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»Später, Freund«, versprach Pico. »Einstweilen wollen wir es dabei bewenden lassen. Und verschließe das Gehörte in den Tiefen deines Herzens, lass es von dort nie entweichen, denn jedes Wort, das du zu einem Fremden sprichst, bedeutet deinen sicheren Tod. Erinnere dich: Mein Angesicht ist der Kerker der Liebe!«

Alles Bitten und Sträuben half nicht, die Männer nahmen ihren neuen Bruder Donato einfach in ihre Mitte und machten sich auf den Weg zu Girolamos Gasthof.

Unterwegs erfuhr Bramante, dass das Aufnahmeritual der Bruderschaft stets in dieser Kirche stattfand, weil sie ein Zentralbau war, den Dante geliebt hatte und in dem sich auch seine Grabstätte befand. Dass es eine Kirche der Bruderschaft war, erkannte man an der steinernen Rose am Eingang, die die Fedeli freilich unter geschickt angebrachten Zerstörungen verborgen hatten.

Während die Männer durch die Straßen Ravennas schritten, sprachen sie über die Grundlage ihrer neuen Baukunst: Diese bestand im Maß der Engel, das der Architekt Hiram in Jerusalem benutzt hatte, um im Auftrag König Salomos den Tempel zu errichten. Dieses Maß würde sich in den antiken Bau- und Kunstwerken finden lassen, es lag – und davon waren sie alle fest überzeugt – in deren Proportionen verborgen. Denn die Welt bestand für sie aus Proportion und Perspektive, aus Maß und Sichtweise. Das galt für die Gebäude, aber mehr noch für den Bau des Staates. Die Männer beschlossen, Geld zu sammeln. Bramante sollte den Auftrag bekommen, alle antiken Gebäude und Ruinen von Rom bis Neapel zu vermessen. Zuvor aber sollte er unter Leonardos Anleitung Dantes Weltenbau-Gedicht gründlich studieren sowie Architekturtheoretiker wie Vitruv und Alberti, den er teils schon kannte. Solchermaßen gerüstet, durfte er dann ans Werk gehen.

Im Wirtshaus »Zum tatkräftigen Hiram« angelangt, widmeten sich die Fedeli nur noch der köstlichen Mahlzeit, die ihnen Girolamo vorsetzte. Mit keinem Wort wurde mehr erwähnt, was sie in San Vitale besprochen hatten. Bramante nahm sich vor, Leonardo nach all den vielen neuen Namen zu fragen. Wenn er diese überhaupt schon einmal gehört hatte, so verband er mit ihren Trägern meist nur eine sehr unzureichende Vorstellung. Die Männer wirkten wie ausgewechselt, hatten alle höheren Gedanken abgelegt und frönten nur noch ihren Gelüsten. Musiker spielten auf, und die Mädchen, die Bramante bestellt hatte, näherten sich der Gesellschaft mit ebenso reizendem Lächeln wie zwei schöne Jünglinge, die Leonardo allerdings auch aus Mailand mitgebracht haben konnte.

»Wo zum Henker ist der Graf?«, rief Bramante plötzlich und sah sich suchend im Zimmer um.

»Wisse, mein Freund, Messèr Giovanni Pico della Mirandola muss nur ein paar Stunden in einer fremden Stadt weilen – bei seinem Aufbruch hinterlässt er mit Sicherheit eine Liebschaft, die auf ihn wartet und die er besucht, wenn er wieder an den Ort zurückkehrt. Ein Sonntagskind, unser Graf. Weiß der Teufel, warum, aber die Frauen lieben ihn!«, erklärte Leonardo.

»Verdammt noch mal, wenn der Satansbraten nur halb so gut mit seinem Schwanz umzugehen weiß wie mit seinen Worten, dann versteh ich es sogar!«, fluchte Bramante und zog eine üppige Schöne auf seinen Schoß. Sie hielt eine Schale mit Kirschen in der Hand, aus der sie sich eben eine Handvoll Früchte nahm und in den Mund schob. Sie kaute, schmatzte und spuckte die Kerne aus, während ihr der Obstsaft rechts und links an den Mundwinkeln herunterlief und auf die vom geöffneten Mieder freigegebenen Brüste tropfte. Rot wie Blut.

»Lass mir was von den Früchtchen übrig«, rief Bramante ausgelassen, packte ihr Kinn, zog ihren Mund zu sich und küsste sie ungestüm. Weich fühlten sich ihre Lippen an, und unvergleichlich süß schmeckten die Früchte.

