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THE HEDONIC TREADMILL

Warum Sie Ihren Arbeitsweg kurz halten sollten

Angenommen, eines Tages klingelt Ihr Telefon: Man teilt Ihnen mit, dass Sie zehn Millionen im Lotto gewonnen haben. Wie werden Sie sich fühlen, und wie lange werden Sie sich so fühlen? Anderes Szenario: Ihr Telefon klingelt, und man teilt Ihnen mit, dass Ihr bester Freund gestorben ist. Wie werden Sie sich fühlen, und wie lange werden Sie sich so fühlen?

In einem früheren Kapitel haben wir die miserable Qualität von Prognosen – in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – untersucht und stellten fest: Experten arbeiten nicht besser als ein Zufallsgenerator. Wie gut sind wir im Prognostizieren unserer eigenen Gefühle? Wird der Lottogewinn von zehn Millionen Sie viele Jahre lang sehr glücklich machen? Der Harvard-Psychologe Dan Gilbert hat Lottogewinner untersucht und festgestellt, dass der Happiness-Effekt nach durchschnittlich drei Monaten verpufft. Drei Monate nach der großen Banküberweisung werden Sie so glücklich oder unglücklich sein wie zuvor.

Ein Freund, Manager bei einer Bank, und allein aufgrund dieses Umstands mit unanständig viel Einkommen gesegnet, entschloss sich, aus der Stadt wegzuziehen und ein Haus außerhalb von Zürich zu bauen. Aus seinem Traum wurde eine Villa mit zehn Zimmern, Schwimmbad und einer beneidenswerten Aussicht auf See und Berge. In den ersten Wochen strahlte er vor Glück. Doch schon bald war kein Überschwang mehr zu erkennen, und sechs Monate später war er unglücklicher als je zuvor. Was war passiert? Der Happiness-Effekt war nach drei Monaten verpufft, die Villa nichts Besonderes mehr. »Ich komme von der Arbeit nach Hause, stoße die Tür auf und realisiere gar nicht mehr, was für ein Haus das ist. Meine Gefühle unterscheiden sich in nichts von jenen, die ich als Student beim Betreten meiner Einzimmerwohnung hatte.« Gleichzeitig aber kämpfte der arme Kerl jetzt mit einem Arbeitsweg von durchschnittlich 50 Minuten. Studien belegen, dass Pendeln mit dem Auto am meisten Unzufriedenheit auslöst und man sich kaum daran gewöhnt. Wer keine angeborene Affinität für den Pendelverkehr hat, wird täglich daran leiden. Wie auch immer: Der Nettoeffekt der Villa auf die Glückseligkeit meines Freundes war jedenfalls negativ.

Anderen geht es nicht besser: Menschen, die einen Karriereschritt geschafft haben, sind nach durchschnittlich drei Monaten wieder so glücklich oder unglücklich wie zuvor. Dasselbe bei jenen, die immer den neuesten Porsche haben müssen. Die Wissenschaft nennt diesen Effekt Hedonic Treadmill (auf Deutsch etwa: Zufriedenheits-Hamsterrad): Wir arbeiten und steigen auf und leisten uns mehr und schönere Dinge, und doch werden wir nicht glücklicher.

Wie sieht es bei negativen Schicksalen aus – zum Beispiel bei einer Querschnittslähmung oder dem Verlust eines Freundes? Auch hier überschätzen wir systematisch die Länge und Intensität zukünftiger Emotionen. Wenn eine Liebe in Brüche geht, bricht die Welt zusammen. Die Gepeinigten sind zutiefst überzeugt, nie mehr auch nur einen Hauch von Glückseligkeit zu verspüren – doch nach durchschnittlich drei Monaten lachen sie wieder.

Wäre es nicht schön, wir wüssten genau, wie glücklich uns ein neues Auto, eine neue Karriere, eine neue Beziehung machen würde? Dann könnten wir klarer entscheiden und würden nicht mehr ständig im Dunkeln tappen. Ja, schön wäre es, und in Ansätzen möglich. Hier die wenigen wissenschaftlich gesicherten Tipps: 1) Vermeiden Sie negative Effekte, an die man sich auch nach langer Zeit nicht gewöhnt: Pendelverkehr, Lärm, chronischen Stress. 2) Erwarten Sie nur einen kurzfristigen Effekt von materiellen Dingen – Autos, Häuser, Boni, Lottogewinne, Goldmedaillen. 3) Dauerhafte positive Effekte haben vorwiegend damit zu tun, wie Sie Ihre Zeit verbringen. Sorgen Sie für möglichst viel Freizeit und Autonomie. Tun Sie, was Ihrer Passion am nächsten kommt – auch wenn Sie einen Teil Ihres Einkommens einbüßen. Investieren Sie in Freundschaften. Bei Frauen haben Brustimplantate einen dauerhaften Happiness-Effekt, bei Männern ist es der berufliche Status – allerdings nur, solange der Mann nicht gleichzeitig die Vergleichsgruppe wechselt. Wenn Sie also zum CEO aufsteigen und sich dann nur noch mit anderen CEOs unterhalten, verpufft der Effekt.

