Zum Schluss, weil so treffend, ein Zitat von Tony Blair: »Ich mache keine Vorhersagen. Ich habe nie, und ich werde nie.«

THE CONJUNCTION FALLACY

Warum plausible Geschichten verführen können

Klaus ist 35. Er hat Philosophie studiert und sich seit dem Gymnasium mit Dritte-Welt-Themen auseinandergesetzt. Nach dem Studium arbeitete er zwei Jahre lang beim Roten Kreuz in Westafrika und dann drei Jahre im Genfer Hauptsitz, wo er zum Abteilungsleiter aufstieg. Anschließend machte er den MBA und schrieb seine Diplomarbeit über »Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung«. Frage: Was ist wahrscheinlicher? A) »Klaus arbeitet für eine Großbank.« B) »Klaus arbeitet für eine Großbank und ist dort zuständig für die bankeigene Dritte-Welt-Stiftung.« A oder B?

Wenn Sie so ticken wie die meisten Menschen, werden Sie auf B tippen. Leider die falsche Antwort, denn Antwort B beinhaltet nicht nur, dass Klaus bei einer Großbank arbeitet, sondern dass eine zusätzliche Bedingung erfüllt ist. Nun ist aber die Anzahl Menschen, die Banker sind und für eine bankeigene Dritte-Welt-Stiftung arbeiten, eine winzige Teilmenge jener Menschen, die bei einer Bank arbeiten. Darum ist Antwort A viel wahrscheinlicher. Dass Ihnen vielleicht trotzdem B wahrscheinlicher schien, liegt an der Conjunction Fallacy. Dieser Denkfehler, für den es bislang kein deutsches Pendant gibt, wurde vom Nobelpreisträger Daniel Kahneman und Amos Tversky erforscht.

Warum fallen wir auf die Conjunction Fallacy herein? Weil wir ein intuitives Verständnis für »stimmige« oder »plausible« Geschichten haben. Je überzeugender, eindrücklicher, plastischer uns der Entwicklungshelfer Klaus geschildert wird, desto größer die Gefahr des Denkfehlers. Wenn ich Sie so gefragt hätte: »Klaus ist 35. Was ist wahrscheinlicher? A) Klaus arbeitet für eine Bank. B) Klaus arbeitet für eine Bank in Frankfurt auf der 24. Etage im Büro Nummer 57«, dann wären Sie nicht hereingefallen.

Hier ein weiteres Beispieclass="underline" Was ist wahrscheinlicher? A) »Der Flughafen Frankfurt ist geschlossen. Die Flüge wurden annulliert.« B) »Der Flughafen Frankfurt wurde wegen schlechten Wetters geschlossen. Die Flüge wurden annulliert.« A oder B? Diesmal liegen Sie bestimmt richtig: A ist wahrscheinlicher, denn B beinhaltet, dass eine zusätzliche Bedingung erfüllt ist, nämlich schlechtes Wetter. Es könnte ja auch sein, dass der Flughafen wegen Bombendrohung, Unfall oder Streik geschlossen wurde. Nur kommen uns diese Dinge angesichts einer »plausiblen« Geschichte nicht in den Sinn, zumindest, wenn wir nicht – wie Sie jetzt – dafür sensibilisiert sind. Machen Sie diesen Test mit Ihren Freunden. Sie werden sehen, die meisten tippen auf B.

Selbst Experten sind vor der Conjunction Fallacy nicht gefeit. An einem internationalen Kongress für Zukunftsforschung im Jahr 1982 wurden die Fachleute – allesamt Akademiker – in zwei Gruppen aufgeteilt. Der Gruppe A tischte Daniel Kahneman folgendes Szenario für das Jahr 1983 auf: »Der Ölverbrauch sinkt um 30 %.« Der Gruppe B legte er dieses Szenario vor: »Der dramatische Anstieg des Ölpreises führt zu einer Reduktion des Ölverbrauchs um 30 %.« Die Teilnehmer hatten anzugeben, wie wahrscheinlich sie »ihr« Szenario einschätzten. Das Ergebnis war eindeutig: Gruppe B glaubte viel stärker an die ihr vorgelegte Prognose als Gruppe A.

Kahneman geht davon aus, dass es zwei Arten des Denkens gibt: zum einen das intuitive, automatische, unmittelbare Denken. Zum anderen das bewusste, rationale, langsame, mühsame, logische Denken. Leider zieht das intuitive Denken Schlüsse, lange bevor das bewusste Denken in Fahrt kommt. So ging es mir zum Beispiel nach dem Attentat auf das World Trade Center vom 11. September 2001, als ich eine Reiseversicherung abschließen wollte. Eine clevere Firma machte sich die Conjunction Fallacy zunutze und bot eine spezielle »Terrorismusversicherung« an. Obwohl die anderen Versicherungen damals gegen alle möglichen Gründe von Reiseausfällen schützten (Terrorismus inbegriffen), fiel ich auf das Angebot herein. Der Gipfel meiner Idiotie war, dass ich sogar bereit war, mehr für die spezialisierte Versicherung zu bezahlen als für eine ganz normale Reiseversicherung, die den Fall auch abgedeckt hätte.

Fazit: Vergessen Sie das Modethema »linke und rechte Gehirnhälfte«. Viel wichtiger ist der Unterschied zwischen dem intuitiven und dem bewussten Denken. Das intuitive Denken hat ein Faible für plausible Geschichten. Bei wichtigen Entscheidungen tun Sie gut daran, ihnen nicht zu folgen.

FRAMING

C’est le ton qui fait la musique

»He, der Abfalleimer ist voll!« Oder: »Schatz, es wäre furchtbar lieb, wenn du noch schnell den Abfalleimer leeren könntest.« C’est le ton qui fait la musique – der Ton macht die Musik. Der gleiche Sachverhalt, so oder so dargestellt, kommt ganz unterschiedlich an. Im Psychologenjargon spricht man von Framing.

Framing (deutsch: einrahmen, man spricht auch vom Rahmeneffekt) bedeutet: Auf die genau gleiche Sachlage reagieren wir unterschiedlich, je nachdem, wie sie dargestellt wird. Daniel Kahneman, der 2002 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, und sein Kollege Amos Tversky führten in den 1980er-Jahren eine Befragung durch, bei der sie zwei Optionen einer Seuchenbekämpfungsstrategie präsentierten. Das Leben von 600 Personen stand auf dem Spiel. »Option A rettet 200 Personen das Leben.« »Option B bewirkt mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel, dass alle 600 Personen gerettet werden, und mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, dass niemand gerettet wird.« Obwohl die Optionen A und B gleichwertig sind (der Erwartungswert liegt bei 200 Geretteten), wählte die Mehrheit aller Befragten Option A – frei nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. So richtig interessant wurde es, als genau dieselben Optionen einfach anderes formuliert wurden: »Option A tötet 400 Personen.« »Option B bewirkt mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel, dass niemand stirbt, und mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, dass alle 600 Personen sterben.« Jetzt wählte nur noch eine kleine Minderheit der Befragten A und die Mehrheit B. Also gerade umgekehrt als bei der ersten Befragung. Je nach sprachlicher Darstellung – retten vs. sterben – trafen die Befragten ganz andere Entscheidungen für den identischen Sachverhalt.