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»Oh, mein Kopf«, stöhnte er und versuchte, seinen schweren Schädel so wenig wie möglich zu bewegen.

Der Mann aus Vinci nahm indes keine Rücksicht auf Bramantes Zustand, sondern redete mit der größten Ungeduld auf ihn ein. Er habe verstörende Nachrichten aus Florenz erhalten. Der Dichter Angelo Poliziano solle in wahnsinniger Raserei elend zugrunde gegangen, die Medici vor dem fanatischen Prediger Savonarola und seinem Anhang geflohen sein, und Graf Mirandola liege, vom Fieber geschlagen, krank darnieder. Von Giuliano da Sangallo konnte man keine Hilfe erwarten, da dieser in Rom weilte und deshalb nicht eingreifen konnte. Landino war zu alt und lebte inzwischen auf seinem Landgut, Gleiches galt für Ficino. Und Giovanni de Medici war für diese Aufgabe nicht nur zu jung, sondern hatte selbst, um sein Leben zu retten, als Mönch verkleidet fliehen müssen. Außer Pico schien sich keiner der Fedeli d’Amore mehr in der Arnostadt aufzuhalten. Ein Bundesbruder müsse sogleich aufbrechen, um nach ihrem Prior zu sehen, und, falls Pico tatsächlich der Hilfe bedurfte, ihm diese angedeihen lassen.

Bramante, der den Grafen ins Herz geschlossen hatte, zögerte keine Sekunde. Aus einer Karaffe, die neben dem Bett stand, goss er sich einen Schluck abgestandenen Weines in den Mund, schüttelte sich und rief nach seinem Diener.

»Giorgio, Lumpenhund, Bastard, elender, hol meine Reisesachen raus, sattle mein Pferd, ich muss weg!«, brüllte er. Hastig zog er Hose, Wams und einen Stiefel an, während er nach dem zweiten Ausschau hielt. Als Giorgio erschien, erteilte er ihm kurz Anweisungen für die Zeit seiner Abwesenheit. Dann suchte er, auf einem Bein hüpfend, weiter nach dem zweiten Stiefel. Schließlich legte er sich auf den Bauch, ließ seinen Blick über den Boden gleiten und entdeckte ihn unter dem Bett. Weil seine Arme aber nicht lang genug und der Bauch zu dick war, als dass er ihn hätte erreichen können, trieb er Giorgio an, seinen Stiefel hervorzuangeln. Als der hagere Diener diesen endlich in der Hand hielt, riss ihm der Architekt das Schuhwerk aus der Hand und schlug ihm damit einmal derb auf den Rücken, weil er so lange gebraucht hatte.

Zum Abschied nickte Bramante Leonardo zu. Der Freund war wie immer fein herausgeputzt. Nur seine langen Haare, die sonst in elegantem Schwung bis auf die Schulter fielen, hatten sich verwirrt, als hätte er sich zuvor gerauft, was so gar nicht seiner Natur entsprach.

Bramante eilte ins nächste Zimmer, griff seinen Geldbeutel, wählte mit Bedacht zwei Dolche und ein Rapier als Bewaffnung aus, verließ eilig das Haus und schwang sich auf seinen Rappen, dem er härter als gewollt die Sporen gab. Auf dem Weg von Mailand nach Florenz kam er nur aus dem Sattel, wenn er unterwegs die Pferde wechselte, die er fast zu Tode hetzte. Er war tief beunruhigt über das, was er von Leonardo gehört hatte. Diesmal nahm er sich nicht wie sonst die Zeit, um zu rasten, zu trinken, zu schlemmen und zu huren. Auch waren die Umstände nicht danach, denn kurz hinter Mailand begann der Krieg. Neben all den wohlvertrauten Gräueln wie Mordbrennen, Foltern und Vergewaltigen kam diesmal noch eine Krankheit dazu, die von den Franzosen, wie man ihn eindringlich gewarnt hatte, mit dem Schwanz verbreitet wurde und so vom Mann auf die Frau und von der Frau wieder auf den Mann sprang und an der man elendig und im Wahnsinn zugrunde ging. Die Zeiten waren rau, und der zarte Graf war es nicht. Bramante musste sich also eilen.

Sobald er die Lombardei verlassen und das Großherzogtum Toskana erreicht hatte, schlug ihm unverkennbar der bestialische Gestank des Krieges entgegen. Dreck und Blut, zerstörte und geplünderte Ortschaften, umherliegende Leichen, ein Trupp Söldner, um den er lieber einen Bogen machte, trieben ihn nur stärker zur Eile an. Ein ihm unvertrautes Gefühl der Trauer überkam ihn, trist wie das Novemberwetter mit seinen Nebelfetzen, seinen kühlen Regenschauern, seinem Grau. Von der Straße aus konnte er die Feldlager der Söldnerhaufen sehen. Die kläglichen Feuer vor den Zelten schwelten mehr, als dass sie loderten, weil das Reisig feucht war.

