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Zornig, erregt und in – wie Carafa fand – skandalös nachlässiger Kleidung stürmte Michelangelo in die Kapelle. Nach einer knappen Verbeugung begann er zu sprechen, noch bevor er vom Papst dazu aufgefordert worden war. »Heiliger Vater! Zu meinem Bedauern muss ich meine Arbeit als Architekt niederlegen!«

»Aus welchem Grund?«

»Weil ich kein Knecht der Baukommission bin. Die Deputierten der Fabbrica di San Pietro glauben, mir alles vorschreiben zu können. So kann ich nicht bauen!«

Paul III. gab die Anweisung, so schnell wie möglich Vertreter der Baukommission herbeizuschaffen. Während sie warteten, unterhielt er sich mit dem Maler über die Bekehrung des Saulus, des gelehrten Mannes und Christenverfolgers, der in Michelangelos Version das grundstürzende Erlebnis, Christus zu sehen, als alter Mann hatte. Das hohe Ross, auf dem er saß, warf ihn ab, und erst da, am Boden liegend, wurde ihm die Erkenntnis zuteil. Inzwischen waren Bartolomeo da Sangallo und der Bauunternehmer Arnoldo di Maffeo als Vertreter der Baukommission eingetroffen.

»Was ist gegen diesen Mann vorzubringen?«, fragte der Papst ruhig und wies auf Michelangelo. Bartolomeo verneigte sich tief, bevor er begann: »Heiliger Vater, mein Vater Antonio hat in dem Modell, das Euch so gut gefällt, für jetzt und alle Zeit den Fortgang des Baus festgelegt.«

»Und alle Zeit wird es brauchen, das Monstrum zu errichten!«, rief Michelangelo dazwischen.

»Da hört Ihr es ja selbst, Eure Heiligkeit. Das Modell soll aus dem Petersdom gebracht werden. Und dann soll nach den Grillen dieses Mannes, der nicht einmal ein Architekt ist, gebaut werden!«, schimpfte Bartolomeo.

Paul III. schaute gespannt zu Michelangelo. Auch der Großinquisitor fixierte den Künstler voller Neugier, welche Argumente dieser vorbringen würde. Wenn er ihn auch nicht mochte und ihm misstraute, so empfand er doch Achtung gegenüber seinem Sachverstand.

Michelangelo schüttelte den Kopf. »Es ist ganz einfach, wir müssen zu Bramantes Ideen zurückkehren und den Grundriss des neuen Domes verkleinern. Nur dann können wir ihn auch fertigstellen. Wir sparen ein Jahrzehnt und mindestens dreihunderttausend Dukaten. Kehren wir zu Messèr Donatos heiligem Entwurf zurück, zu einer Kuppel, die so schön gewölbt und so klar geführt ist, dass sie den Himmel symbolisiert. Große, klare Formen – nicht diese beängstigenden kleinteiligen Steinmassen, Steine, die immer neue Steine gebären. Im Tambour Fenster, Fenster in der Kuppel, über der Kuppel ein Oculus, Gottes Auge, die Seitenwände mit durchgehenden Pilastern verkleidet und wiederum großen Fenstern, dass Gottes Licht in seiner Schönheit und Klarheit ungehindert in sein Haus dringen kann. Und wenn es stimmt, was die Heiligen sagen, dass Gott Licht ist, dann geht es darum, dass wir ihn selbst in sein Haus bitten und ihn nicht durch kleine Löcher, die niemand, der bei Verstande ist, Fenster nennen kann, aussperren. Im Innern ein einziger großer Raum mit vier Kreuzarmen, nicht diese vielen kleinen, dunklen Kapellen, in denen die Huren unentdeckt ihr schmähliches Handwerk ausüben können. Und schließlich, was sollen diese Umgänge? Und diese Türmchen und der lächerliche Riegel vor Gottes Haus?

Das Modell verschwindet von meiner Baustelle, die Juliuskapelle wird abgerissen, und ich baue nach Donatos und meinen Vorstellungen in kleinerem Maßstab die Kirche. Wer auf meiner Baustelle arbeitet, bleibt mir überlassen. Niemand hat mir in künstlerischen Fragen hereinzureden. Die Baukommission ist einzig und allein dazu da, das Geld zu beschaffen, das ich benötige«, schloss Michelangelo atemlos. »Das sind meine Forderungen, wenn ich die Verantwortung übernehmen und Gottes Haus zu Ende bauen soll!«

Gian Pietro Carafa gestand sich widerwillig ein, dass die Forderungen und Vorstellungen des Künstlers kühn, aber nicht von der Hand zu weisen waren.

»So wie es Michelangelo gesagt hat, soll es sein«, entschied Paul III. mit einem freundlichen Lächeln. »Wir werden es in einem Motu Proprio festhalten für jetzt und alle Zeit. Eines kommt aber noch hinzu: Michelangelo ist für auftretende Schäden rechtlich nicht haftbar zu machen!« Mit diesem Zusatz schob der Papst jeder Möglichkeit, dem Künstler durch Anschläge zu schaden, einen Riegel vor.

