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Die Schritte knarrten auf den Dielen vor dem Raum, in dem er sich befand. In weniger als einer Minute würden die Männer vor ihm stehen. Das Einzige, was ihm blieb, war, ihnen an die Gurgel zu gehen, wenn sie das Zimmer betraten, und darauf zu setzen, dass sie zu überrascht waren, um sich zu wehren. Giacomo spürte weder Angst noch Bedauern, empfand er doch sein Leben lediglich als Galgenfrist. Er schickte ein kleines Gebet zum Himmel, besann sich aber plötzlich, riss, einer jähen Eingebung folgend, das Fenster auf und kletterte auf den Sims, wo ihm Wind und Regen wie ein feuchter Lappen ins Gesicht schlugen. Vielleicht konnte die Flucht ja doch noch glücken!

»Da ist der Schurke!«, hörte er einen Mann hinter sich brüllen. Giacomo il Catalano wagte nicht, sich umzusehen. Er hatte vollauf damit zu tun, nicht von dem feuchten Mauerrand abzurutschen.

»Bleib stehen, du Schuft!«, schrie der Mann. »Ich krieg dich ja doch!«

Ein Ächzen verriet Giacomo, dass der Bullige hinter ihm aus dem Fenster geklettert war und ihn verfolgte. Als er den Fuß auf die eine Elle breite Mauer setzte, die Picos Hinterhof von dem des linken Nachbarn schied, überlegte er kurz, ob er zum angrenzenden Grundstück hinüberspringen sollte, verwarf den Gedanken aber sogleich. Falls die Begleiter seines Verfolgers ihn vom Fenster aus beobachteten, konnten sie rasch zum Nebenhaus laufen und ihm den Fluchtweg abschneiden. Besser war es, über die Mauer in den Hof gegenüber zu gelangen. Der Weg um das ganze Häuserkarree herum wäre zu lang, als dass ihn die Verfolger noch stellen konnten. Das Aufeinandertreffen seiner ledernen Sohlen und des feuchten Mooses, das die Mauer bedeckte, war allerdings eine halsbrecherische Angelegenheit. Giacomo legte sein Geschick in Gottes Hand und setzte behutsam Fuß vor Fuß. Als er das Ende der Mauer erreicht hatte, dankte er seinem Schöpfer, dass er bei dem riskanten Unternehmen nicht abgerutscht war, und ließ sich erleichtert an einer Säule herab. Sie kam ihm seltsam deplatziert vor, wie sie da verloren an der rückwärtigen Mauer des Hofes stand, als seien einmal mehrere Säulen für ein kleines Gartenhaus geplant gewesen, das aber nie zur Ausführung gelangt war.

Giacomo rannte über den Hof, riss die Hintertür des kleinen Hauses auf und stürmte in den Flur. Rechts von ihm befand sich die Treppe zum piano nobile. Links lagen die Kammern der Dienstboten und die Wirtschaftsräume. Durch eine offen stehende Tür sah er, dass in dem Raum Plünderer am Werk waren. Sie schraken kurz hoch, als sie ihn erblickten, wühlten und rafften dann aber weiter, weil er sich nicht um sie kümmerte.

Plötzlich spürte er, wie zwei starke Hände von hinten seine Schultern umklammerten. Sein Verfolger war schneller, als er gedacht hatte. Nun würde es also doch noch zum Kampf kommen. Wenn der Mann sein Antlitz sähe, würde er ihn töten müssen.

6

Florenz, Anno Domini 1494

Mit einem entschlossenen Sprung hatte Bramante den vermeintlichen Mörder Picos von hinten an den Schultern zu fassen bekommen. Der Unbekannte wirkte grazil, fast feminin, war aber erstaunlich kräftig. Ein Engel, ein Todesengel, durchfuhr es Bramante. Das Blut pochte in seinen Adern, und er keuchte vor Anstrengung, als sich der Mann plötzlich mit einer jähen Bewegung seinem Griff entwand. Der Architekt zog seinen Degen.

»Dreh dich um, du Schuft, sonst spieß ich dich von hinten auf!«, brüllte er wütend.

Im nächsten Moment erhielt er einen derben Schlag auf die Schläfe und gleich darauf noch einen zweiten. Er wankte und spürte, dass ihn der dritte Fausthieb zu Boden werfen würde. Ein Komplize! Rasch vollführte er, den Degen vorgestreckt, eine Drehung nach hinten, um Abstand zwischen sich und den Angreifer zu bringen. Er hatte diesen nicht bemerkt, weil er vermutlich von der Seite gekommen war. Verblüfft starrte der Architekt in ein von Bartstoppeln und strähnigem Haar bedecktes Gesicht, aus dem ihm ein fast zahnloser Mund entgegengrinste. Ein Plünderer, dachte Bramante, als er, erleichtert und ärgerlich zugleich, den zerlumpten Kerl betrachtete.

