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Nachdem er den Großherzog aufgesucht und sich seines Schutzes versichert hatte, begab sich Vasari nach Hause, log seiner Frau eine vage Geschichte von einem Überfall vor, denn Isabellas Existenz musste er ihr verschweigen. Wenn er sie schon betrog, wollte er sie nicht auch noch verletzen. Das tat er schon genug dadurch, dass er nicht mehr mit ihr schlief. Sie fragte nicht weiter nach, obwohl sie zu fühlen schien, dass wesentliche Details seiner Erzählung fehlten.

Doch in dieser Nacht flüchtete er das erste Mal wieder seit zehn Jahren in ihre starken Arme. Es war nicht die Lust, die ihn trieb, sondern die Sucht nach Leben. Er schloss die Augen, denn er wollte sie dabei nicht sehen, weder ihr Gesicht noch ihren Körper, sondern nur im Akt Vergessen finden. Der Beischlaf beglückte ihn nicht, er war das, was er einen nassen Frosch nannte. Nach der Vereinigung sind alle Tiere unglücklich, soll Aristoteles gesagt haben, dachte Vasari, als er am Morgen bedrückt erwachte.

Vasari fürchtete sich vor dem Tod, dessen Fratze er gesehen hatte. An den Papst schickte er vorsichtshalber einen Entschuldigungsbrief, weil er so überstürzt abgereist war. Er schob alles aufs Alter.

»Dieses Mal, Heiliger Vater, bin ich ernstlich ausgelaugt. Ich bin jetzt mehr als sechzig Jahre alt und ertrage die enormen Strapazen und Schwierigkeiten, denen man im Laufe dieser so schweren und widerwärtigen Arbeiten begegnet, nicht mehr.«

Sollte ihn der Papst doch für eine Mimose halten, für einen schwierigen Künstler – solange er nicht den wahren Grund für seine Flucht erfuhr. Aber er schrieb auch noch einen zweiten Brief, wählte den zuverlässigsten seiner Gesellen aus und versprach ihm eine reiche Belohnung, wenn er die Epistel persönlich dem Kardinal Morone übergeben würde.

»Eminenz, viel hätte ich zu beichten und würde es mit größter Freude und tiefstem Verlangen bei Euch nachholen. Doch Umstände, für die ich nichts kann und die ich auch nicht verstehe, zwingen mich, Rom zu meiden und bei meinem guten Herrn Francesco I. zu verweilen. Euch muss ich nichts erklären, Ihr wisst aus eigener Erfahrung, Eminenz, wie schnell sich Fortunas Rad dreht und man sich plötzlich verkannt und verfolgt fühlen kann, wie uns Gott in dem Moment prüft, in dem wir es am wenigsten von ihm erwarten. Doch genug von mir!

In Eurem Hause habe ich Madonna Isabella di Vignola kennengelernt. Sie suchte mich auf, dass ich sie male. Ich bin ein Ehrenmann, und sie hat sich weiß Gott nichts zuschulden kommen lassen, was sie zu beichten hätte. Ich schwöre es bei der Heiligen Jungfrau Maria! Aber mein Atelier in der Villa de Belvedere wurde überfallen und Madonna Isabella entführt. Wenn Ihr etwas von der tadellosen Frau gehört habt, so teilt es bitte dem Überbringer des Briefes mit. Seid aber vorsichtig, denn bedenkt, man schreckte vor der Gewalttat nicht einmal innerhalb der heiligen Mauern zurück. Mehr möchte ich nicht schreiben, Ihr wisst selbst gut genug, was das heißt. Ich empfehle mich Eurem Wohlwollen, Eminenz.

In tieferBewunderung

Cavaliere Giorgio Vasari.«

Obwohl er es bei Andeutungen belassen hatte, hatte er dem Briefbogen dennoch mehr anvertraut, als es klug gewesen wäre. Dem Gesellen schärfte er ein, auf Antwort zu warten und währenddessen Vasaris in Rom zurückgelassene Gehilfen zusammenzurufen. Gemeinsam mit ihnen sollte er die Sachen des Architekten aus dem Belvedere holen und den ganzen Palazzo nach einem Buch absuchen, dem »Buch der Baumeister«. Da der Geselle weder lesen noch schreiben konnte, malte der Architekt ihm die Schriftzeichen auf, sodass er sie mit dem Titel des Buches vergleichen konnte. Er beschwor ihn, zu seiner eigenen Sicherheit niemandem zu sagen, dass er dieses Werk suche oder bei sich trage und es auch niemandem zu zeigen, wenn ihm sein Leben lieb sei. Mit bangen Hoffnungen schaute er dem Gesellen nach, bis er längst hinter der nächsten Straßenecke verschwunden war. Giorgio Vasari starrte ins Leere.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Cosina beunruhigt.

