Schönfärberei ist eine besonders gängige Spielart des Framing. Sinkende Aktienkurse werden als »Korrektur« bezeichnet. Ein überzahlter Akquisitionspreis als »Goodwill«. In jedem Managementkurs lernen wir, dass ein Problem kein »Problem«, sondern eine »Chance« ist. Ein gefeuerter Manager ist jemand, der sein Leben »neu ausrichtet«. Ein gefallener Soldat – egal wie viel Pech oder Dummheit zu seinem Tod führten – ist ein »Kriegsheld«. Völkermord ist »ethnische Säuberung«. Die geglückte Notlandung, zum Beispiel auf dem Hudson in New York, wird als »Triumph der Aviatik« gefeiert. (Wäre nicht keine Notlandung ein Triumph gewesen?)
Haben Sie schon einmal den Prospekt für ein Finanzprodukt – zum Beispiel für einen ETF, einen börsengehandelten Fonds – genauer angeschaut? Oft ist darauf die Performance der letzten Jahre abgebildet. Wie viele Jahre zurück? So viele, dass eine möglichst schön ansteigende Kurve entsteht. Auch das ist Framing. Oder: Dasselbe Stück Brot, entweder als »symbolischer« oder »wahrer« Leib Christi geframed, kann eine Glaubensrichtung spalten. So geschehen im 16. Jahrhundert.
Den Regeln des Framing gehorchen wir auch, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf nur einen oder wenige Aspekte des Ganzen lenken. Beim Kauf eines Gebrauchtwagens konzentrieren wir uns zum Beispiel auf den Kilometerstand, aber nicht auf den Zustand des Motors, der Bremsen, des Interieurs. Die Kaufentscheidung wird also durch den Kilometerstand beeinflusst. Das ist nur natürlich, denn wir können nie restlos alle Aspekte betrachten. Mit einem anderen Frame hätten wir vielleicht anders entschieden.
Schriftsteller setzen Framing ganz bewusst ein. Ein Krimi wäre langweilig, wenn der Mord Schritt für Schritt so dargestellt würde, wie er stattgefunden hat. Das wäre kein Krimi, sondern ein Sachbuch. Obschon am Schluss eh die ganze Geschichte erzählt ist, wird sie erst durch das Framing spannend.
Fazit: Seien Sie sich bewusst, dass Sie nichts darstellen können, ohne zu framen, und dass jeder Sachverhalt – ob Sie ihn von einem treuen Freund hören oder in einer seriösen Zeitung lesen – dem Framing unterliegt. Auch dieses Kapitel.
THE ACTION BIAS
Warum abwarten und nichtstun eine Qual ist
Fußballer, die einen Elfmeter zu versenken haben, schießen in einem Drittel der Fälle in die Mitte des Tors, in einem Drittel nach links und in einem Drittel nach rechts. Was tun die Torhüter? Sie hechten zu 50 % nach links und zu 50 % nach rechts. Jedenfalls bleiben sie nur selten in der Mitte stehen – und das, obwohl ein Drittel aller Bälle dort landet. Warum? Weil es viel besser aussieht und es sich weniger peinlich anfühlt, auf die falsche Seite zu hechten, als wie ein Trottel stehen zu bleiben und den Ball links oder rechts vorbeisegeln zu sehen. Das ist der Action Bias (auf Deutsch etwa: Überaktivität): Aktiv werden, selbst wenn es nichts nützt.
Die Fußballstudie stammt vom israelischen Forscher Bar Eli, der Hunderte von Elfmetersituationen ausgewertet hat. Aber nicht nur Torhüter verfallen dem Action Bias. Eine Gruppe Jugendlicher außerhalb eines Nachtklubs schreien sich an, gestikulieren wild. Die Situation ist nahe daran, in eine veritable Schlägerei auszuarten. Junge Polizisten in Begleitung von dienstälteren Berufskollegen halten sich zurück, beobachten die Situation aus der Distanz und greifen erst dann ein, wenn es die ersten Verletzten gibt. Wenn keine erfahrenen Polizisten dabei sind, sieht es anders aus: Die jungen, übereifrigen Ordnungshüter lassen sich vom Action Bias übermannen, das heißt, sie greifen sofort ein. Diese Studie aus Großbritannien zeigt auch, dass es dort, wo die Polizisten lange abwarten, weniger Verletzte gibt als in Situationen, in denen die (jungen) Polizisten frühzeitig intervenieren.