4

Rom, Anno Domini 1492

Giacomo zählte elf Männer im Mönchshabit, die sich um einen kleinen Altar versammelt hatten, auf dem drei dicke weiße Kerzen brannten, rein und klar wie die Feuer in ihren Herzen. Nicht nur Dominikaner, auch Franziskaner in ihren braunen Kutten waren darunter und Augustiner, erkennbar an ihren vorn geknöpften Umhängen, Benediktiner mit ihren großen Gürteln und dem Kreuz vor der Brust und schließlich Kamaldulenser, unverwechselbar durch das grobe weiße Obergewand.

Die Verlängerung des Schachts, der senkrecht in die Tiefe zum Grab Petri führte, bildete eine Mauer mit roten Schriftzeichen. Sah man daran herab, fiel der Blick auf eine grob behauene Steinkiste, die zehn Ellen tiefer stand. In ihr ruhten die sterblichen Überreste des ersten Apostels. Dieser ärmliche Sarg rechtfertigte den Machtanspruch der Päpste seit nunmehr dreißig Generationen. Jeder dieser elf Männer kannte die Einsetzungsworte des Herrn auswendig: »Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben.« Bevor sie diese Worte verrieten, würde jeder von ihnen das Martyrium in Kauf nehmen. Das hatten sie geschworen. Es gab keinen Grund, an der Ernsthaftigkeit ihres Eides zu zweifeln.

Giacomo wusste das. Und er wusste auch, dass ihr Christentum inzwischen aus der Mode gekommen war, dass Priester, Bischöfe, selbst Kardinäle und sogar Päpste nicht nur sündigten, sondern in ihrer Gier nach Lust, Luxus, Macht und Reichtum selbst vor Todsünden nicht mehr zurückschreckten und sich zuweilen im Ausmaß ihrer Missetaten zu übertreffen suchten. Aus tiefstem Herzen hassten die elf Männer diese neue Hinneigung zu den Heiden, die in den letzten Jahrzehnten in Mode gekommen war, die neue Liebe zum Altertum, die wie eine Seuche ausgebrochen war und unterschiedslos Kleriker, Theologen, Philosophen und Fürsten befallen hatte. Deshalb nannten sie sich auch die geheime Erzbruderschaft der Perfekten, Archiconfraternita de Perfecti in Segreto. Sie empfanden sich als Kreuzfahrer, und sie strebten den perfekten Glauben an.

Einmal im Monat streiften sie kurz vor Mitternacht die Mönchskutten über, um alle an der Kleidung sichtbaren Rangunterschiede auszulöschen, und betraten heimlich über die Seiteneingänge die alte Basilika, den ehrwürdigen Kirchenraum, den Konstantin der Große auf dem Mons vaticanus hatte errichten lassen, als Zeichen, dass von nun das Christentum über die Welt herrsche.

Über Kopf und Gesicht hatten die Glaubenskämpfer Kapuzen gestreift. Die Schlitze darin gaben nur Münder und Augen frei. Unheimlich, nahezu gespenstisch nahmen sich die Gestalten in der vom Schein dreier Kerzen erhellten Krypta aus. Meist war es Giacomo gewesen, der die fast immer gefährlichen Aufträge der Bruderschaft ausführte, und nun sollte er endlich aufgenommen werden. Unzweifelhaft war dies der Höhepunkt seines bisherigen Lebens. So musste die Seligkeit schmecken, dachte er, bittersüß. Ein Glück, so gewaltig, dass es Furcht vor seiner Größe hervorrief.

Als Giacomo in die Krypta trat, gab der Prior der Erzbruderschaft, Francesco Todeschini Piccolomini, das Zeichen. Die Männer schlugen ihre Kapuzen zurück und knieten zum Gebet nieder. Giacomo sah in die guten, anständigen Gesichter von Männern, die vom Glauben durchdrungen waren. Der Prior stimmte das Glaubensbekenntnis an, und alle fielen ein: »Credo in unum Deum, patrem omnipotentem, factorem caeli et terrae visibilium omnium et invisibilium – ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt.«

»Amen«, sagten die Männer im Chor.

Der Kardinal Piccolomini erhob sich, und alle taten es ihm gleich. »Meine lieben Brüder«, begann er, »schlimme Zeiten sind angebrochen. Jeder darf unsere Mutter Kirche beleidigen, ihr Schimpf antun oder ihr Land rauben wie der König von Neapel. Aber das wisst ihr alles. Auch an den von Ketzern verübten Mord an unserem lieben Bruder Pedro Albaruez erinnert ihr euch.