Aber wir haben einen würdigen jungen Mann, der seinen Platz einnehmen wird. Bruder Giacomo, genannt der Katalane, vom Orden des heiligen Dominikus. Spanier wie Bruder Pedro, aber was spielt das für eine Rolle? Ein Mann des Glaubens, noch jung an Jahren, aber spricht das gegen seine Entschlossenheit?
Wir haben dich lange beobachtet, Giacomo, und dir schwierige Aufgaben gestellt. Du hast sie alle vorbildlich erfüllt. Deshalb wollen wir dich nun als Mitglied unserer Bruderschaft willkommen heißen. Knie nieder, du Kind Gottes!«
Giacomo folgte der Aufforderung. Stolz und Freude erfüllten sein Herz, und ein heiliger Schauer durchfuhr ihn.
»Schwöre, dass du niemals den Herrn, deinen Gott, und auch deine Brüder verraten wirst, dass du wie Jesus und Petrus und Paulus und die vielen anderen Zierden des Glaubens eher das Martyrium in Kauf nehmen wirst und dass du in der höchsten Not dich an Jesus Christus erinnerst, der am Kreuze ausrief: ›Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern, wie du willst!‹ Schwöre! Schwöre Treue und Verschwiegenheit im Namen des Herrn!«
»Ich schwöre es!«
»Schwöre, dass du alle Aufträge unserer heiligen Bruderschaft bedingungslos und mit Liebe im Herzen ausführen wirst!«
»Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe!«
Die Männer bekräftigten seinen Schwur mit einem gemurmelten Amen. Dann stellte der Prior Giacomo den anderen Mitgliedern der Bruderschaft vor. Einige kannte er bereits persönlich, aber nicht einer war unter ihnen, von dem er nicht schon gehört hätte, Kardinäle, Bischöfe, Erzpriester und Erzäbte. Aus Aquino Robert von Lecce und aus Padua Pietro Barosi, aus Neapel Oliviero Carafa – sie alle, ehrwürdige und verehrungswürdige Männer, gaben ihm den Bruderkuss. Jetzt gehörte er zu ihnen. Für immer. Falls er untreu werden sollte, sich als Verräter erwiese oder auch nur von ihnen abzufallen begehrte, so würde man ihn töten. Nur der Tod konnte seine Mitgliedschaft in der Bruderschaft beenden, auf die eine oder andere Weise.
Zum Abschluss feierten die Mitglieder der Erzbruderschaft gemeinsam das Abendmahl. Das Aufnahmeritual endete damit, dass Giacomo seinen neuen Brüdern nach gutem, altem Brauch die Füße wusch.
Nachdem die Neuigkeiten und das weitere Vorgehen besprochen waren, erhielt er einen überaus gefährlichen Auftrag: Es galt, eine geheime Bruderschaft zu bekämpfen, die ihr Unwesen trieb, allesamt Feinde des Glaubens, neue Heiden.
»Wie nennen sich die Ketzer, Prior?«, fragte Giacomo, schon ganz auf seine neue Aufgabe konzentriert.
»Wir kennen ihren Namen nicht, wie wir überhaupt nur wenig über diese Häretiker wissen. Gerade einmal das, was uns verantwortungsvolle Beichtväter, die uns nahestehen, berichtet haben. Die Ketzer verlangen danach, mehr zu wissen, als notwendig ist, sie berufen sich dabei auf den biblischen Baumeister Hiram. Sie beschäftigen sich mit Astrologie und Alchemie und wollen mittels der Baukunst die Welt verändern. Der heidnische Autor Vitruv gehört ebenso zu ihren neuen Propheten wie der griechische Heide Platon und der Afterfürst der Magier, der Ägypter Hermes Trismegistos. Sogar mit den Juden machen sie gemeinsame Sache, indem sie in ihren häretischen Büchern wie der Kabbala lesen. Sie unterwandern die kirchliche Ordnung und werden in diesem todeswürdigen Frevel von weltlichen Herrschern und sogar von Kirchenfürsten unterstützt, von Männern, deren Pflicht es eigentlich ist, die heilige Kirche zu beschützen!«
Ein Raunen unterbrach die leidenschaftliche Rede des Priors. Entrüstung und Hass loderten in den Augen der Männer auf.
»In Pavia wollen sie einen Dom als Götzentempel bauen, einen heidnischen Rundbau!«, empörte sich der hagere Robert von Lecce.
Giacomo erkundigte sich, was an einem Zentralbau verwerflich sei, und fügte entschuldigend hinzu, er verstünde nichts von der Baukunst. Alessandro Carafa erklärte ihm, die Basilika sei ganz und gar für den lateinischen Ritus, für ihren geheiligten Gottesdienst geschaffen. Hinter dem Priester versammele sich im Langhaus die Gemeinde, aber der Priester wende sich von der Gemeinde ab und Gott zu. So sei er wahrer Mittler zwischen Gott und den Menschen – weniger als Gott, sicher, aber auch etwas mehr als der Mensch, weil er durch seinen keuschen Lebenswandel Umgang mit den Heiligen pflege.
