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Kennedys Schweinebucht-Invasion gilt als eines der größten Fiaskos der amerikanischen Außenpolitik. Erstaunlich ist nicht, dass die Invasion schieflief, sondern dass ein so absurder Plan überhaupt durchgezogen wurde. Sämtliche Annahmen, die für diese Invasion sprachen, waren falsch. Zum Beispiel unterschätzte man komplett die Stärke von Kubas Luftwaffe. Oder: Man rechnete damit, dass die Brigade der 1.400 Exilkubaner sich im Notfall in den Escambray-Bergen hätte verstecken können, um von dort aus einen Untergrundkrieg gegen Castro anzuzetteln. Ein Blick auf die Landkarte von Kuba hätte gezeigt, dass der Fluchtort 150 Kilometer von der Schweinebucht entfernt war und ein unüberwindbares Sumpfgebiet dazwischen lag. Und doch: Kennedy und seine Berater gehörten zu den intelligentesten Männern, die eine amerikanische Regierung je vereint hat. Was lief schief zwischen Januar und April 1961?

Der Psychologieprofessor Irving Janis hat viele Fiaskos studiert. Gemeinsam ist ihnen Folgendes: Mitglieder einer verschworenen Gruppe entwickeln einen »Esprit de Corps«, indem sie Illusionen aufbauen. Unbewusst. Eine dieser Illusionen ist der Glaube an die Unverletzbarkeit: »Wenn unser Führer (in diesem Fall Kennedy) und die Gruppe der Überzeugung sind, der Plan funktioniere, dann wird das Glück auf unserer Seite sein.« Dann gibt es die Illusion der Einstimmigkeit: »Wenn alle anderen einer Meinung sind, muss meine abweichende Meinung falsch sein.« Und – man will kein Spielverderber sein, der die Einmütigkeit zerstören könnte. Schließlich ist man froh, dass man zur Gruppe gehört. Vorbehalte könnten den Ausschluss von der Gruppe bedeuten.

Groupthink kommt auch in der Wirtschaft vor. Klassisches Beispiel ist der Kollaps der Swissair im Jahr 2001, wo eine verschworene Beratergruppe um den damaligen CEO, getrieben von der Euphorie vergangener Erfolge, einen so starken Konsens aufbaute, dass abweichende Meinungen zur hochriskanten Expansionsstrategie gar nicht erst geäußert wurden.

Fazit: Wann immer Sie sich in einer verschworenen Gruppe mit starkem Konsens finden, äußern Sie Ihre Meinung unbedingt – auch wenn sie nicht gern gehört wird. Hinterfragen Sie die unausgesprochenen Annahmen. Notfalls riskieren Sie den Ausschluss aus dem warmen Gruppennest. Und falls Sie eine Gruppe führen, bestimmen Sie jemanden zum Advocatus Diaboli. Er wird nicht die beliebteste Person im Team sein. Aber vielleicht die wichtigste.

THE NEGLECT OF PROBABILITY

Warum die Jackpots immer größer werden

Zwei Glücksspiele: Im ersten können Sie zehn Millionen Euro gewinnen, im zweiten 10.000. Bei welchem spielen Sie mit? Wenn Sie im ersten Spiel gewinnen, verändert das Ihr Leben: Sie hängen Ihren Job an den Nagel und leben ab sofort von den Zinsen. Wenn Sie im zweiten Spiel den Jackpot knacken, leisten Sie sich einen schönen Karibik-Urlaub, und das war’s dann. Die Wahrscheinlichkeit, zu gewinnen, beträgt im ersten Spiel eins zu 100 Millionen, im zweiten eins zu 10.000. Also, wo spielen Sie mit? Unsere Emotionen ziehen uns zum ersten Spiel, obwohl das zweite, objektiv betrachtet, zehnmal besser ist. Darum der Trend zu immer größeren Jackpots – Millionen, Billionen, Trillionen – egal, wie winzig die Gewinnchancen sind.

In einer klassischen Studie von 1972 wurden die Teilnehmer eines Laborexperiments in zwei Gruppen eingeteilt. Den Teilnehmern der ersten Gruppe wurde gesagt, dass sie mit Sicherheit einen elektrischen Schock bekommen würden. Bei der zweiten Gruppe betrug die Gefahr, einen Stromschlag zu erhalten, nur 50 %, also die Hälfte. Die Forscher maßen die körperliche Erregung (Herzfrequenz, Nervosität, Schweißhände und so weiter) kurz vor dem besagten Zeitpunkt. Das Ergebnis war verblüffend: Es gab keinen Unterschied. Die Teilnehmer beider Versuchsgruppen waren genau gleich aufgeregt. Die Forscher reduzierten daraufhin die Wahrscheinlichkeit eines Stromstoßes bei der zweiten Gruppe auf 20 %, dann auf 10 %, dann auf 5 %. Das Ergebnis: Noch immer kein Unterschied! Als die Forscher jedoch die Stärke des erwarteten Stromstoßes erhöhten, erhöhte sich die körperliche Erregung bei beiden Gruppen. Doch nie gab es einen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Das bedeutet: Wir reagieren wohl auf das zu erwartende Ausmaß eines Ereignisses (Größe des Jackpots beziehungsweise Stärke der elektrischen Spannung), aber nicht auf dessen Wahrscheinlichkeit. Anders ausgedrückt: Uns fehlt ein intuitives Verständnis für Wahrscheinlichkeiten.