5

Florenz, Anno Domini 1494

Nach dreieinhalb Tagen scharfen Rittes und kaum Schlaf erreichte Bramante endlich den Arno. Kälte und Nässe waren ihm inzwischen bis in die Knochen gedrungen, und er zweifelte nicht im Geringsten daran, dass er sich das Rheuma oder die Gicht in den Leib geholt hatte. Auf dem Fluss trieb der aufgedunsene Kadaver einer Kuh, der zu platzen drohte. Ein Anblick, der ihn melancholisch stimmte.

Während er noch im Banne des Saturns weilte, erhob sich vor ihm die Stadtmauer. Das Tor wurde zwar bewacht, aber eher nachlässig. Grauschwarz und feucht, wie sie waren, wirkten die hohen Stadtmauern ohnehin schon abweisend genug. Die Besatzung machte nicht den Eindruck, dass sie sich bei einem Angriff zur Wehr zu setzen gedachte.

Das Leben in der Stadt, auf den Straßen und Plätzen kam Bramante verändert vor. Auf irgendeine Weise ungeordnet, aus dem alltäglichen Rhythmus geraten, als würde keine Macht, keine Obrigkeit mehr gelten. Wie Gottes verlassene Welt, dachte er und erschrak sogleich über den Gedanken. Gebückte Menschen, die in ihren Lumpen wie Aasgeier wirkten, boten Gegenstände zum Tausch an, die ihnen wohl kaum gehörten. Offensichtlich hatten sie die Dinge beim Plündern der Häuser der Gefolgsleute der Medici an sich gebracht. In einer der Gassen versperrte ihm ein zerkratzter Tisch mit drei Beinen den Weg. Bramante stieß ihn mit dem Fuß im Steigbügel zur Seite. Schmutz, Abfall und Scherben bedeckten das Straßenpflaster wie eine zweite, von Blattern entstellte Haut. Außer den einfachen Huren wagten sich keine Frauen hinaus, auch nach vornehmen Männern hielt er vergeblich Ausschau. Es war die Stunde des Gesindels.

Eine dumpfe Niedergeschlagenheit senkte sich über Bramantes Gemüt. Er achtete nicht auf die Zurufe der Leute, sondern lenkte sein Pferd sogleich zum Dom, in dessen Nähe Giovanni Pico della Mirandola wohnte.

Vor dem kleinen Haus des Grafen sprang er ab, die Dolche griffbereit, und band sein Pferd an einen der drei eisernen Ringe, die in das Mauerwerk eingelassen waren. Dann nahm er das Rapier vom Sattel und steckte es in sein Wehrgehänge. Als er an die Tür klopfte, öffnete sie sich sogleich. Sie war nur angelehnt gewesen. Da ihm niemand entgegenkam, ging er hinein.

»Herr Graf! Pico!«, rief er mehrmals laut, erhielt aber keine Antwort. Weder im Vestibül noch in der Küche fand sich ein Mensch, obwohl im Herd noch ein Feuer brannte. Wo zum Teufel trieb sich der Hausdiener herum, wo war der Sekretär? Pico hatte den jungen Mann doch immer als Muster der Zuverlässigkeit gepriesen! Wo steckte denn nun der Hochgelobte?

Bramante zermarterte sich das Hirn, aber er kam nicht mehr auf den Namen des Sekretärs. Mit unguten Vorahnungen stürmte er die Steintreppe zum studiolo hinauf. Wieder klopfte er an, niemand forderte ihn auf einzutreten. Er schob die mit reichen Schnitzereien versehene Eichentür auf. Picos Arbeitszimmer wirkte düster, weil die vielen Bücher in den Regalen und der große Schrank aus Ebenholz linker Hand den Raum kleiner erschienen ließen, als er tatsächlich war. Bramante stieg der scharf-säuerliche Geruch von Erbrochenem in die Nase.

Der Hausherr saß an seinem Schreibtisch. Kopf und Oberkörper waren auf die Platte gesunken, so als ob der Graf über der Lektüre eingeschlafen wäre.

»Bruder Giovan!«, sagte Bramante. Der Graf regte sich nicht. »Bruder Giovan«, rief der Architekt lauter. Dann ging er auf den Schreibtisch zu, schlug einen Bogen um die blassrosa Masse am Boden und berührte den Freund sacht an der Schulter. Picos Körper sackte in sich zusammen, rutschte vom Stuhl und schlug hart auf dem Boden auf. Leblos wie eine Gliederpuppe, Körperteil für Körperteil. Bramante bückte sich zu dem Freund hinunter und sah entsetzt in seine starren Augen. Sie waren kalt, kalt wie blauer Hyazinth und konnten doch den Irrsinn der Zeit nicht heilen. Nein, diese Augen gehörten nicht zu Pico, ihnen fehlte die Ironie, der freundliche Spott, die menschliche Wärme, die ihn ausgezeichnet hatte. Es waren die Augen eines anderen, eines Toten. Mit letzter Hoffnung nahm Bramante eine Schreibfeder vom Tisch und hielt sie dem Gelehrten vor den Mund. Nicht einmal der Flaum bewegte sich.