Überall in seinem Haus hatte er Kandelaber aufstellen lassen, aus Silber, aus Gold, neue und alte, so viel er finden konnte. Dann hatte er Ascanio losgeschickt, um für ein kleines Vermögen Kerzen zu erwerben. Taghell sollte es sein, wenn Messèr Giorgio die Dame seines Herzens malen würde. Das Porträtieren würde ein intimes Stelldichein von Amor und Psyche stiften, jubelte es in ihm. Dass sich der alternde Mann mit dem jungen Liebesgott verglich, entbehrte nicht einer gewissen Komik, der sich Vasari durchaus bewusst war. Seine Fähigkeit zur Selbstironie verfeinerte sein üppiges Selbstbewusstsein. Aber wenn die Liebe die Schwerkraft bezwingen konnte, sagte er sich, dann auch das Alter. Amor vincit – alles besiegt der Gott der Liebe. Außerdem alterten die Götter nicht, warum also er?
Die Zeichnung – disegno –, die dem Gemälde immer vorausging, betrachtete er als die eigentliche Arbeit des Künstlers, die Farbe – colore – hingegen nur noch als deren Umsetzung durch den geschickten Handwerker. Beim Skizzieren schuf der Geist sein Gebilde. So schrien es seine Schriften seit Jahren in alle Welt hinaus. Mit beißendem Spott hatte er die Venezianer, allen voran die Meister der Porträtkunst, Sebastiano und Giorgione, überzogen, weil sie wie Kinder mit Farben herumprobierten, anstatt die Bildidee vorab gültig in einer Zeichnung zu erschaffen. Und nun?
Nun blieb auch ihm nichts weiter übrig, als ebenso zu stümpern wie sie. Keine Idee hielt seiner Kritik stand. Das hatte er in den fünfzig Jahren, in denen er nun schon malte, noch nicht erlebt. Wenn er an Isabella dachte, verlor er alle Sicherheit. Nicht ein Einfall schien ihm gut genug für ihr Bildnis. Sollte er sie in einem geschlossenen Raum porträtieren oder an einem geöffneten Fenster? Vor einer imaginären Berglandschaft oder in einem giardino segreto, einem geheimen Garten? Oder vielleicht mit einem Tier, wie einem kleinen Hund in der Hand? Er verwarf den Gedanken wieder, nichts sollte von ihr ablenken. Wie stellte man reine Schönheit dar? Nicht durch Ebenmaß, so viel stand fest. Es konnte nur gelingen, wenn er das Verborgene des Menschen erfasste, das sich immer von Neuem entzog, weil das Leben nur durch die nimmer ruhende Bewegung existierte.
Wie zum Teufel sollte er ihren Charme einfangen? Sie war ihm vertraut und gleichzeitig fremd. Wie konnte er überhaupt wagen, auch nur daran zu denken, sie zu malen, wenn er nicht einmal wusste, wer sie wirklich war? Er liebte sie, aber er liebte ein Geheimnis. Wie malte man ein Geheimnis? Er hatte Menschen in der Anbetung des Mysteriums porträtiert, aber niemals das Verborgene selbst. Der feinste Pinselstrich dünkte ihn noch zu grob dafür.
Vasari stellte gerade die Sepiatinte, die er eigentlich nicht benutzen wollte, neben den Karton, der auf dem Tisch lag, als Ascanio Isabella di Vignola anmeldete. Kurz darauf betrat sie ernst und feierlich das Arbeitszimmer, so als habe sie sich zu einem großen Schritt entschlossen, zu einem Opfer. Wie stets hob sie zur Begrüßung die linke Augenbraue. Dann sah sie ihm fest in die Augen, als wollte sie ihn stumm darum bitten, ihr Vertrauen nicht zu missbrauchen.
Sie trug denselben Aufzug wie vor einer Woche beim Bischof von Ostia: einen schweren Mantel mit Hermelinfellbesatz, ein schwarzes Kleid, dessen Dekolleté ein feiner Schleier in der Farbe des zurückgeschlagenen Kopftuches verbarg, um deshalb nur stärker die Blicke auf sich zu ziehen. Die schlanke Taille umspielte eine goldene Kordel.
»Ich bin beglückt, dass Ihr mir unwürdigem Diener Eure kostbare Zeit opfert«, sagte Vasari und verneigte sich galant. Isabella legte den breitkrempigen Hut, den eine Fasanenfeder zierte, auf einem Holzstuhl ab. Eine Haarsträhne befreite sich und fiel in die Schläfe.
»Sorgt dafür, dass wir ungestört bleiben, Messèr Giorgio«, bat sie. Vasaris Blick verriet Verwunderung.
»Ihr wolltet mich doch malen, oder?«
»Ja, aber ja«, versicherte er rasch. Dann eilte er zur Tür und rief Ascanio herbei. Er schärfte ihm ein, dass er unter keinen Umständen behelligt zu werden wünschte. Danach schloss er die Tür, wandte sich ihr zu und blieb wie angewurzelt stehen.
