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Fazit: Schauen Sie also genau hin, ob Sie abhängige oder unabhängige Ereignisse vor sich haben – diese gibt es eigentlich nur im Kasino, im Lotto und in den Theoriebüchern. Im richtigen Leben sind die Ereignisse meistens voneinander abhängig – was bereits geschehen ist, hat einen Einfluss darauf, was in Zukunft geschehen wird. Also vergessen Sie (außer in den Regression-zur-Mitte-Fällen) die ausgleichende Kraft des Schicksals.

DER ANKER

Wie uns ein Glücksrad den Kopf verdreht

Wie lautet Martin Luthers Geburtsjahr? Falls Sie es nicht auswendig wissen und die Batterie Ihres Smartphones gerade leer ist, wie gehen Sie vor? Vielleicht wissen Sie, dass Luther im Jahr 1517 seine Thesen an die Kirche von Wittenberg geschlagen hat. Damals war er sicher älter als, sagen wir, 20, aber auch jung genug für diesen mutigen Akt. Nach der Publikation der Thesen wurde er nach Rom vorgeladen, der Ketzerei beschuldigt, und schließlich exkommuniziert. Er übersetzte die Bibel und geriet in die Fänge der Politik. Er lebte also noch eine ganze Weile nach 1517, wird im Jahr 1517 demzufolge rund 30 Jahre alt gewesen sein. Somit ist 1487 keine schlechte Schätzung für sein Geburtsjahr. (Korrekte Antwort: 1483.) Wie sind Sie vorgegangen? Sie hatten einen Anker, an dem Sie sich halten konnten – nämlich das Jahr 1517 – und haben sich von dort aus orientiert.

Wann immer wir etwas schätzen – die Länge des Rheins, die Einwohnerdichte von Russland, die Anzahl Kernkraftwerke in Frankreich –, benutzen wir Anker. Wir nehmen etwas Bekanntes und wagen uns von dort aus ins Unbekannte vor. Wie sonst sollen wir schätzen? Einfach eine Zahl vom Himmel pflücken? Das wäre unvernünftig.

Dummerweise setzen wir Anker auch dort ein, wo sie vollkommen haltlos sind. Beispieclass="underline" Ein Professor stellte eine unbekannte Flasche Wein auf den Tisch. Die Leute im Saal wurden gebeten, die letzten zwei Stellen ihrer Sozialversicherungsnummer auf ein Blatt Papier zu schreiben und sich dabei zu überlegen, ob sie bereit wären, diese Zahl in Euro für die Flasche Wein auszugeben. Anschließend wurde die Flasche versteigert. Die Leute mit den höheren Nummern boten fast doppelt so viel wie die Personen mit den tieferen Nummern. Die Sozialversicherungsnummer funktionierte als Anker – leider unbewusst und auf irreführende Weise.

Der Psychologe Amos Tversky stellte ein Glücksrad auf und ließ die Teilnehmer eines Experiments daran drehen. Danach wurden sie gefragt, wie viele Staaten Mitglied bei der UNO seien. Personen, bei denen das Glücksrad auf einer hohen Zahl stehen blieb, gaben eine höhere Anzahl Mitgliedsstaaten an als Personen, bei denen das Rad auf einer tiefen Zahl stehen blieb.

Die Forscher Russo und Shoemaker fragten Studenten, in welchem Jahr Attila, der König der Hunnen, seine vernichtende Niederlage in Europa erlitt. Ähnlich wie beim Versuch mit den Sozialversicherungsnummern wurden die Teilnehmer mit den letzten Stellen ihrer Telefonnummer geankert. Dasselbe Resultat: Personen mit höheren Telefonnummern setzten auf höhere Jahreszahlen – und umgekehrt. (Die Antwort zu Attila, falls es Sie interessiert: im Jahr 541.)

Noch ein Experiment: Studenten und Immobilienprofis wurden durch ein Haus geführt und anschließend gebeten, den Wert dieses Hauses zu schätzen. Zuvor wurde ihnen ein (zufällig generierter) »gelisteter Verkaufspreis« kommuniziert. Wie zu erwarten: Die Studenten, also die Nichtprofis, ließen sich von dem Anker beeinflussen. Je höher der Listenpreis, desto teurer bewerteten sie die Immobilie. Und die Immobilienprofis – urteilten sie unabhängig? Nein, sie ließen sich im gleichen Ausmaß durch den willkürlich gesetzten Anker beeinflussen. Je unbestimmbarer der Wert eines Objekts – Immobilie, Firma, Kunstwerk –, desto anfälliger sind selbst Profis für Anker.

