Michelangelo sah Giovanni Morone bewundernd an. Der vollkommene Politiker, allerdings mit Gewissen und Überzeugungen.
»Heilige Jungfrau Maria!«, rief Pole aus, dem bei Morones Worten alles Blut aus dem Gesicht gewichen war. »Wenn es möglich ist, lasst diesen Kelch an mir vorübergehen!«
Giovanni Morone bekreuzigte sich, bevor er sprach. »Es ist nicht möglich, Reginald. Im Ernst, ich sehe den nächsten Papst vor mir. Du bist geehrt, geachtet. Du besitzt Charisma, und du weißt, dass Charisma eine Gottesgabe ist. Deine Familie und auch du persönlich, ihr habt Opfer, Blutopfer für unsere gute katholische Sache gebracht. Ein Licht des Martyriums deiner Mutter fällt auf dich. Hinzu kommt, dass du ein begnadeter Prediger bist und ein exzellenter Theologe. Du bist unser Papst!«
»Giovanni hat recht«, pflichtete ihm Vittoria bei.
»Wir müssen vorsichtig sein und für das nächste Konklave Reginald den Boden bereiten«, sagte Contarini und malträtierte wieder seinen langen Bart, wie er es nur allzu gerne tat.
Zur gleichen Zeit, als die Reformer im Garten des Kloster San Silvestro al Quirinale über die Zukunft der Kirche sprachen, begab sich Ascanio zu seiner Geliebten, einer Wirtin in Trastevere. Er war gerade im Begriff, das Haus zu betreten, als er sich von mehreren Bewaffneten umstellt sah, die ihm aufgelauert hatten.
»Ascanio Romano?«, herrschte ihn ein stattlicher Mann mit einem schwarzen Bart an.
»Wer will das wissen?«
»Die Römische Inquisition. Ihr müsst uns begleiten. Kardinal Carafa wünscht Euch zu sprechen.«
Ascanio runzelte die Stirn. Zu Glaubensfragen hatte er sich nie geäußert. Was wollte man also von ihm? »Bin ich verhaftet?«
Der Bärtige lächelte breit. »Zu einem Gespräch eingeladen.«
Gegenwehr hätte nur ein schlechtes Gewissen eingeräumt, und dazu hatte Ascanio keinen Grund. Außerdem gehörte der Kardinal zu den Freunden des Hauses. Wortlos marschierte er mit den Bewaffneten zum Borgo. Vor ihnen lag die Baustelle des Petersdomes. Links die Vierung, die in den Himmel ragte, dann ein leerer Zwischenraum, bevor sich die im Vergleich niedrige alte Basilika anschloss, seltsam verloren angesichts des vor ihr wachsenden Neubaus, der sich gefährlich zu ihr hinfraß, als Stütze hinter sich nur das Atrium, das die Canonica verdeckte, und schließlich der Glockenturm von Santa Maria in Turri und davor die Benediktionsloggia. Vor der Canonica hatte man einen wehrhaften Palast erbaut, der Selbstbewusstsein und Uneinnehmbarkeit ausstrahlte. Wie an diesem Tag bekannt wurde, hatte ihn Gian Pietro Carafa in weiser Voraussicht als Sitz der Römischen Inquisition errichten lassen.
Die Bewaffneten führten Ascanio durch ein eisenbewehrtes, zweiflügeliges Tor in einen heiteren Innenhof. Vier Wege schnitten zentral durch die Rasenflächen und liefen in der Mitte des Hofes zusammen, wo ein zweischaliger Springbrunnen stand. Sie hielten sich rechts und betraten das Gebäude. Zu beiden Seiten verliefen helle Gänge mit hohen Fenstern. Wäre Ascanio dem Gang gefolgt und hätte sich weiter rechts gehalten, wäre er zu einem noch in der Fertigstellung befindlichen Vorbau gelangt, in dem kleine Fenster nur wenig Licht hereinließen und in dem die Zellen der Ketzer untergebracht werden sollten. Einstweilen wurden die Häretiker noch in der Engelsburg eingekerkert. Die Zellen im Erdgeschoss des Inquisitionspalastes waren ohnehin nur als Untersuchungsgefängnis gedacht und als Todeszellen, denn eine Verurteilung zum Feuertod zog die rasche Vollstreckung des Urteils nach sich.
Der Bärtige führte Ascanio nun allein über die Freitreppe hinauf ins erste Obergeschoss, wo die Versammlungs- und Arbeitsräume der Inquisitoren lagen; darüber befanden sich Wohnräume. In einem mit roten Samttapeten eindrucksvoll ausgestatteten Audienzsaal ließ er sich von Ascanio die Waffen aushändigen und begab sich in den Vorraum. Dieser musste nicht lange warten. Durch eine kleine Tür an der gegenüberliegenden Seite trat Kardinal Carafa ein und ging auf Ascanio zu, der sich verbeugte. Der Kirchenfürst hielt ihm den goldenen Ring hin, in den ein Kreuz aus Ultramarin eingearbeitet war.
»Erhebe dich, mein Sohn«, sagte der Kardinal und bot ihm einen Platz auf einem Lehnstuhl an. Er selbst ließ sich auf einer kleinen Chaiselongue mit rotem Samtpolster nieder. Ascanio schwieg abwartend und machte dabei ein gleichgültiges Gesicht.
»Du fragst dich sicher, mein Sohn, was die Inquisition von dir will? Und es wird dir die eine oder andere Sünde einfallen«, begann der Kardinal.