»So sollte es zumindest sein«, warf Piero Barosi mit bitterer Stimme ein.
»Der Rundbau aber ist ein Versammlungsraum des Aberglaubens, für Menschen, die sich für den Mittelpunkt der Welt halten und sich nicht mehr in Demut vor Gott und seinen Priestern verneigen! Sie sind nach allen Seiten hin offen und für alles zugänglich, sie haben ihre Richtung verloren«, ereiferte sich Carafa.
»Deshalb sage ich euch«, fuhr der Prior fort, »die Kirche, die sie in Pavia zu bauen begonnen haben, ist des Teufels! Überall versuchen sie, die Gotteshäuser in heidnische Tempel zu verwandeln. Längst müsste die Hauptkirche der Christenheit, Sankt Peters Haus, in dem wir demütig stehen, restauriert werden, aber es ist nicht ratsam, das jetzt zu tun. Denn wissen wir, ob nicht einer dieser Ketzer aus unserer heiligen Basilika eine Arena des Teufels macht? Zuzutrauen wäre es ihnen!
Ihr Anführer ist ein junger Graf: Giovanni Pico della Mirandola. Er hat neunhundert Thesen verfasst, in denen er das Heidentum, die Magie und die Kabbala an die Stelle des Christentums setzen will. Er behauptet zwar, dass all dieses im Christentum Platz hätte, aber, meine lieben Brüder, wenn man das Christentum so hemmungslos erweitert, gleicht es bald einem übervollen Sack, der platzen muss. Und genau darin besteht das Ziel dieser Unwürdigen! Deshalb hat der Heilige Vater den Grafen zu Recht als Ketzer verurteilt und exkommuniziert. Doch was nützt das, wenn ihn mächtige Leute wie Lorenzo de Medici schützen.«
»Vor Gottes Zorn wird er ihn nicht bewahren können!«, rief Robert von Lecce.
»Sei ein Werkzeug Gottes, Giacomo!«, sagte der Prior und sah dem jungen Dominikaner fest in die Augen.
Giacomos Auftrag sah vor, dass er sich das Vertrauen des Grafen Giovanni Pico della Mirandola erschleichen und am besten sein Sekretär werden sollte. So könnte er mehr über den Geheimbund der Ketzer in Erfahrung bringen und den Ketzervater eines günstigen Tages töten. Dabei sollte er bedächtig und geschickt zu Werke gehen, denn keinesfalls durfte das unerwartete Ableben des jungen Philosophen, der in ganz Europa bestens bekannt war, wie Mord aussehen. Die Tat durfte nicht auf die Kirche zurückfallen.
Ausruhen ließ man Giacomo nicht. Gleich am Morgen sollte er aufbrechen.
Mailand, Anno Domini 1494
»Schlaf deinen Rausch ein andermal aus!«
Donato Bramante fuhr zusammen und richtete sich schlaftrunken im Bett auf, fuhr mit der Hand über seinen kahlen Schädel und rülpste. »Wie spät ist es?«
»Mittag, aber das spielt keine Rolle«, erklärte Leonardo da Vinci unwirsch. Kühl und mitleidlos ruhte sein Blick auf Bramante, der sich in einem bedauernswerten Zustand befand. Den dampfenden Leib des Architekten verhüllte nur dürftig ein langes, nicht sehr reinliches Hemd. Schuhe, Hose, Wams, Mantel und das Wehrgehänge waren über den Boden verstreut. Bei dem Versuch, den unverhofften Besucher zu mustern, traf ein Lichtstrahl Bramantes verquollene Augen und ließ ihn zusammenzucken. Er hob einen Zipfel der Bettdecke an, stöhnte und krabbelte schließlich bäuchlings wie ein Käfer unter dem schweren Damast über die Matratze.
»Was suchst du?«
»Eine Frau!«
»Hier ist keine Frau!«, entgegnete Leonardo spitz.
»Keine Frau?« Bramante tauchte sichtlich enttäuscht wieder auf und kratzte sich am Kopf. »So, hatte ich keine bei mir? Seltsam, ich hätte schwören können … hab ich also nur geträumt, ach, was für ein Traum das war! Grundgütiger, schick mir so ein Weib in Wirklich…«
»Schweig!«, fuhr ihn der Maler zornig an und hob gebieterisch die Hand. Wie gut sich der schwarze Samt seines Handschuhs mit dem wie aus Silberfäden gewirkten Haar machte, dachte Bramante, der ihn mit zusammengekniffenen Augen betrachtete.