Der Action Bias kommt besonders dann zum Tragen, wenn eine Situation neu oder unklar ist. Vielen Investoren geht es wie den unerfahrenen Polizisten vor dem Nachtklub: Sie können das Treiben an der Börse noch nicht richtig einschätzen und verfallen in eine Art Hyperaktivität. Natürlich lohnt sich das nicht. Warren Buffett drückt es so aus: »Beim Investieren korreliert Aktivität nicht mit Leistung.« Weitere knackige Zitate von Warren Buffett und Charlie Munger im Anhang.
Der Action Bias kommt in den gebildetsten Kreisen vor. Ein Arzt hat einen Patienten mit einem unklaren Krankheitsbild vor sich. Vor die Wahl gestellt, ob er eingreifen soll oder nicht, also ein Medikament zu verschreiben oder abzuwarten, wird er tendenziell die aktive Variante wählen. Wir brauchen ihm nicht mal zu unterstellen, er tue dies aus finanziellen Überlegungen – es ist einfach der ActionBias, der ihn dazu bewegt.
Warum gibt es den Action Bias? In einer Jäger-und-Sammler-Umgebung, für die wir optimiert sind, zahlt sich Aktivität viel stärker aus als Nachdenken. Blitzschnelles Reagieren war in der Vergangenheit überlebenswichtig. Nachdenken konnte tödlich sein. Wenn unsere Vorfahren am Waldrand eine Silhouette auftauchen sahen, die wie ein Säbelzahntiger aussah, setzten sie sich nicht wie Rodins »Denker« auf einen Stein, um taxonomische Überlegungen anzustellen. Sie hauten ab, und zwar schleunigst. Wir sind alle Nachkommen dieser Schnellreagierer, die lieber einmal zu oft weggerannt sind. Doch unsere heutige Welt ist anders – sie belohnt scharfes Nachdenken gegenüber Aktivität. Die Umstellung fällt uns schwer.
Sie erhalten keine Ehrung, keine Medaille, keine Statue mit Ihrem Namen drauf, wenn Sie durch Abwarten genau die richtige Entscheidung treffen – für das Wohl der Firma, des Staates, der Menschheit. Haben Sie hingegen Entschlossenheit demonstriert, rasch gehandelt, und eine Situation hat sich verbessert (wenn auch vielleicht rein zufällig) – dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass Sie auf dem Dorfplatz geehrt werden oder zumindest Mitarbeiter des Jahres werden. Die Gesellschaft zieht gedankenloses Handeln dem sinnvollen Abwarten vor.
Fazit: In unklaren Situationen verspüren wir den Impuls, etwas zu tun, irgendetwas – egal ob es hilft oder nicht. Danach fühlen wir uns besser, selbst wenn sich nichts zum Besseren gewendet hat. Oft ist das Gegenteil der Fall. Kurzum, wir handeln tendenziell zu schnell und zu oft. Daher: Wenn die Situation unklar ist, unternehmen Sie nichts, gar nichts, bis Sie die Situation besser einschätzen können. Halten Sie sich zurück. »Das ganze Unglück der Menschen besteht darin, dass sie nicht in der Lage sind, ruhig in ihrem Zimmer zu bleiben«, schrieb schon Blaise Pascal. Zu Hause, in seiner Schreibstube.
THE OMISSION BIAS
Warum Sie entweder die Lösung sind – oder das Problem
Zwei Bergsteiger. Der erste fällt in eine Gletscherspalte. Sie könnten ihn retten, indem Sie Hilfe organisieren, tun es aber nicht, und folglich stirbt er. Den zweiten stoßen Sie aktiv in die Gletscherspalte. Auch er stirbt nach kurzer Zeit. Welche Tat wiegt schwerer? Rational betrachtet sind beide Taten gleich verwerflich. Die Unterlassung der Hilfe als auch der aktive Mord – sie führen beide zum Tod. Und doch sagt uns irgendein Gefühl, dass die Unterlassung weniger schlimm wiegt. Dieses Gefühl nennt man Omission Bias (deutsch: Unterlassungsirrtum). Der Omission Bias tritt immer dort auf, wo sowohl eine Unterlassung als auch eine Handlung zu Schaden führen können. Dann wird meist die Unterlassung gewählt, weil die so verursachten Schäden subjektiv harmloser scheinen.
Angenommen, Sie sind der Chef der Medikamentenzulassungsbehörde Ihres Landes. Sie stehen vor der Entscheidung, ob ein Medikament für Todkranke zugelassen werden soll. Das Medikament hat starke Nebeneffekte. Es tötet 20 % der Patienten auf der Stelle, rettet aber das Leben von 80 % in kurzer Frist. Wie entscheiden Sie?