Man spricht von Neglect of Probability (Vernachlässigung der Wahrscheinlichkeit) – sie führt zu Entscheidungsfehlern. Wir investieren in ein Start-up, weil uns mit dem möglichen Gewinn der Mund wässrig gemacht wird, aber vergessen darüber (oder sind zu faul), die Wahrscheinlichkeit zu eruieren, mit der Jungunternehmen überhaupt je einen solchen Gewinn realisieren. Oder: Nach einer medienpräsenten Flugzeugkatastrophe lassen wir unsere gebuchten Flüge verfallen, ohne die winzige Wahrscheinlichkeit von Flugzeugabstürzen wirklich in Betracht zu ziehen (die im Übrigen nach einer Katastrophe genau gleich groß oder klein ist wie davor).

Viele Hobbyinvestoren vergleichen ihre Investments nur anhand der Rendite. Für sie ist eine Google-Aktie mit einer Rendite von 20 % doppelt so gut wie eine Liegenschaft mit einer Rendite von 10 %. Vernünftiger wäre es natürlich, die unterschiedlichen Risiken dieser beiden Investments zu berücksichtigen. Aber eben, wir haben kein natürliches Gefühl für Risiken, darum vergessen wir sie oft.

Zurück zum Laborexperiment mit den elektrischen Schocks. Die Wahrscheinlichkeit eines Stromstoßes bei Gruppe B wurde weiter reduziert: von 5 % auf 4 % auf 3 %. Erst bei der Wahrscheinlichkeit von 0 % reagierte Gruppe B anders als Gruppe A. Das Risiko von 0 % scheint also unheimlich viel besser zu sein als das von 1 %.

Beurteilen Sie die beiden Maßnahmen zur Trinkwasseraufbereitung. Bei Maßnahme A wird das Risiko, an verunreinigtem Wasser zu sterben, von 5 % auf 2 % gesenkt. Mit Maßnahme B lässt sich das Risiko von 1 % auf null senken, also komplett eliminieren. A oder B? Wenn Sie so ticken wie die meisten Menschen, werden Sie Maßnahme B den Vorzug geben – was idiotisch ist, denn mit Maßnahme A werden 3 % weniger Menschen sterben, mit B hingegen nur 1 %. Maßnahme A ist dreimal so gut! Dieser Denkfehler wird Zero-Risk Bias genannt (deutsch: Null-Risiko-Fehler). Wir werden ihn im nächsten Kapitel genauer diskutieren.

Fazit: Wir unterscheiden nur schlecht zwischen verschiedenen Risiken, außer, das Risiko sei null. Weil wir Risiken nicht intuitiv erfassen, müssen wir rechnen. Wo die Wahrscheinlichkeiten bekannt sind – wie im Lotto –, ist das einfach. Im normalen Leben jedoch sind Risiken schwierig zu schätzen – und doch führt kein Weg daran vorbei.

THE ZERO-RISK BIAS

Warum Sie für das Nullrisiko zuviel bezahlen

Angenommen, Sie müssen Russisch Roulette spielen. Die Trommel Ihres Revolvers hat Platz für sechs Patronen. Sie drehen die Trommel wie ein Glücksrad, halten den Revolver an Ihre Stirn und ziehen den Abzug. Erste Frage: Wenn Sie wissen, dass sich vier Patronen in der Trommel befinden – wie viel wären Sie bereit zu bezahlen, um zwei der vier Patronen aus der Trommel zu entfernen? Zweite Frage: Wenn Sie wissen, dass der Revolver nur eine einzige Patrone enthält – wie viel Geld wäre es Ihnen wert, um diese eine Patrone entfernen zu dürfen?

Für die meisten Leute ist der Fall klar: Sie sind bereit, im zweiten Fall mehr zu bezahlen, weil damit das Todesrisiko auf null sinkt. Rein rechnerisch macht das keinen Sinn, denn im ersten Fall reduzieren Sie die Sterbenswahrscheinlichkeit um zwei Sechstel, im zweiten Fall um nur ein Sechstel. Der erste Fall sollte Ihnen also doppelt so viel wert sein. Doch irgendetwas treibt uns dazu, das Nullrisiko übermäßig zu bewerten.