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Ihm schien, dass es nicht dieselben Männer waren, die ihn in seinem Atelier in der Villa del Belvedere überfallen hatten. Vasari fühlte sich gekränkt, denn an der Kleidung der Verfolger erkannte er, dass seine Feinde nur zwei ordinäre Strauchdiebe angeheuert hatten, um ihn auf der Flucht abzuschlachten. Diese Schurken würden in wenigen Tagen sein Leben durch ihre Kehle laufen lassen. War er so wenig wert?

Wer war gefährlicher, auf wen sollte er sich zuerst stürzen? Wem er den Rücken bot, der würde ihn anfallen. Aber nicht Vasari entschied, sondern der Wolf. Das Raubtier rannte auf ihn zu und setzte zum Sprung an. Der Schreck lähmte den Architekten, und die gleichgültigen Augen des Tieres ließen ihm das Blut in den Adern gefrieren. In diesem Augenblick begriff er, dass auf der Straße nicht irgendein gefährliches Tier gelauert hatte, sondern tatsächlich der Tod. Nur der ewige Schnitter konnte so unbeteiligt sein Handwerk ausüben. Er empfahl seine Seele Gott. »Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa … Herr, erlöse mich von dem Übel, das ich selber bin und verzeih, dass ich dein Haus nicht zu Ende gebaut habe …«

Als er sich aus seiner Erstarrung löste, wurde Vasari bewusst, dass er nicht seinem Tod, sondern dem seiner Verfolger begegnet war. Der Wolf war an ihm vorbeigeflogen und stürzte sich nun auf die beiden bravi. Zur gleichen Zeit brachen aus dem Dickicht die anderen Tiere des Rudels hervor. Er gab seinem Pferd die Sporen, das sich aufbäumte und im gestreckten Galopp losschoss. Vasari hatte sich geirrt, der Wolf war doch nicht allein gewesen. Wie hatte er nur vermocht, ihm Einsamkeit vorzutäuschen?

Hinter sich hörte er die Schmerzensschreie der Männer, das schaurige Wiehern der Pferde, die von den Wölfen zerfleischt wurden, und das Geräusch der scharfen Zähne, die Knochen knackten. Pferde, Menschen, Wölfe, Schweine – im Sterben klangen die Abschiedslaute vom Leben immer gleich, dachte er bitter und auch wieder mit einer befreienden Leichtigkeit.

Vasari zügelte den Schimmel und wechselte in den Trab, weil es lebensgefährlich gewesen wäre, auf dem dunklen Gebirgsweg zu galoppieren. Weit entfernt hörte er die Wölfe im Rausch heulen. Er sah die von Blut triefenden Schnauzen der Tiere vor sich. Ihn jedoch hatten sie verschont. Wieder einmal hatte ihn jemand in letzter Sekunde dem Tod von der Schippe gestoßen. Doch wer? Gott? Weit bessere als ihn wie seinen Lehrer Michelangelo hatten Verrat und Hinterlist zur Strecke gebracht!

Sicher, dachte Vasari, man kannte ihn als Baumeister von Sankt Peter, als Architekten, als Maler und als Schriftsteller. Als Berater des Großherzogs von Toskana. Aber war er nicht eigentlich ein Vieh, ein Ehebrecher und Verräter? Er war ein verheirateter Mann, der es auf seinen häufigen Reisen mit Huren und Mägden getrieben hatte. Nicht mehr, eher weniger als andere auch. Das war normal, ein körperliches Bedürfnis, wie Atmen, Essen, Trinken und auf den Abtritt gehen. Fast ein ganzes Leben hatte er gebraucht, um endlich der Liebe zu begegnen. Ein Gefühl, das den erfahrenen Mann zum ersten Mal in seinem Leben in einen Knaben verwandelte, denn er hatte nie Kind sein dürfen. Früh verwaist, hatte die Sorge für seine Geschwister auf seinen noch schwachen Schultern gelegen. Seit Giorgio Vasari denken konnte, zählten für ihn nur Klugheit und Ehrgeiz. Die Geschwister durchbringen, selbst durchkommen – nur darum war es gegangen.

