Drei Details zum Schluss: A) Das Gegenteil, einen Underconfidence-Effekt, gibt es nicht. B) Bei Männern ist der Overconfidence-Effekt ausgeprägter als bei Frauen – Frauen überschätzen sich weniger. C) Nicht nur Optimisten leiden unter dem Overconfidence-Effekt. Auch selbst erklärte Pessimisten überschätzen sich – nur weniger.
Fazit: Seien Sie allen Vorhersagen gegenüber skeptisch, besonders wenn sie von sogenannten Experten stammen. Und gehen Sie bei allen Plänen immer vom pessimistischen Szenario aus. Damit haben Sie eine wahre Chance, die Situation einigermaßen realistisch zu beurteilen.
Wenn Millionen von Menschen eine Dummheit behaupten, wird sie deswegen nicht zur Wahrheit
Sie sind auf dem Weg in ein Konzert. An einer Straßenkreuzung treffen Sie auf eine Gruppe Menschen, die alle in den Himmel starren. Ohne sich etwas zu überlegen, schauen auch Sie hoch. Warum? Social Proof. Mitten im Konzert, an einer erstklassig gemeisterten Stelle, beginnt einer zu klatschen, und plötzlich klatscht der ganze Saal. Auch Sie. Warum? Social Proof. Nach dem Konzert stehen Sie an der Garderobe, um Ihren Mantel abzuholen. Sie beobachten, wie die Leute vor Ihnen eine Münze auf einen Teller legen, obwohl die Garderobe offiziell im Kartenpreis inbegriffen ist. Was tun Sie? Sie werden wohl auch ein Trinkgeld hinterlassen. Social Proof (manchmal unscharf als Herdentrieb bezeichnet) sagt: Ich verhalte mich richtig, wenn ich mich so wie die anderen verhalte. Anders ausgedrückt: Je mehr Menschen eine Idee richtig finden, desto korrekter ist diese Idee – was natürlich absurd ist.
Social Proof ist das Übel hinter Blasen und Panik an der Börse. Man findet Social Proof in der Kleidermode, bei Managementtechniken, im Freizeitverhalten, in der Religion und bei Diäten. Social Proof kann ganze Kulturen lahmlegen – denken Sie an den kollektiven Selbstmord bei Sekten.
Das simple Solomon-Asch-Experiment – zum ersten Mal 1950 durchgeführt – zeigt, wie Gruppendruck den gesunden Menschenverstand verbiegt. Einer Versuchsperson werden Linien verschiedener Länge gezeigt. Dabei muss die Person angeben, ob eine Linie länger, gleich lang oder kürzer als eine Referenzlinie ist. Sitzt die Person allein im Raum, schätzt sie alle gezeigten Linien richtig ein, denn die Aufgabe ist wirklich einfach. Nun kommen sieben andere Leute in den Raum – alles Schauspieler, was die Versuchsperson aber nicht weiß. Einer nach dem anderen gibt eine falsche Antwort, sagt »kleiner«, obwohl die Linie offensichtlich größer als die Referenzlinie ist. Dann kommt die Versuchsperson dran. In 30 % der Fälle wird sie dieselbe falsche Antwort liefern wie die Personen vorher – aus reinem Gruppendruck.
Warum ticken wir so? Weil dieses Verhalten sich in unserer evolutionären Vergangenheit als gute Überlebensstrategie erwiesen hat. Angenommen, Sie sind vor 50.000 Jahren mit Ihren Jäger-und-Sammler-Freunden in der Serengeti unterwegs, und plötzlich rennen Ihre Kumpels davon. Was tun Sie? Bleiben Sie stehen, kratzen sich die Stirn und überlegen, ob das, was Sie sehen, nun wirklich ein Löwe ist oder nicht vielmehr ein harmloses Tier, das nur wie ein Löwe aussieht? Nein, Sie spurten Ihren Freunden hinterher, so schnell Sie können. Reflektieren können Sie nachher – wenn Sie in Sicherheit sind. Wer anders gehandelt hat, ist aus dem Genpool verschwunden. Dieses Verhaltensmuster ist so tief in uns verankert, dass wir es noch heute anwenden, auch dort, wo es keinen Überlebensvorteil bringt. Ein einziger Fall kommt mir in den Sinn, wo Social Proof von Nutzen ist: Angenommen, Sie haben Karten für ein Fußballspiel in einer fremden Stadt und wissen nicht, wo das Stadion ist. Dann macht es Sinn, den Leuten hinterherzulaufen, die wie Fußballfans aussehen.