Anker zuhauf, und wir alle klammern uns daran. Wissenschaftlich nachgewiesen: Falls ein Lehrer die vergangenen Schulnoten eines Studenten kennt, beeinflussen sie, wie er dessen neue Arbeiten benotet. Die vergangenen Zeugnisse wirken als Anker. Auch der bei vielen Produkten aufgedruckte »empfohlene Verkaufspreis« ist nichts anderes als ein Anker. Verkaufsprofis wissen, dass sie frühzeitig einen Anker setzen müssen – weit bevor sie eine Offerte machen.

Ich arbeitete in meinen jungen Jahren bei einer Beratungsfirma. Mein damaliger Chef war ein richtiger Anker-Profi. Schon beim ersten Kundengespräch setzte er einen Anker, der fast schon kriminell weit über den internen Kosten lag: »Nur damit Sie dann nicht überrascht sind, lieber Herr Kunde, wenn Sie die Offerte erhalten: Wir haben ein ähnliches Projekt für einen Ihrer Konkurrenten gemacht, und das lag im Bereich von fünf Millionen Euro.« Anker gesetzt. Die Preisverhandlungen starteten genau bei fünf Millionen.

DIE INDUKTION

Wie Sie Leute um ihre Millionen bringen

Eine Gans wird gefüttert. Anfangs zögert das scheue Tier und denkt: »Warum füttern mich diese Menschen? Irgendetwas muss doch dahinterstecken.« Wochen vergehen, doch jeden Tag kommt der Bauer vorbei und wirft ihr Getreidekörner vor die Füße. Ihre Skepsis lässt allmählich nach. Nach einigen Monaten ist sich die Gans sicher: »Die Menschen sind mir zutiefst gutgesinnt!« – eine Gewissheit, die sich jeden Tag aufs Neue bestätigt, ja festigt. Vollends überzeugt von der Güte des Bauern staunt sie, als sie dieser am Weihnachtstag aus ihrem Gehege holt – und schlachtet. Die Weihnachtsgans ist dem induktiven Denken zum Opfer gefallen. Schon David Hume hat im 18. Jahrhundert vor der Induktion gewarnt, mit ebendiesem Beispiel. Aber nicht nur Gänse sind anfällig dafür. Wir alle haben die Tendenz, aus Einzelbeobachtungen auf allgemeingültige Gewissheiten zu schließen. Das ist gefährlich.

Ein Anleger hat Aktie X gekauft. Der Kurs geht ab wie eine Rakete. Anfänglich ist er skeptisch. »Sicher eine Blase«, denkt er. Als die Aktie auch nach Monaten noch zulegt, wird seine Vermutung zur Gewissheit: »Dieser Titel kann gar nicht mehr abstürzen« – zumal jeder Tag diese Erkenntnis aufs Neue bestätigt. Nach einem halben Jahr investiert er seine ganzen Ersparnisse in diesen einen Aktientitel. Jetzt sitzt er auf einem Klumpenrisiko. Er ist der Induktion zum Opfer gefallen und wird irgendwann dafür büßen.

Man kann sich das induktive Denken auch zunutze machen. Hier ist ein Tipp, wie Sie damit anderen Leuten das Geld aus der Tasche ziehen. Verschicken Sie 100.000 Börsenprognosen. In der Hälfte ihrer E-Mails prognostizieren Sie, dass die Kurse im kommenden Monat steigen werden, in der anderen Hälfte warnen Sie vor einem Rückgang. Angenommen, nach einem Monat sind die Indizes gesunken. Nun verschicken Sie wieder eine E-Mail, aber diesmal nur an die 50.000 Leute, denen Sie eine richtige Vorhersage gemacht hatten (dass die Kurse sinken würden). Diese 50.000 teilen Sie wieder in zwei Gruppen. Der ersten Hälfte schreiben Sie, dass die Kurse im kommenden Monat steigen werden, der zweiten Hälfte, dass sie fallen werden, und so weiter. Nach zehn Monaten bleiben 100 Personen übrig, die Sie ohne Fehl richtig beraten haben. Aus Sicht dieser 100 Personen sind Sie ein Held. Sie haben bewiesen, dass Sie im Besitz wahrlich prophetischer Prognosefähigkeiten sind. Einige dieser Fans werden Ihnen ihr Vermögen anvertrauen. Mit dem Geld setzen Sie sich nach Brasilien ab.