59
Rom, Anno Domini 1574, im Februar
Ihm bot sich der nackte Anblick ihrer Schultern, des Rückens, des runden Popos, der langen Beine. Eine kleine Weile verharrte Vasari in Betrachtung ihrer Kniekehlen. Wie gern wäre er niedergesunken, um sie demütig zu küssen. Zu ihren Füßen lag das Kleid samt dem Unterkleid, daneben der Mantel. Wie sie dort inmitten der kostbaren Stoffe stand, erinnerte sie ihn an Botticellis Venus, die nackt und dennoch keusch einer Muschel entsteigt. Isabellas weiße makellose Haut erregte Vasari. Die Huren, die er kannte, hatten ihre Haut achtlos der Sonne ausgesetzt. Und den Männern natürlich. Braunes, gegerbtes Leder! Wie primitiv!
Isabella wirkte von hinten fast knabenhaft, wenn die runden Pobacken und die etwas weichere Taille nicht gewesen wären. Ihr edler, makellos weißer Teint brachte ihn um den Verstand. Ihm schwindelte. Wie lebendiges Porzellan, dachte er atemlos. Er war nicht naiv, er wusste, dass die feinen Damen über Rezepte verfügten, die Haut zu bleichen, aber Isabella schien auf diese plumpen Hilfsmittel verzichten zu können. Nur langsam gewann er seine Selbstbeherrschung zurück.
»Fangt an, Messèr Giorgio, ich friere schnell«, befahl sie.
Vasari hatte oft nach Modellen gezeichnet, auch nach nackten, Männer, Frauen und Knaben. Selbst Leichen mit abgezogener Haut hatte er skizziert, um die Funktionsweise der Muskeln zu studieren. Ohne das Studium der Anatomie gab es keine Malerei. Leonardo hatte das eingeführt, seitdem tat es jeder, der eine hohe Meinung von seinem eigenen Talent hatte.
Das alles war nichts Besonderes für ihn, dennoch zitterten ihm die Hände. Er schlich um Isabella herum, bemüht, sie nicht anzustarren. Dann schaute er noch einmal auf den Karton, fuhr mit der Hand darüber, als liebkoste er ihre Haut und nahm den Bleigriffel. Jetzt erst erlaubte er seinen Augen, sie von vorn zu betrachten.
Nie hatte er schönere Brüste gesehen, nur etwas größer als seine Hände, der Schwerkraft Paroli bietend, unberührt und nicht abgegriffen wie die der Huren. Das Delta der Venus trieb ihm den Schweiß aus allen Poren.
»Wie schön Ihr seid!«, stieß er hervor.
»Ich habe ein Bild bestellt, Messèr Giorgio, kein Madrigal!«, entgegnete sie so kühl, dass er sich auf einmal nackt vor ihr fühlte. »Malt mich, wie ich bin, malt mich als Triumph über die Zeit, die alles welken lässt.«
Das also war es, was sie von ihm wollte, Ewigkeit erlangen. Und das konnten außer Gott nur die Künstler und Dichter vollbringen. Deshalb bezahlten die Herren der Welt sie und buhlten um die Gunst der Besten unter ihnen, weil nur die Poeten und Maler Ewigkeit zu schenken vermochten, weil sie den Ruhm den nachfolgenden Geschlechtern übermittelten. Der beste Mann blieb tot, wenn nicht ein Gemälde oder ein Gedicht, eine Chronik oder Allegorie von seinen Taten kündete.
Nur zu gern kam Vasari Isabellas Wunsch nach. Ihre Schönheit sollte bis ans Ende aller Tage die Menschen zum Staunen bringen. Die Vermessenheit der Aufgabe spornte ihn an. Schöner als Leonardos Gioconda und sinnlicher als Raffaels Fonarina sollte sie werden, dabei aber noch unschuldiger als Botticellis Venus.
War es der Spott oder die Auszeichnung des Schicksals, dass sein größtes Werk nicht die Fresken in der Sala Regia oder im Saal der Fünfhundert im Palazzo della Signoria in Florenz sein würden, sondern ein vielleicht zwei mal drei Ellen großes Porträtbild der freilich schönsten Frau, die er je auf Bildern und im Leben gesehen hatte? Vasari stand an der Schwelle zur Ewigkeit.
Seine Augen berührten ihren Körper, tasteten jede Rundung und jedes Hautfältchen ab. Mit jedem Blick, mit jeder Linie, die er ihrem Körper abnahm, ergriff er Besitz von ihr. So hatte er noch keine Frau geliebt wie jetzt Isabella, indem er sie zeichnete. Er versank in einen Rausch, schneller und immer schneller trieb er den Bleigriffel, dessen Kratzen ihm wie lustvolles Stöhnen in den Ohren klang, über den jungfräulich weißen Karton. Der längliche Kopf, die Schulter, die wohlgeformten Brüste, die fast jungenhafte Figur lebte auf, Körperpartie für Körperpartie, als drängte sie durch die weiße Haut des Kartons in die Wirklichkeit. Zum ersten Mal in seinem Leben ahnte Vasari, dass der Maler nicht der Schöpfer des Kunstwerkes ist, sondern nur das Medium zu seiner Erschaffung. Ja, Isabella hatte recht: Im Kampf gegen die Zeit sekundierte er dem Augenblick, den er mit seinen geschickten Händen zur Ewigkeit formte.