Comedy und Talkshows nutzen Social Proof, indem sie an strategischen Stellen Gelächter einspielen, was die Zuschauer nachweislich zum eigenen Lachen anstiftet. Einer der eindrücklichsten Fälle von Social Proof ist die »Wollt ihr den totalen Krieg?«-Rede von Joseph Goebbels von 1943. Es gibt ein Video davon auf YouTube. Einzeln und anonym befragt hätte wohl kein Mensch diesem absurden Vorschlag zugestimmt.
Die Werbung nützt unsere Schwäche für Social Proof systematisch aus. Sie funktioniert am besten, wo die Situation unübersichtlich ist (nicht überblickbare Anzahl von Automarken, Reinigungsmitteln, Schönheitsprodukten etc. ohne offensichtliche Vor- und Nachteile) und wo Menschen »wie du und ich« vorkommen. Im Fernsehen werden Sie daher vergeblich eine afrikanische Hausfrau finden, die ein Putzmittel anpreist.
Seien Sie skeptisch, wann immer eine Firma behauptet, ihr Produkt sei das »meistverkaufte«. Ein absurdes Argument, denn warum soll das Produkt besser sein, nur weil es das »meistverkaufte« ist? Der Schriftsteller Somerset Maugham drückt es so aus: Wenn 50 Millionen Menschen eine Dummheit behaupten, wird sie deswegen nicht zu Wahrheit.
PS vom letzten Kapiteclass="underline" Zarin Katharina II. von Russland hatte ca. 40 Liebhaber, 20 sind namentlich bekannt.
Warum Sie die Vergangenheit ignorieren sollten
Der Film war miserabel. Nach einer Stunde flüsterte ich meiner Frau ins Ohr: »Komm, gehen wir nach Hause.« Sie antwortete: »Sicher nicht. Wir haben nicht vergeblich 30 Euro für Kinokarten ausgegeben.« »Das ist kein Argument«, protestierte ich, »die 30 Euro sind schon verloren. Du bist der Sunk Cost Fallacy auf den Leim gekrochen.« »Du mit deinen ewigen Denkfehlern«, sagte sie und sprach »Denkfehler« aus, als hätte sie etwas Bitteres im Mund.
Am nächsten Tag Marketingsitzung. Die Werbekampagne lief nun schon seit vier Monaten – weit unter dem budgetierten Erfolg. Ich war dafür, das Ding sofort zu stoppen. Der Werbeleiter widersetzte sich mit der folgenden Begründung: »Wir haben schon so viel Geld in die Kampagne investiert, wenn wir jetzt stoppen, war alles für die Katz.« Auch er: Opfer der Sunk Cost Fallacy.
Ein Freund quälte sich jahrelang in einer problematischen Beziehung. Die Frau hatte ihn immer wieder betrogen. Jedes Mal, wenn er sie ertappt hatte, kam sie reumütig zurück und flehte um Vergebung. Obwohl es schon lange keinen Sinn mehr machte, mit dieser Frau eine Beziehung zu unterhalten, ließ er sich immer wieder besänftigen. Als ich ihn darauf ansprach, erklärte er mir, warum: »Ich habe so viel emotionale Energie in diese Beziehung gesteckt, dass es falsch wäre, sie jetzt zu verlassen.« Eine klassische Sunk Cost Fallacy.
Jede Entscheidung, ob privat oder geschäftlich, geschieht stets unter Unsicherheit. Was wir uns ausmalen, mag eintreffen oder nicht. Zu jedem Zeitpunkt könnte man den eingeschlagenen Pfad verlassen, zum Beispiel das Projekt abbrechen, und mit den Konsequenzen leben. Diese Abwägung unter Unsicherheit ist rationales Verhalten. Die Sunk Cost Fallacy schnappt dann zu, wenn wir schon besonders viel Zeit, Geld, Energie, Liebe etc. investiert haben. Das investierte Geld wird dann zur Begründung, weiterzumachen, selbst wenn es objektiv betrachtet keinen Sinn macht. Je mehr investiert wurde, also je größer die Sunk Costs sind, desto stärker ist der Drang, das Projekt fortzuführen.
Börsenanleger werden oft zum Opfer der Sunk Cost Fallacy. Oft orientieren sie sich bei Verkaufsentscheidungen am Einstandspreis. Liegt der Kurs einer Aktie über dem Einstandspreis, wird verkauft. Liegt der Kurs darunter, wird nicht verkauft. Das ist irrational. Der Einstandspreis darf überhaupt keine Rolle spielen. Was zählt, ist einzig die Aussicht auf die künftige Kursentwicklung (und die künftige Kursentwicklung alternativer Investments). Irren kann sich jeder, besonders an der Börse. Der traurige Witz der Sunk Cost Fallacy ist der: Je mehr Geld Sie mit einer Aktie bereits verloren haben, desto stärker halten Sie an ihr fest.