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Zu seiner Geliebten zog es Ascanio nach dem Gespräch mit dem Großinquisitor nicht mehr. Er musste nachdenken. Ein Großteil seines Lebens hatte er diese Familie beschützt, erst Imperia, dann Lucrezia, schließlich hatte er sie vor den Landsknechten während des Sacco di Roma gerettet. Er durfte sie nicht in Gefahr bringen. Andererseits konnte er auch nicht die Marchesa ausspionieren, das würde Verrat an ihrem toten Mann bedeuten. Er musste einen Ausweg finden!

Als er in den Palazzo der Familie Sangallo zurückkehrte, überfiel ihn gleich das geschäftige Treiben, das turbulenter als sonst das Gebäude erfüllte, denn man bereitete die Hochzeit von Bartolomeo vor, Lucrezias jüngstem Sohn. Er sollte Esmeralda heiraten, die jüngste Schwester Arnoldo di Maffeos. Ascanio bat Lucrezia, mit ihm einen Spaziergang zu unternehmen.

Sie gingen in Richtung der Piazza del Popolo, wo auch die Kirche Santa Maria lag. Raffael hatte dort die Kapelle gleich neben Imperias letzter Ruhestätte gestaltet, in der Agostino Chigi beigesetzt war. Schweigend hörte sich Lucrezia Ascanios Schilderung bis zum Ende an. Er konnte spüren, dass sie angestrengt nachdachte.

»Die Familie muss beschützt werden!«, sagte sie schließlich. »Das ist das Erste und das Letzte. Darum bitte ich dich, Ascanio, bringe kein Unheil über unsere Familie. Das Opfer meiner Mutter wäre sonst vergeblich gewesen.« Tränen traten ihr in die Augen.

»Nein, natürlich nicht!« Er liebte diese Frau noch immer, niemals könnte er ihr schaden.

»Wenn du dich von Antonio verabschiedest, sag ihm nicht den wahren Grund. Er bringt es fertig und beschwert sich beim Papst. Männer und ihre Ehrbegriffe!«, seufzte sie ein wenig bitter und verdrehte die Augen. »Er ist ein guter Baumeister, aber er ist kein Genie wie Bramante, Raffael oder dieser düstere Michelangelo. Und weißt du, ich bin froh darüber, denn es lebt sich mit einem Menschen angenehmer als mit einem Genie. Aber weil er kein Genie ist, benötigt er Protektion, auch Carafas Wohlwollen!«

Ascanio hatte verstanden. Er wurde bei Vittoria Colonna vorstellig, erinnerte sie an die alten Zeiten, an ihren Gemahl, den sie in Gedichten besungen und dem sie bis zu diesem Tag die Treue gehalten hatte, denn sie war Witwe geblieben. Nachdem sie eine Weile über die ferne Vergangenheit gesprochen hatten, bat Ascanio, in ihre Dienste treten zu dürfen. Sie nahm ihn gern auf, schon weil er sie an ihren Mann erinnerte.

Ascanio feierte noch Bartolomeos Hochzeit mit, dann nahm er schweren Herzens Abschied von Antonio und den Seinen. Der Architekt verstand zwar den alten Haudegen nicht, musste sich aber dessen Entschluss fügen. Wer kannte sich mit den Fechtern schon aus? Es waren doch recht seltsame Leute, die ihr Leben auf der Degenspitze balancierten.

Ascanio konnte sich Vittoria nicht anvertrauen, denn er wusste nicht, wie sie reagieren würde. Deshalb beschloss er, Manfredo hinzuhalten, indem er ihn mit Banalitäten und Finten abspeiste, um herauszufinden, wer von den Hausangestellten für die Inquisition arbeitete. Vor allem wollte er Zeit gewinnen. Je länger er in Vittorias Diensten stand, desto schwieriger würde es für Carafa, die Familie Sangallo in ein Verfahren gegen ihn mit hineinzuziehen. Außerdem war der Kardinal nicht mehr der Jüngste – irgendwann musste ihn ja der Teufel holen.