»Und du, Arnoldo di Maffeo, bist entlassen. Nimm deine Leute und geh!«, sagte Michelangelo ruhig. Für ihn war der Ausgang dieser Audienz kein Triumph, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Michelangelo hatte alles erreicht, was er wollte, dennoch führte er weiter auf der Baustelle einen Kleinkrieg gegen die offenen und versteckten Anhänger von Antonio da Sangallo und Arnoldo di Maffeo. Zwar gab es einen Baumeister, dem er vertraute, doch dieser wurde gefangen gesetzt, weil er einen Wirt erschlagen hatte, mit dessen Frau er ein Verhältnis unterhielt. Während sich Michelangelo nach einem neuen Vertrauten umsah, wurde er das Gefühl nicht los, dass jenes verhängnisvolle Eifersuchtsdrama von Arnoldo eingefädelt worden war.

Rom, Anno Domini 1549

Und dann kam der Tag, an dem Paul III. starb. Es war der 10. November. Noch als Kardinal hatte Alessandro Farnese mit seiner Geliebten Silvia Ruffini eine Tochter und zwei Söhne gezeugt, die er als Papst legitimieren ließ, damit die Farnese nicht ausstarben. Zunächst war Michelangelo guter Dinge, weil es so aussah, als würde Reginald Pole, den Paul III. auf seinem Totenbett ausdrücklich empfohlen hatte, seine Nachfolge antreten. Ihm fehlten noch zwei Stimmen. Vor dem entscheidenden Wahlgang aber präsentierte Gian Pietro Carafa dem Kardinalskollegium Akten, die angeblich bewiesen, das Reginald Pole in seiner Residenz in Viterbo nicht nur Ketzer beschützte, sondern auch selbst einer war, ein verkappter Lutheraner. Man einigte sich schließlich auf Giovanni Maria Ciocchi del Monte, einen Verwaltungsfachmann, der als Julius III. den Papstthron bestieg und Wachs in Carafas Händen war. Nach dessen Tod 1555 – und einem kurzen Zwischenauftritt von Marcellus II. –wurde Gian Pietro Carafa dann selbst zum Stellvertreter Christi gewählt. Nun konnte er frei und ohne Rücksichten zu nehmen die Ketzer verfolgen. Er regierte nicht mit dem Kardinalskollegium, sondern mit der Inquisition, die er selbst geschaffen hatte. Aus einer unerklärlichen Sentimentalität heraus wählte er im Gedenken an Alessandro Farnese, den Gefährten aus den Tagen der Archiconfraternita, den Papstnamen Paul IV.

Die Nachricht erreichte Michelangelo auf der Baustelle, wo ihm Ascanio schilderte, was sich ereignet hatte. Nach dem Tod der Vittoria Colonna war Ascanio in Michelangelos Dienste getreten. Seinen Lohn erhielt er von Freunden Michelangelos, die wussten, wie gefährdet das Leben des Architekten war. Atemlos berichtete der alte Fechter ihm, dass Giovanni Kardinal Morone von der Römischen Inquisition gefangen genommen und in den tiefsten Kerker der Engelsburg mit Namen Morocco geworfen worden war. Michelangelo zitterte am ganzen Leib. Er ließ sich nach Hause geleiten und legte sich, von Fieberanfällen geschüttelt, auf sein Lager. Wenn er nicht vor Erschöpfung schlief, betete er. Nun war niemand mehr sicher.

Kurze Zeit später, als sich Michelangelo gerade wieder erholt hatte, kürzte ihm Paul IV. in beleidigender Weise die Bezüge, um ihm zu zeigen, was er von ihm hielt. Mehr geschah jedoch nicht. Bei allem Widerwillen, den Carafa gegen Michelangelo empfand, sagte ihm offensichtlich ein Rest von Vernunft, dass jener der Einzige war, der den Petersdom fertigstellen konnte. Und das Ärgernis der ewigen Baustelle musste so schnell als möglich beseitigt werden, denn sie blieb ein Quell von Ungemach.

Als Michelangelo wieder einen Baumeister gefunden hatte, dem er vertraute, wurden die Arbeiten an der Halbschale der Apsis durch Intrigen derart unsachgemäß ausgeführt, dass alles wieder abgebrochen werden musste. Für den Architekten war das eine Katastrophe – es warf ihn um ein Jahr zurück. Und in seinem Alter – er zählte inzwischen zweiundachtzig Jahre – wog ein Jahr für zehn Jahre. Es wurde ihm alles viel zu viel, doch Michelangelo konnte nicht von dieser Arbeit lassen. Der Bau an Sankt Peter war ihm inzwischen zum Gottesdienst geworden, und die Kuppel des Himmels zu errichten, verstand er als ein Werk der Liebe. Selbst als Paul IV. ihm ausrichten ließ, er ertrage die vielen Nackten, die Genitale der Heiligen in der Sixtina nicht länger, nahm der Künstler die Demütigung hin und bat seinen Freund und Gehilfen Daniele da Volterra, die anstößigen Stellen so zu übermalen, als seien sie mit Stoff bedeckt. Daniele kam Michelangelos Bitte mit blutendem Herzen nach und wurde dafür schon bald als »Höschenmaler« verschrien. Aber wie hatte Michelangelo zu ihm gesagt? »Daniele, mein Sohn, es ist besser, wir machen es selbst, als wenn jemand daran herumpfuscht, der unsere Kunst hasst.«