Doch plötzlich galt ihm sein enormer Fleiß nichts mehr. War es das Alter oder die über ihn hereinbrechende Leidenschaft, die seine Tatkraft lähmte? Dieses alberne Gefühl, das man Liebe nannte, hatte ihn verunsichert, und gleichzeitig genoss er es in vollen Zügen. Weder Ironie noch Berechnung hatten davor Bestand. Noch einmal von vorn anfangen können! In diesem Moment schmerzten Vasari die sinnlos verbrachten Jahre auf der Jagd nach Ruhm und Reichtum. Der Wolf hatte ihn doch verletzt – er hatte ihn mit der Krankheit des Todes infiziert! Wenn man liebt, stirbt man auch ein Stück weit. Gott hatte ihm in seiner Gnade die Liebe geschickt, spät, aber immerhin. Und er, was hatte er mit diesem großen Geschenk angefangen? Es gab Momente im Leben, wo übereiltes, törichtes Handeln mehr zählte als jede Überlegung und jede Maßgabe des abwägenden Verstandes. Zum ersten Mal, seit er denken konnte, empfand Giorgio Vasari keinen Respekt mehr vor sich selbst. Am liebsten wäre er vom Pferd gesprungen und hätte sich in seine Degenspitze gestürzt.

Am Nachmittag des darauffolgenden Tages erblickte er endlich am Horizont die Silhouette von Florenz, die sich in ein ausladendes Tal schmiegte. Diese Stadt, dachte er, war der einzige Ort auf der Welt, an dem ihm nichts Böses widerfahren konnte, denn nur zu seinem Schutze ragten die starken Mauern der Republik in den Himmel. Vasari atmete auf. Er liebte dieses einzigartige Panorama, das seine Stimmung ein wenig aufzuhellen vermochte, obwohl er sich wie durchgeprügelt fühlte. Er zügelte sein Pferd und sog das Bild der Stadt förmlich in sich ein. Als seine Blicke in dem steinernen Meer badeten, fühlte er sich erfrischt und endlich zu Hause angekommen.

Wie von einem Hofstaat aus Palazzi, reichen Häusern und Kirchen umgeben, ragte der majestätische Duomo mit der Kuppel des Architekten Filippo Brunelleschi aus dem Stadtbild heraus. In der Pose des Herolds postierte sich vor Vasari der mit schwarzem und weißem Marmor verkleidete Kampanile. Trotz des trüben Wetters leuchteten die roten Ziegel der Kuppel von Santa Maria del Fiore, die von weißen Streben unterteilt wurden. Diese Rippen leiteten den Blick des Betrachters zur Laterne weiter, die wie ein Pfeil auf die goldene Erdkugel verwies, über die sich weithin sichtbar das Kreuz erhob. So endete alles in Gott, der über die Menschen und die Welt herrschte. Die Kuppel erinnerte Vasari daran, dass er dem Großherzog versprochen hatte, Brunelleschis weiß belassenen Innenraum mit Fresken zu schmücken. Nun sollte er endlich dazu kommen, die Entwürfe zu vervollständigen, und dann würde er zügig mit den Gesellen und Lehrlingen seiner Werkstatt an die Ausführung gehen.

Kurz darauf ritt er durch die mächtige Porta di San Pietro Gatolini, die mit ihren wuchtigen, eisenbewehrten Eichenholzflügeln an einen aufrecht stehenden Bären erinnerte. Auf seinen vielen Reisen war Vasari durch kein Stadttor gekommen, das nicht von einem geschäftigen Treiben erfüllt war. Händler kamen an, entrichteten Zoll, Bauern zogen mit ihren Waren in die Stadt, Reisende aller Art passierten die Pforte. Einige besonders dreiste Huren versuchten gleich am Stadttor, die Kundschaft abzupassen. Träge und verschlafene Stadtsoldaten taten so, als ob sie auf alles, was geschah, ein Auge hatten. Ein grobknochiger Kerl mühte sich redlich, die Hühner wieder einzufangen, die ein Spaßvogel in dem Moment aus dem Käfig gelassen hatte, als er mit den Wachsoldaten verhandelt hatte. Es gackerte und raschelte, begleitet vom lauten Fluchen des geplagten Landmannes und dem Lachen der schadenfrohen Beobachter, schrill, tief, spitz oder breit, je nachdem, sodass die Kakofonie des Lebens zum Himmel aufstieg. Ein Wunder, dass Gott darüber nicht ertaubte, dachte Vasari.

Dann fiel sein Blick auf ein Haus, das sich in der Form eines Quaders über drei Etagen erstreckte und in seiner Wuchtigkeit an einen gut zu verteidigenden Palazzo erinnerte. Aus dem Fenster beobachtete eine Magd das Treiben vor der Pforte. Unter ihr auf der Straße stand ein gesatteltes und mit reich verziertem Zaumzeug versehenes Pferd, dessen Zügel an einen der rostigen Eisenringe am Gebäude gebunden war. Der Diener füllte die Satteltasche mit Proviant, während der Patron in rotem Mantel und mit einem runden schwarzen Hut auf dem Kopf sich liebevoll zu seiner kleinen Tochter hinunterbeugte und ihr zum Abschied einen Kuss gab. Ihre Hand lag auf seiner Schulter, während die Mutter tröstend mit den Fingerspitzen den Hinterkopf des Mädchens berührte.