Das Spiel fand auf Messers Schneide statt. Ascanio durfte nicht so wenig liefern, dass es auffiel, und dennoch musste das Material letztlich für die Inquisitoren nutzlos sein. Es gelang ihm, zwei Zuträger unter Vittorias Hauspersonal herauszufinden. Nun wurde es Zeit, mit der Marchesa darüber zu reden. Vittoria dankte ihm, informierte ihre Freunde, auch Michelangelo, dass die Inquisition gegen sie ermittelte, und sprach mit dem Papst. Paul III. bestellte Gian Pietro Carafa ein. Er lobte seinen Eifer in der Bekämpfung der Ketzer, doch kurz vor dem Ende der Audienz wich plötzlich alle Freundlichkeit aus seinem Gesicht, und er drohte dem Großinquisitor: »Halte dich daran, Gian Pietro, unberührbar sind die Marchesa di Pescara, die Kardinäle Morone, Pole und Contarini, schließlich Michelangelo!«

Carafa musste mit dem heiligen Eid schwören, nicht gegen die Genannten zu ermitteln. Von diesem Tag an nahm Manfredo keinen Kontakt mehr zu Ascanio auf. Der Großinquisitor setzte die Untersuchungen zwar fort, aber wesentlich vorsichtiger. Er konzentrierte sich nun auf das Umfeld des Kreises der Vittoria Colonna, die er wirklich für eine Teufelin hielt. Manchmal träumte Gian Pietro Carafa, dass Gott ihn mit glühenden Ruten züchtigte, weil er zu wenig Ketzer fing.

56

Rom, Anno Domini 1546

Die Engel hatten für das Wetter gesorgt – es war warm, ohne heiß zu sein. In Santa Maria del Popolo hatte die Großfamilie Sangallo die Taufe ihres jüngsten Sprosses gefeiert. Esmeralda, Bartolomeo da Sangallos Frau, hatte eine Tochter zur Welt gebracht, die den Namen Isabella erhielt. Der stolzen Großmutter Lucrezia war es gelungen, den mächtigen Kardinal Carafa als Paten für ihre Enkelin zu gewinnen und die Taufmesse zu zelebrieren. Bei der anschließenden Feier platzte der Palazzo aus allen Nähten. Es war ein Treffen der römischen Bauzunft. Alle Mitglieder der Familie da Sangallo kamen, die Barozi, Arnoldo di Maffeo mit seinen Geschwistern, Kindern und Enkeln, Nanni di Baggio Bicci mit seinem Anhang. All die Bauunternehmer und Steinmetzmeister, die etwas auf sich hielten, brachten Geschenke. Andersherum gehörten diejenigen, die nicht eingeladen waren, nicht zu den großen Meistern der Zünfte.

Stolz schaute Lucrezia auf ihre Familie. Auf ihre Macht. Auf ihre Bürgerlichkeit. Dann spürte sie Traurigkeit in sich aufsteigen, weil ihre Mutter das alles nicht mehr hatte erleben dürfen. Wie glücklich wäre Imperia gewesen, wie froh und wie stolz zugleich! Antonios Hand entführte sie aus der Wehmut in einen furiosen Springtanz, eine Saltarella. Verliebt wie ein junges Mädchen strahlte sie ihn an. Sein Haupt mochte ergraut sein, aber Sprünge bekam er noch hin, um die ihn jeder junge Mann beneidete. Er legte seine Hände um ihre Hüften und hob sie hoch, drehte sie im Kreise und setzte sie wieder ab.

»Nicht so wild, Antonio«, rief sie ganz außer Atem.

»Wild?«, lachte er. »Wild? Noch bin ich zahm. Warte erst, bis ich wild werde!« Dann ließ er sich auf die Knie fallen. Unverzüglich bildete sich ein Kreis um sie. Antonio breitete die Arme aus. »Ich bin immer noch wild nach dieser jungen Frau dort. Es ist nur schade, dass ich sie nicht vom Fleck weg heiraten kann, da wir leider schon verheiratet sind.« Dann sprang er auf, vollführte zwei Sprünge. »He«, rief er den Männern zu. »Wollt ihr euch wohl um eure eigenen Frauen kümmern! Diese hier ist schon vergeben, und wer anderes denkt, bekommt meine Faust zu schmecken!«

Alle lachten über Antonios Späße und tanzten weiter. Lucrezia dankte im Stillen Gott, bevor sie sich dem wilden Rhythmus der Musik hingab. Als sie wieder zu Antonio schaute, sank er erneut in die Knie.

»Antonio, es reicht«, schalt sie ihn, denn allmählich begann er zu übertreiben. Aber er antwortete nicht, sondern schlug mit dem ganzen Körper auf. Kalt griff die Angst nach ihr. »Antonio! Hör auf mit diesen Scherzen!« Sie beugte sich zu ihm. Seine Augen starrten sie an. Die Freude über die Schönheit der Welt hatte sich in der Kälte des Todes erhalten und ihn besiegt, denn Antonio da Sangallo war im wahrsten Sinne des Wortes im Glück gestorben.