THE SELF-SELECTION BIAS

Staunen Sie nicht, dass es Sie gibt

Unterwegs auf der A5 von Basel nach Frankfurt geriet ich in einen Stau. »Warum zum Teufel immer ich?«, fluchte ich und blickte auf die Gegenfahrbahn, wo die Autos mit beneidenswerter Geschwindigkeit südwärts zogen. Während ich eine Stunde lang im Schneckentempo zwischen Leerlauf und erstem Gang hin und her schaltete, und mein Knie vom Kuppeln müde wurde, fragte ich mich, ob ich wirklich so ein außergewöhnlich armer Kerl sei. Stehe ich tatsächlich meistens just an den Schaltern (Bank, Post, Einkaufsladen), wo es kaum vorwärtsgeht? Oder erliege ich einer Täuschung? Angenommen, zwischen Basel und Frankfurt entwickelt sich in 10 % aller Zeit ein Stau. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich an einem bestimmten Tag stecken bleibe, ist nicht größer als die Wahrscheinlichkeit, mit denen diese Staus eben auftreten, also 10 %. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass ich zu einem bestimmten Zeitpunkt meiner Fahrt tatsächlich im Stau stecke, ist größer als 10 %. Der Grund: Weil ich mich im Stau nur kriechend fortbewege, verbringe ich überproportional viel Zeit im Stau. Hinzu kommt: Wenn der Verkehr zügig fließt, verschwende ich keine Gedanken darauf. In dem Moment, wo ich aber drinstecke, fällt mir der Stau auf.

Dasselbe gilt für das Schlangestehen vor Bankschaltern oder Rotlichtern: Wenn auf einer Strecke zwischen A und B zehn Rotlichter stehen, von denen im Durchschnitt eines auf Rot (10 %) und neun auf Grün sind, verbringen Sie, auf Ihre gesamte Fahrzeit gerechnet, mehr als 10 % vor dem Rotlicht. Unklar? Dann stellen Sie sich vor, Sie seien mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs. In diesem Fall stünden Sie zu 99,99 % Ihrer gesamten Reisezeit wartend und fluchend vor der einen roten Ampel.

Wann immer wir Teil der Stichprobe sind, müssen wir aufpassen, nicht auf einen Denkfehler reinzufallen, der als Self-Selection Bias bekannt ist (deutsch: Selbstselektionsfehler). Meine männlichen Bekannten beklagen oft die Tatsache, dass es in ihren Firmen so wenige Frauen gibt; meine weiblichen Bekannten, dass in ihren Firmen zu wenig Männer arbeiten. Mit Pech hat das nichts zu tun: Die Klagenden sind Teil der Stichprobe. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein beliebiger Mann in einer Branche mit Männerüberschuss arbeitet, ist eben hoch. Dito für Frauen. Im größeren Maßstab: Wohnen Sie in einem Land mit einem großen Männer- oder Frauenüberschuss (zum Beispiel in China beziehungsweise Russland), werden Sie mit größerer Wahrscheinlichkeit zum überschüssigen Geschlecht gehören und sich entsprechend ärgern. Bei Wahlen ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass Sie die größte Partei gewählt haben. Bei Abstimmungen ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass Ihre Stimme der siegenden Mehrheit entspricht.

Der Self-Selection Bias ist allgegenwärtig. Marketingverantwortliche stolpern oft in die Falle. Beispieclass="underline" Ein Newsletter-Verlag verschickt einen Fragebogen an seine Abonnenten mit dem Ziel, herauszufinden, wie wertvoll sie den Newsletter einschätzen. Leider erhalten nur Kunden diesen Fragebogen, die den Newsletter abonniert und noch nicht abbestellt haben – also hauptsächlich zufriedene Kunden (die anderen haben sich aus der Stichprobe verabschiedet). Resultat: Die Umfrage ist wertlos.

Oder: Vor nicht allzu langer Zeit bemerkte ein Freund voller Pathos, es grenze doch an ein Wunder, dass er – gerade er! – überhaupt existiere. Ein klassisches Opfer des Self-Selection Bias. Eine solche Bemerkung kann nur jemand machen, der tatsächlich existiert. Wer nicht existiert, kann sich darüber auch nicht wundern. Und doch: Genau denselben Fehlschluss machen Jahr für Jahr mindestens ein Dutzend Philosophen, die sich in ihren Büchern daran ergötzen, dass so etwas Geniales wie die Sprache entstehen konnte. Ich habe durchaus Sympathie für ihr Staunen, aber begründet ist es nicht. Gäbe es die Sprache nicht, könnten die Philosophen darüber gar nicht staunen, ja, es gäbe nicht einmal Philosophen. Das Staunen, dass es Sprache gibt, ist nur in einem Umfeld möglich, in dem es Sprache gibt.