»Sünde schon, aber nur von der Art, dass sie nach einer Beichte und nicht nach einem Verhör ruft«, räumte Ascanio ein. Er spürte, dass es dem Großinquisitor um etwas anderes ging.
»Du bist dir also keiner Schuld bewusst?«
»Mein Gewissen ist rein, Eminenz.«
Gian Pietro Carafa nickte mit undurchdringlicher Miene. Ascanio hatte zu viel in seinem Leben erlebt, um sich einschüchtern zu lassen. Wie hatte Bramante immer gesagt? Alles, was geschieht, steht schon im Himmel verzeichnet.
»Dann tu alles dafür, dass es so bleibt, mein Sohn«, fuhr der Glaubenskämpfer fort. »Wir geben dir Gelegenheit dazu, denn wir brauchen deine Hilfe. Und wir bitten dich nicht darum, sondern wir befehlen dir im Namen Gottes, uns zu unterstützen in unserem aufopferungsvollen Kampf. Unsere Kirche ist bedroht. Schlimmer als die Ketzer von außen sind die Häretiker im Innern, die unter dem Deckmantel der Reform innerhalb der Kirche die Herrschaft des Satans errichten wollen, Christi und der Menschen Feinde. Gegen sie zu kämpfen, ist die heilige Pflicht jedes rechtgläubigen Menschen. Ein Mann hat nur einen Grund, sich zu weigern, nämlich den, dass er selbst ein Ketzer ist. Du verstehst, mein Sohn, was ich dir damit sagen will?«
Ascanio wunderte sich, wie Antonio mit diesem Fanatiker, der nach Feuer und Folter roch, auf vertrautem Fuß stehen konnte.
»Verstehst du mich?«, hakte der Kardinal nach.
»Aber ja, vollkommen, Eminenz.«
»Gut. Bei Strafe der Exkommunikation verbiete ich dir, über alles, was du nun hören wirst, zu sprechen. Ein Wörtchen zu einem Dritten, und du findest dich erst auf dem Scheiterhaufen und anschließend in der Hölle wieder. Schwöre bei Gott und bei deinem Seelenheil, dass du über alles, was ich dir sagen werde, strengstes Stillschweigen bewahren wirst!«
»Ich schwöre bei Gott und meinem Seelenheil.«
»In Ewigkeit. Amen. Soviel ich weiß, hast du als Landsknecht bei dem Condottiere Ferrante Francesco d’Avalos, Marchese di Pescara gedient.«
»Ein guter Mann, ja. Und wie alle guten Männer hat ihn der Herr zu früh abberufen.« Ascanio konnte sich dieser Spitze gegen Carafa nicht enthalten, denn der Kardinal war zehn Jahre älter als der Söldnerführer, der bereits 1525 einer Verletzung erlegen war. Ascanio erinnerte sich, dass damals auch von Gift gemunkelt wurde.
Der Großinquisitor ließ nicht erkennen, ob er den Seitenhieb bemerkt hatte, sondern fuhr ungerührt fort. »Lass das nur getrost die Sorge des Herrn sein, wann er wen abberuft. Soviel ich weiß, hast du für den Marchese eine Weile als Liebesbote fungiert und die Briefe des Marchese an die Marchesa und ihre Antworten befördert.«
Ascanio zuckte innerlich zusammen. Der Inquisitor war erstaunlich gut unterrichtet. Verräter und Zuträger gab es immer.
»Du bist also der Marchesa wohlbekannt. Geh zu ihr! Sag, dass du eine Arbeit brauchst und in ihre Dienste treten möchtest. Die eitle Frau wird es dir nicht versagen. Christi schlimmste Feinde hat sie um sich versammelt: Pole, Morone, Contarini, und soviel ich weiß, verkehrt in ihrem Haus auch dieser teuflische Maler, der wie zum Hohn Michelangelo heißt. Richtiger hieße er Michel Diavolo.«
»Verzeiht, Eminenz, ich bin nur ein schlichtes Landsknechtsgemüt. Ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt!«
Ascanio hatte den Kardinal nur zu gut verstanden, er sollte zum Verräter werden, zum Zuträger, zum Denunzianten, zum Spitzel. Lieber wollte er sterben. Niemals!
»Für ein schlichtes Landsknechtsgemüt hast du dem heiligmäßigen Kardinal Catalano beachtliche Schwierigkeiten bereitet, der nur den Glauben und die Kirche schützen wollte. Täusche dich nicht, mein Sohn! Ich bitte dich nicht! Du wirst tun, was ich dir sage! Eine Untersuchung deiner Rechtgläubigkeit würde auch dein Umfeld mit einbeziehen müssen. Die ganze Familie Sangallo: Lucrezia, Antonio, die Kinder.« Der Kardinal ließ die unverhohlene Erpressung eine Weile auf Ascanio wirken und fuhr dann fort: »Manfredo hast du ja schon kennengelernt. Einmal im Monat erstattest du ihm Bericht, was die Teufel im Hause Colonna so alles aushecken. In dringenden Fällen wartest du nicht, sondern wendest dich gleich an ihn. Wage nicht, mir etwas zu verschweigen. Ich habe noch andere Augen und Ohren!« Der Kardinal erhob sich. »Nun geh und tu, was ich dir gesagt habe.« Seine Augen funkelten. Ohne Ascanio zu segnen, strebte er dem Ausgang zu.