Für einen kurzen Augenblick fiel Licht in den Flur. Gleich darauf schlug die Vordertür zu. Bramantes Ohren glühten, und er spürte, wie maßloser Zorn in ihm aufstieg. Wegen dieses Gesindels würde ihm womöglich Picos Mörder entkommen!

»Lass dein Geld hier, bevor du Leine ziehst«, grunzte der Plünderer, wobei der Adamsapfel an seinem schmutzigen, mageren Hals widerwärtig auf und ab hüpfte. Mit diesen von einem selbstgefälligen Grinsen begleiteten Worten hatte er sein Todesurteil unterzeichnet. Bramante hob sein Rapier und stieß es dem Mann bis ins Herz. Das Grinsen erstarb, und zwei große, leere Augen starrten den Architekten an. Mit einer schnellen Bewegung zog er die Klinge aus der Brust des Plünderers und nahm verwundert wahr, dass das Blut auf dem Stahl im Dämmer eine schmutzig graue Farbe hatte.

Im gleichen Moment zerriss ein Aufschrei die Stille. Eine unförmige Frau kam aus einem der Wirtschaftsräume zeternd auf ihn zugeschwankt.

»Was hat er dir getan? Was hat er dir getan?«, kreischte sie schrill.

»Aus dem Weg, oder ich steche dich auch ab!«, brüllte Bramante zurück. »Das macht mir nichts aus!«

Die Dicke blieb stehen, starrte auf sein Rapier, sank auf die Knie und begrub ihren Mann unter ihrem mächtigen Leib.

»Trottel, dummer Trottel, was musst du dich auch einmischen, wenn sich die Herren streiten«, hörte Bramante sie noch jammern, als er bereits auf die Straße stürmte. Doch zu spät – er sah nur noch, wie die Schwanzspitze eines Pferdes um die Ecke verschwand. Wütend spuckte er aus und gab die Verfolgung auf. Der Mörder des Grafen war ihm entkommen! Zorn nahm ihm den Atem, und sein Gesicht lief feuerrot an.

Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Vielleicht war es ja sogar ratsam, die Verfolgung abzubrechen. Dem durchwühlten Schreibtisch nach zu urteilen, hatte der Mörder etwas gesucht und offensichtlich nicht gefunden, sonst wäre er ja schon fort gewesen und er hätte ihn nicht überrascht. Vielleicht ging es dem Schurken nun darum, ihn von Picos Haus wegzulocken, um dann zurückkehren und seine Suche ungestört fortsetzen zu können.

Die Erkenntnis traf Bramante wie ein Blitz: Er griff in seine Tasche, holte den Ring heraus und betrachtete ihn lange mit einem bitteren Lächeln. Der Ring gehörte dem Flüchtenden, nach diesem hatte er gesucht! Er beglückwünschte sich dazu, dass er ihn an sich genommen hatte. Zufrieden warf er das Schmuckstück in die Luft und fing es wieder auf. Dieser Ring würde ihn zu Picos Mörder führen! Fest umschloss er ihn mit seiner Hand. Er besann sich kurz, dann kehrte er in den Hausflur zurück.

Die Frau schaute hoch und warf ihm einen hasserfüllten Blick zu.

»Ihr hohen Herren seid immer schnell mit dem Degen! Mein Flavio war vielleicht kein besonders guter Mann, aber der beste, den ich bekommen konnte. Kannst du mir vielleicht einen neuen beschaffen?«

»Was geht’s mich an!«, sagte Bramante kalt. »Er hat einem Mörder zur Flucht verholfen. Hör auf zu jammern. Kannst du das Gesicht des Kerls beschreiben?«

»Ihr seid doch alle Mörder! Warum sollte ich Euch helfen?«, fauchte die Frau und wischte sich mit einem Zipfel ihres löchrigen Gewandes über das Gesicht.

»Weil dein Mann die Sache verdorben hat und weil du einen Scudo dafür bekommst.«

Sie legte den Kopf auf die Seite und dachte nach. »Einen ganzen Scudo, sagt Ihr?«, fragte sie und rieb ihren breiten Daumen an ihrem dicken Zeigefinger.