»Wie? Ach so. Ja, ja«, sagte er wenig überzeugend. Dann sah er sie traurig und hilflos an. »Ach, Cosina, hätte ich doch niemals die Aufgabe angenommen, am Haus unseres Herrn Petrus zu arbeiten. Es wird meine Gruft«, setzte er finster hinzu.

Cosina bekreuzigte sich erschrocken, doch all ihre Versuche, mehr von ihm zu erfahren, scheiterten. Er wollte sie nicht einweihen.

»Besser, du weißt nichts. Sorge dich nicht. Dir passiert nichts. Der gute Herr Francesco wird dich und vielleicht auch mich schützen.«

Seit der Geselle sich auf den Weg gemacht hatte, fieberte Vasari seiner Rückkehr entgegen. Indes vergeblich. Er blieb ebenso aus wie die Antwort des Kardinals. Es trieb Vasari dazu, einen zweiten Brief zu verfassen, aber er wagte es nicht. Stattdessen begann er, Fechtunterricht zu nehmen.

Nach den allmorgendlichen Fechtstunden bestieg Vasari das Gerüst in der Kuppel des Domes und arbeitete wie ein Wahnsinniger, um die Laterne mit Heiligen, Propheten, mit Königen und den vier Evangelisten zu bevölkern. Unerbittlich trieb er sich und auch die Gesellen und Lehrlinge an. Seine Arbeit hatte etwas Verbissenes und Trostloses, denn ihn verfolgten die misstrauischen und auch feindseligen Blicke vieler Florentiner, die es als Sakrileg empfanden, dass er die erhabene Wirkung von Brunelleschis weißem Kuppelinnenraum durch Farben zerstörte. Er wies den Gedanken zwar weit von sich, wusste aber tief in seinem Inneren nur zu gut, dass die Leute recht hatten.

Sich in die Arbeit zu flüchten und die unangenehme Wirklichkeit zu verdrängen, gelang ihm diesmal nicht. Das Unglück blieb Vasari auf den Fersen, ganz gleich, wohin er ging und was er unternahm. Es lauerte selbst in der Arbeit, bereit, ihn jederzeit zu töten. Zum ersten Mal in seinem Leben jubelten ihm die Menschen nicht zu, sondern empfanden das, was er tat, als Frevel, als Anschlag auf Filippo Brunelleschi persönlich. Er hatte das Gefühl, dass ihm alles misslang und er sich nur fester in den Fußangeln der Gefahr verfing. Sein Glück hatte ihn verlassen, Fortuna sich verabschiedet, ihr Rad sich grausam weitergedreht.

Nirgendwo gelang es ihm, einen Funken Hoffnung auf Rettung auszumachen. Wenn, ja, wenn … Wenn er nur gewusst hätte, ob der geheime Bund der Fedeli d’Amore, dem einst Dante und später Leonardo angehört hatten, noch existierte! Dann würde er sich an die Brüder wenden, die ihm mit Sicherheit helfen würden, wenn sie noch im Verborgenen wirkten. So viel er inzwischen auch über sie hatte herausfinden können, er hatte doch keinen Bundesbruder je persönlich kennengelernt. Es schien, als sei ihre Macht zerbrochen und die diskrete Vereinigung längst zerstört.

So blieb Vasari nur übrig, sich täglich bei Borghini zu erkundigen, ob er etwas über Isabella in Erfahrung gebracht hatte. Eilte er nach Feierabend mit einer fast aberwitzigen Hoffnung zu dem Freund, schlich er deprimiert wieder fort. Isabella di Vignola blieb wie vom Erdboden verschluckt. Er fühlte sich schuldig gegenüber der jungen Frau, die Teil seines Unglücks geworden war. Er kehrte mürrisch heim, aß stumm mit Cosina, trank etwas Wein, zog sich in sein Atelier zurück und griff zu Feder und Papier, um an seinem Buch zu arbeiten.

Am ersten Abend hatte er sich gefragt, womit er beginnen sollte. Mit zwei Männern, die auf dem Tempelberg in Jerusalem standen und auf eine große Baustelle hinuntersahen? Mit einem großen König und seinem legendären Architekten, denen von Moses die Geheimnisse des guten Bauens mitgeteilt worden waren, die der Prophet persönlich von Gott erhalten hatte? Denn es war doch einfach kindisch zu glauben, dass Gott ganze vierzig Tage benötigt hatte, um Moses auf dem Berg Sinai die zehn Gebote zu diktieren. Nein, mehr, viel mehr hatte er ihm offenbart, die ganze Architektur der Welt, samt ihren Prinzipien. Die Fedeli d’Amore glaubten oder wussten, dass Moses den geheimen Teil des Wissens, den Gott ihm auch verkündet hatte, in der Bibel, in den Apokryphen und in den inzwischen verschollenen oder für häretisch erklärten Texten verborgen hatte. Wie die Fedeli suchten viele nach den letzten Geheimnissen – die Alchemisten, die Astrologen und die Kabbalisten.